Volksbühne bedeutet, dass Menschen sich in einem Verein organisieren und mit ihren Mitgliederbeiträgen Theaterproduktionen ermöglichen, deren Eintrittskarten dann ermäßigt an die Mitglieder verkauft werden können. Auf dieser Basis konnten ab 1890 in Berlin auch diejenigen, die sich Teilhabe an der Kultur nicht leisten konnten, ihre Theaterbesuche finanzieren. Arbeiter, sozialdemokratisch organisierte vor allem. Am 30.12.1914 eröffnete der von Oskar Kaufmann entworfene Theaterbau der Volksbühne am Bülowplatz. Eröffnet wurde mit – man käme nicht darauf: Bjørnstjerne Bjørnsons Wenn der junge Wein blüht statt des geplanten Götz von Berlichingen, der wegen eines Defekts an der Versenkung nicht nach oben kam.
Der Bau des immer noch größten Sprechtheaters der Stadt ist nicht nur nach belegbaren Zahlen und Maßeinheiten ein gewaltiger. Die Metaphernlast ist ebenso groß. Das Theater zwischen Linienstraße und Rosa-Luxemburg-Platz, schon während der Bauzeit als „Monster an der Linienstraße“ betitelt und in nur 14 Monaten auf der Brache des planierten Scheunenviertels hochgezogen, steht als „kulturelle Wegmarke der deutschen Sozialdemokratie auf den Trümmern des jüdischen Einzelhandels“. Das mag – zitiert nach Franz Mehring – nach grober Übersetzung eines kulturpolitischen Vorgangs klingen, zu leugnen ist der historische Untergrund nicht. Das Scheunenviertel musste als Teil der Spandauer Vorstadt ein gutes Drittel seines eigentlichen Flächenbestands dem Theaterbau überlassen. Bis zur von Hans Poelzig vorgenommenen Randbebauung Ende der 20er Jahre stand der massige Bau als Solitär auf dem Platz.
Aus dem Monster wurde bald der Monsterbau, der „Monstrequadernbau“, wie ihn Walter Mehring im umstrittenen Kaufmann von Berlin in der Literatur verankert hat. Aus dem Monsterbau wurde der „Kulturtresor“ der Volksbühnenbewegung, 1934 wurde die Umwidmung in „Horst-Wessel-Festspielhaus“ erwogen und dann doch wieder verworfen. Ein Eichenhain in Hakenkreuzformation auf dem heutigen Kinderspielplatz war bereits gepflanzt.
Nach dem Krieg wurde der „Panzerkreuzer am Alexanderplatz“ gefunden, die bis heute aktuelle Schmähmetapher; sie geht zurück auf Benno Besson, wurde von Frank Castorf übernommen und zur selbstironischen Vokabel – Angriff ist die beste Verteidigung – stilisiert.
Der Platz mit den wechselnden Namen – Babelsberger-, Bülow-, Horst-Wessel-, Liebknecht-, Luxemburg- und schließlich und bis heute: Rosa-Luxemburg-Platz – hat als historischer Schauplatz und zugleich erweiterte Bühnenlandschaft des tatsächlichen Theaterbaus gedient. Frei nach Shakespeare: Der ganze Bau ist eine Bühne.
Theaterbauten stellen wie Bank- oder Regierungspaläste weniger ihre Funktionalität als ihre ideologische Positionierung aus. Im Fall der Volksbühne ist es der mit „Arbeitergroschen“ rapide erbaute wehrhafte Kulturtempel der Volksbühnenbewegung. DIE KUNST DEM VOLKE war dem Gebäude auf die Stirn gemeißelt – eine während kommender Spielzeiten in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen oft und verschieden interpretierte Losung.