Kirchentag 2017 in Berlin und Wittenberg

von Dr. Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages

„Wie jede Geschichte hat auch die Geschichte des Kirchentages eine Vorgeschichte. Ohne die Erfahrungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und die Erlebnisse der Zusammenbruchgesellschaft nach 1945 hätte es keinen Kirchentag gegeben, jedenfalls nicht den, den wir kennen.“ Auf diesen Punkt bringt Rudolph von Thadden, der im letzten Jahr verstorbene Sohn des Kirchentagsgründers Reinold von Thadden-Trieglaff, die Kirchentagsanfänge, die eng mit der Stadt Berlin verknüpft sind: Nach Hannover und Essen war der Berliner Kirchentag 1951 der dritte und er war der Durchbruch – von da an hatte sich dieses Format etabliert, das für Laien gedacht war, für Menschen also, deren Stimme in Kirche und Gesellschaft deutlicher zu hören sein sollte. Am Kirchentag kam niemand mehr vorbei, der ein gesellschaftlich engagiertes Christentum suchte.

Spirituelle Momente am Eröffnungstag des Kirchentages in Stuttgart

Spirituelle Momente am Eröffnungstag des Kirchentages in Stuttgart

Es waren drei Dinge, die Reinold von Thadden, Freund und Weggefährte Dietrich Bonhoeffers, wichtig waren. Bis heute, auch für den Kirchentag Berlin und Wittenberg 2017, sind dies Leitmotive: Reinold von Thadden wollte die geistliche Gemeinschaft stärken. Sein Erfahrungshorizont war die Bekennende Kirche im Nationalsozialismus, die nach und nach vom kirchlichen zum politischen Widerstand gekommen war: „Wir haben uns 1934 untereinander ‚Brüder‘ genannt… Ganz gleich, ob wir damals Theologen vom Fach waren oder nicht.“

Das Erleben von Gemeinschaft ist bis heute eines der ausschlaggebenden Motive für die Teilnahme am Kirchentag. Die offene und zugleich dichte Atmosphäre, in die der Kirchentag die Stadt taucht, animiert Menschen unterschiedlicher Herkunft, Meinung und Religion, miteinander ins Gespräch zu kommen und wirkt als Mittel gegen jedes populistische Vorurteil. In Berlin 2017 wird die interreligiöse Begegnung, die offene Einladung an die ganze Stadt zu politischer, gesellschaftlicher Debatte, die Kooperation mit religiösen und zivilgesellschaftlichen Akteuren der Stadt Gemeinschaft stiften, weit über die christlichen Kreise hinaus.

Eindrucksvolle Kulisse: Der Eröffnungsgottesdienst in Stuttgart

Eindrucksvolle Kulisse: Der Eröffnungsgottesdienst in Stuttgart

Ein zweites Leitmotiv, das wie ein genetisches Programm dem Kirchentag eingeschrieben ist, lautet: Demokratiefähigkeit. Auf dem Kirchentag 1951 ging es um die Überwindung der Vorurteile gegenüber der Demokratie, den Parteien und um den Beginn einer Aufarbeitung des politischen Versagens im Nationalsozialismus. Über die Jahrzehnte ist der Kirchentag ein Forum demokratiepolitischer Debatte geworden, von der Vertriebenenfrage in den 1950ern bis zur Friedens- und Ökologiefrage in den 1980ern. Heute ist das Thema Demokratiefähigkeit stärker auf die Fragen von Bürgerbeteiligung und das Verhältnis von Staat, Kirche und Gesellschaft konzentriert. Zunehmend gerät die Debatte über Demokratiefähigkeit in einen europäischen Horizont. Mit einer Themenreihe Europa, mit einem Begegnungszentrum Mittelund Osteuropa, wird hier an den „Arbeitstagen“ des Kirchentages von Donnerstag, den 25. Mai bis Samstag, den 27. Mai 2017, ein Schwerpunkt gesetzt.

Aufmerksame Teilnehmende bei einer Kirchentagsveranstaltung in Stuttgart

Aufmerksame Teilnehmende bei einer Kirchentagsveranstaltung in Stuttgart

Und ein dritter Gedanke, der den Kirchentag seit seinen Anfängen leitet, ist die Internationalität. Die Gründung des Weltrates der Kirchen in Genf hatte Reinold von Thadden eng begleitet. Die Weite der Weltsichten, auch die kritischen Fragen aus der internationalen Ökumene prägten von Beginn an die Debatten und die kulturellen Formate des Kirchentages. Internationalität ist heute eine Selbstverständlichkeit. Für das Jahr 2017, das als Symboljahr für 500 Jahre Reformation steht, werden einmal mehr Menschen aus aller Welt erwartet, um gemeinsam im Herzen Europas, in Berlin, über Lebensfragen des Planeten und des Zusammenlebens zu sprechen, gemeinsam zu feiern und damit dem Ruf der Stadt Berlin gerecht zu werden, eine internationale Metropole zu sein.

Markus Dröge, Bischof der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christina Aus der Au, Präsidentin des 36. DEKT und Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Kirchentages, präsentieren das Motto für 2017

Markus Dröge, Bischof der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christina Aus der Au, Präsidentin des 36. DEKT und Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Kirchentages, präsentieren das Motto für 2017

Der Kirchentag 2017 steht unter dem Motto „Du siehst mich“ – das auch unabhängig von seinem biblischen Ursprung verstanden werden kann. In einer Zeit der gesenkten Blicke auf Smartphones ist der Satz eine Ermutigung, aufzusehen und hinzusehen. Nicht wegzuschauen, wo Unrecht geschieht, wo Menschen in Not sind. Der Kirchentag wird dieses Hinsehen praktizieren, mit Veranstaltungen auf der Messe Berlin und in der Innenstadt, am Gendarmenmarkt und am Alexanderplatz. Mehr Informationen zum Kirchentag vom 24. bis 28. Mai 2017 finden Sie unter: www.kirchentag.de.

Deutscher Evangelischer Kirchentag
Magdeburger Straße 59
36037 Fulda
Tel.: +49 661 96950-11
E-Mail