150 Jahre Straßenbahn

Von der Pferdebahn zum Hightech-Computer

von Christian Retzlaff, Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)

Die neue Haltestelle am Hauptbahnhof

Wenn man die Pferdebahn als Straßenbahn betrachtet, gibt es in Berlin seit 150 Jahren eine Tram. Dieses Jubiläum wurde in diesem Jahr von der BVG ausgiebig gefeiert. Aber abseits von allen Jubiläumsfeierlichkeiten ist die Straßenbahn vor allem ein wichtiges und hocheffektives öffentliches Verkehrsmittel in der deutschen Hauptstadt.

Insbesondere im Ostteil der Stadt dient sie der großflächigen Verkehrserschließung. Das hat historische Gründe: Viele westdeutsche Städte schafften in den 1950er- und 1960er-Jahren ihre Straßenbahnen ab, weil sie nicht ins Konzept einer „autogerechten Stadt“ passten. Auch im Westteil Berlins wurde 1967 der Betrieb der letzten Straßenbahn linie eingestellt. Man setzte aufs Auto und im Öffentlichen Personennahverkehr auf Bus und U-Bahn. In der DDR fehlten jedoch die Mittel für einen großflächigen Ausbau des U-Bahnnetzes und man bediente sich der wesentlich günstiger zu bauenden Straßenbahn.

Ein Straßenbahnmodell aus dem Baujahr 1925

1993, drei Jahre nach der Wiedervereinigung der beiden Stadthälften, stellte die Landesregierung Berlins – der Senat – Grundsätze bezüglich Ausbau und Modernisierung der Straßenbahn auf. Mit diesem Straßenbahnkonzept wurden die Grundlagen für die zukünftige Entwicklung der Straßenbahn in Berlin geschaffen. Bis 2017 soll die Straßenbahn durchgängig barrierefrei unterwegs sein. Extra für Berlin wurde vom Hersteller Bombardier die moderne FLEXITY Berlin entwickelt – ein leises und leistungsfähiges Arbeitspferd für die Flotte der BVG. Im vergangenen Sommer wurde das 100. Fahrzeug dieses Typs an die BVG übergeben. Mittlerweile sind auch wieder Straßenbahnen im ehemaligen Westteil der Stadt unterwegs.

  • 1865

    Mit 18 Wagen, 52 Pferden und 27 Kutschern startet am 22. Juni die erste Pferde-Straßenbahn Deutschlands. Die Strecke führt vom Brandenburger Tor nach Charlottenburg

  • 1881

    Die erste elektrische Straßen bahn der Welt nimmt am 16. Mai in Groß-Lichterfelde ihren Betrieb auf

  • 1902

    Der „Hafermotor“ hat ausgedient, die Elektrifizierung des Streckennetzes ist abgeschlossen

  • 1938

    Es gibt 71 Linien, 2.823 Wagen, ein über 600 Kilometer langes Streckennetz und 14.400 Straßenbahner

  • 1945

    Bei Kriegsende sind 95 Prozent der Oberleitungen und 420 Straßenbahnwagen zerstört

  • 1961

    Der Mauerbau unterbricht die letzten Straßenbahnlinien zwischen dem Ost- und Westteil

  • 1979

    Die Renaissance der Straßenbahn beginnt: Die neuen Bezirke im Ostteil der Stadt werden mit der Straßenbahn erschlossen

  • 1995

    Rückkehr der Straßenbahn in den Westteil Berlins. Die Linien 23 und 24 fahren zum Louise-Schroeder-Platz

  • 1998

    Nach 32 Jahren fährt wieder eine Straßenbahn über den Alexanderplatz

  • 2015

    Großer Festakt zum Jubiläum am 22. Juni auf dem Alexanderplatz

In den Fahrzeugen der neuen Niederflurgeneration ist Platz für bis zu 240 Fahrgäste

In aller Regel fahren Straßenbahnen heutzutage auf Neubaustrecken im eigenen Gleisbett. Das ist gerade in Berlin wegen der vielen breiten Straßen zum Glück möglich. Seit 1995 baut die BVG auch grüne Gleise, also solche mit Grasbepflanzung. Diese Rasengleise reduzieren die Flächenversieglung und reduzieren zusätzlich die Luftschall- und Geräuschbelästigung. Und noch einen Vorteil hat die Straßenbahn gegenüber Bussen: Seit 1881 ist sie in Berlin Vorreiter der Elektromobilität.

Portrait BVG-Straßenbahn-Chef Matschke

BVG-Straßenbahn-Chef Matschke

Straßenbahn-Chef Klaus-Dietrich Matschke trauert im Interview der guten alten Zeit nicht nach und wirft einen Blick in die Zukunft

Mit über 600 Kilometern Streckennetz und fast 20.000 Mitarbeitern hatte die Straßenbahn in den 1920er-Jahren ihre große Blütezeit. Trauern Sie dieser Zeit nach?
Nein, überhaupt nicht. Stadt- und verkehrspolitische Entwicklungen lassen sich nicht zurückdrehen. Heute haben wir ein integriertes System, in dem jedes Verkehrsmittel seine spezifischen Vorzüge entfalten kann.
Und welche Funktion hat die Straßenbahn in diesem System?
Heute ist sie nur noch auf einigen Relationen wie in Marzahn oder Hohenschönhausen Hauptverkehrsmittel. Andere Linien wie die M10 oder M13 ergänzen S- und U-Bahn, und in Pankow oder Köpenick dient sie der Flächen erschließung. Jede Funktion für sich ist unverzichtbar.
Die Straßenbahn erlebt weltweit eine Renaissance – woran liegt’s?
Die Straßenbahn ist umweltfreundlich, nutzt modernste Technologien, hat die gleiche Kapazität wie zwei Gelenkbusse oder 160 Pkw, nimmt aber viel weniger Platz auf der Straße ein. Auf eigener Trasse fährt sie regelmäßig am Stau vorbei.
Hat es ein Straßenbahner heute leichter als seine „Vorväter“?
Ja und nein. Die Arbeitsbedingungen sind heute viel besser. Bis nach dem Krieg musste der Fahrer stehen! Und seine Heizung waren ein dicker Wintermantel und Filzstiefel. Dafür stellt die heutige Technik ganz andere Anforderungen.
Aus der Kutsche auf Schienen ist ein fahrender Hightech-Computer geworden. Und auch das Arbeitsumfeld erfordert heute eine viel höhere Aufmerksamkeit, es gibt viel mehr potenzielle Konfliktpunkte mit anderen Verkehrsteilnehmern. Wie sieht eine Straßenbahn in 30 Jahren aus?
Das ist natürlich spekulativ, aber eine oberleitungsfreie Straßenbahn könnte ich mir durchaus vorstellen, ebenso alternative Antriebsarten. Fest steht: Die Digitalisierung schreitet rasant voran.

Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)
Holzmarktstraße 15–17
10179 Berlin
Tel.: +49 30 25627901
Fax: +49 30 25628602
E-Mail
www.bvg.de