Eine von ihnen sandte mir Bilder, unter anderem auch ein Familienbild aus den dreißiger Jahren und andere Bilder der drei Kinder der Steinbergs. Nach und nach bekam ich immer mehr detaillierte Informationen. Auch aus Auschwitz erfuhr ich mehr. So auch, dass Hermann am 17. Mai 1943 in das KZ Auschwitz eingeliefert wurde, dort die Häftlingsnummer 122384 bekam, am 20. Juni 1943 im Block 21 und abermals am 12. Oktober 1943 im Block 21 operiert wurde, am 30. Oktober 1943 um 8.40 Uhr ist er aufgrund der operativen Eingriffe gestorben. Ein Operationsbuch der Chirurgischen Abteilung (Block 21) des Häftlingskrankenbaues des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, das mir in einer Mail mitgesandt wurde, machte mich sehr traurig. Ich wurde mit den brutalen Taten der Mörder konfrontiert.
Für mich war es grausam, als ich meinen Großonkel auf den Seiten 148 und 282 mit fortlaufender Nummer fand. Der Gedanke dahinter, dass die brutalen Mörder, die in weißen Kittel auftraten, mehrere Menschen einfach so töteten und zu erfahren, dass der Arzt, der deinen Großonkel ermordet hat, ein Leben nach dem Krieg einfach so unbescholten weiterführte … Ja, auch stellte ich mir die Frage: Gibt es Kinder und Enkelkinder des Arztes, der diese Operationen durchführte? Und möchte ich diese treffen? Ich kann diese Frage heute mit einem klaren ja beantworten. Gerne möchte ich diese Menschen treffen und ihnen Fragen stellen, die ich auf dem Herzen habe.
Es ist etwas Zeit vergangen, ich habe mich etwas zurückgenommen, auch, um das zu verarbeiten, was wir herausgefunden haben. Mit „wir“ meine ich meine Frau und mich. Sie steht mir jederzeit zur Seite und hört meinen Erzählungen zu.
Und mittlerweile habe ich viel Neues erfahren, eine Bekannte gab mir einen Kontakt nach Polen zum „Emanuel Ringelblum Jewish Historical Institute – Jewish Genealogy & Family Heritage Center“. An das Center stellte ich meine Fragen. Es hilft dabei, polnische und jüdischen Wurzeln zu finden, so hat es auch mir geholfen, einen Teil meiner Familie zu finden.
Es sandte mir eine Aufstellung der Geburtsdaten von meinem Großonkel Hermann Steinberg und dessen Familie und stellte mir einen Stammbaum von den Steinbergs (Sztainbergs) zur Verfügung. Die Mitarbeiterin gab mir noch viele weitere Informationen, auch dass ein Familienmitglied, Manny (Hersz Mendel) Steinberg, das Buch „Outcry – Holocaust Memoirs“ über seine Erinnerungen geschrieben hat.
Diese Information war für mich ein wichtiger Punkt, ich konnte mich nun endlich mit einem Cousin von Hermann Steinberg in Verbindung setzen.
Ich fand Manny Steinberg im Internet und schrieb ihn einfach an und nach kurzer Zeit bekam ich eine Antwort. Ich gab ihm alle Informationen zu meiner Familie und der Zugehörigkeit zu der Familienlinie von Hermann Steinberg. Es dauerte nicht lange, da bekam ich von Manny einen Brief mit Fotos von seinen Kindern und seiner Familie, ebenso antwortete er mir auf die E-Mails, die ich schrieb und teilte mir mit, dass wir uns gefunden haben.
Manny Steinberg wurde zu der Zeit, als er mir diese Sachen per Post und E-Mail schrieb, 90 Jahre alt und es machte ihn überaus glücklich, dass wir wieder als Familie verbunden sind. Ich habe ihn nur per E-Mail und Schriftverkehr kennengelernt, leider hatte ich nicht die Möglichkeit ihn zu besuchen.
Auch heute macht mich dieser Gedanke traurig, wenn ich diese Zeilen schreibe, denn Manny Steinberg ist am 21. Dezember 2015 im Alter von 90 Jahren gestorben.
Dank Manny habe ich heute Kontakt zu der Familie Steinberg, die in Israel, Argentinien und in Amerika lebt und weiß, dass ein Teil der Familie den Holocaust überlebt hat und viele Jahre auf der Suche nach dem Rest der Familie war.
Heute, nach den vielen Tagen der Suche, danke ich meinen Eltern, dass sie mir über Hermann Steinberg erzählt haben und freue mich gleichzeitig, dass ich einen Teil meiner Familie wiedergefunden habe.
Und ich kann für mich sagen, „dass die gestohlene jüdische Vielfalt in uns weiterlebt – und wir diese ans Licht bringen.“