Unfrei, aber privat

Die Ausstellung Alltag in der DDR im Museum in der Kulturbrauerei

_von Frank Ebbinghaus, Senatskanzlei Berlin_

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„ Alltag in der DDR“ ist der Titel der Dauerausstellung im Museum in der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg

Die Dauerausstellung „Alltag in der DDR“ im neuen Museum in der Kulturbrauerei glänzt mit zahlreichen authentischen Erinnerungsstücken aus dem untergegangen Arbeiter- und Bauernstaat. Vom Trabi bis zu Tempolinsen ist vieles da, was die Menschen in der DDR besaßen und noch mehr, was sie bloß begehren konnten. Wo die Gegenstände das Wechselspiel von Entbehrung und Sehnsüchten beschweigen, werden sie durch authentische Film-und Tondokumente zum Sprechen gebracht. So entsteht eine oft dichte, sich aber nie zu einem Ganzen fügende Imagination von DDR-Alltag. Ein durchaus beabsichtigter Effekt. Denn statt grauer Uniformität sehen die Ausstellungsmacher in der DDR-Lebenswirklichkeit ein pralle Vielgestaltigkeit am Werk. Die Räume sind mit einer Sinnlichkeit durchtränkt, der man sich als Besucher kaum entziehen kann.

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Improvisation in der Mangelwirtschaft: selbst gebauter Ventilator mit Tee-Ei

Man hört, man sieht, jetzt will man riechen. Aber wo? Die Reizung der Sinne macht ein – nicht zu behebendes – Manko der Ausstellung bewusst. Ohne real-existierende DDR drumherum sind die Alltagsgegenstände bloßes Zitat und so natürlich wie ein Grizzlybär im Naturkundemuseum: Eindrucksvoll anzuschauen, aber ziemlich tot. Was einen paradoxen Eindruck hervorruft: Je detailgetreuer Rekonstruktionen ausfallen wie zum Beispiel die Interieurs der Gaststätte „Zur Grünen Linde“ aus Briesen im Spreewald oder der mit einschlägiger Presse bestückte Zeitungskiosk, desto deutlicher zeigen sie den Verlust ihres historischen und sozialen Kontextes an. Die Botschaft wirkt erhellend, bleibt aber unvollständig.

So war jener eigentümliche Geruch, den DDR-Besucher mal als Lysol, mal als Wofasept zu identifizieren glaubten, kein beliebiges Accessoire, sondern geradezu ein Lebensbeweis für den Arbeiter- und Bauernstaat. Während Reisende die DDR an diesem omnipräsenten Desinfektionsmittel erkannten, stank den Bewohnern Leunas Braunkohlerauch und verstopfte Toiletten. Die DDR war auch eine olfaktorische Zwangsherrschaft, die ganz normale Bürger wie oppositionelle Umweltaktivisten gegen sich aufbrachte. Auch davon erzählt die Ausstellung. Doch eine Geruchsprobe findet man eher beiläufig und ausgerechnet dort, wo die DDR am privatesten war: In der detailliert rekonstruierten und voll ausgestatteten Datsche vom Typ Bungalow B 34. Wer seine Nase durchs geöffnete Fenster hält, den umweht ein Geruch, über den der westdeutsche Journalist Dieter E. Zimmer einst schrieb: „Er stiftete Heimat. Er schenkte Identität.“

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Das Autodachzelt war eine vielseitige und kostengünstige Lösung des Campings in Ostdeutschland

Dass gerade die private und als solche ihren Besitzern allerheiligste Datsche nach DDR riecht, ist eine schöne Volte in dieser kleinen, aber sehr feinen Ausstellung. Denn der Naseneindruck bestätigt eine These, für die hier ohne erhobenen Zeigefinger zahlreiche Belege präsentiert werden: Dass es in der DDR keine Refugien des Alltags gab, die vor staatlichem Zugriff sicher waren. Die kleinen Freiheiten und größeren Glücksmomente, die mitunter bis heute schwärmerisch als Beleg für die Existenz repressionsfreier Zonen der Normalität herangezogen werden, zeugen weniger von der Abwesenheit des allmächtigen Staatsapparats als von seiner Unsichtbarkeit.

So verfliegt der Eindruck bildungsbürgerlicher Beschaulichkeit, den das mit heimeliger Couch, gefüllten Bücherregalen und anderen Utensilien privater Distinktion nachgebildete Wohnzimmer ausströmt, durch die Dokumentation einer umfassenden Stasi-Bespitzelung, die sich hier zugetragen hat. Sie galt dem dissidierenden Ost-Berliner Ehepaar Elfriede und Ekkehard Maaß. Ihr Wohnzimmer war ein bekannter Salon, der Andersdenkende zusammenführte. Zu den Vorzügen der Ausstellung gehört, dass sie ein Leitmotiv klassischer DDR-Aufarbeitung frisch und geradezu elegant inszeniert. Wer die allgegenwärtigen Widersprüche zwischen Realität und Propaganda ansprach, wer sich kritisch äußerte über real existierende Härten und Unzulänglichkeiten, den hatte die Staatsmacht auf dem Schirm. Eindrucksvoll lesen sich die Briefe eines NVA-Wehrpflichtigen, der sich über den Stumpfsinn seiner Ausbildung auslässt und darüber seinen sicher geglaubten Studienplatz verliert. Berührend ist das Beispiel eines 19-Jährigen, der wegen Westkontakten und des Besitzes von Orwells Roman „1984“ ins Zuchthaus einfährt.

Und nicht jedem Besucher dürfte bekannt sein, dass es auch nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR immer wieder brodelte. So 1976 anlässlich der 1.000-Jahr Feier von Altenburg, als unzufriedene Jugendliche mit dem Ruf „Wir wollen frei sein, machen, was wir wollen“ in aller Öffentlichkeit mit Polizei und Stasi aneinandergerieten.

Im Großen wie im Kleinen dokumentiert die Ausstellung zahlreiche Beispiele von Eigensinn und Unangepasstheit. Filmausschnitte zeigen DDR-Bürger bei der geschickten Selbstermächtigung, wenn sie Alltagsmängel offen aussprachen, ohne die Verantwortlichen beim Namen zu nennen. Kaum etwas fürchteten SED-Funktionäre mehr.

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Typische Skulptur des „Arbeiter- und Bauernstaates“ in der DDR

Unfreiheit und Mangelwirtschaft trotzten die Menschen mit Kreativität und Chuzpe Nischen der Selbstbestimmtheit ab, die sie, wie die 1976 erfundenen Autozelte auf dem Trabi- Dach, „Freiheit im Zelt“ nannten, wohl wissend, dass die Unfreiheit immer mitfuhr.

Als bunte Vielfalt zeichnet die Ausstellung den Alltag in der DDR. Das lockere Nebeneinander unterschiedlicher Themen, das nicht nur den begrenzten Platzverhältnissen geschuldet ist, streift mitunter zwar die Beliebigkeit, schafft aber Freiraum für unbefangene Annäherungen an ein hochkomplexes Thema. Dass die Besucher dabei nicht in das Minenfeld einer Diktatur und Unfreiheit beschönigenden Normalität des DDR-Alltags geraten, ist ein nicht geringer Verdienst der Ausstellung.

Vielfältiger wird auch die zeitgeschichtliche Berliner Museumslandschaft durch diese vorzügliche, von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ausgerichtete Schau. Beim Thema Alltag hatte bislang das privat betriebene DDR-Museum ein Alleinstellungsmerkmal. Dem Museum in der Kulturbrauerei gelingt freilich ein vielschichtigerer Blick auf einen DDR-Alltag, der seine Normalität aus der permanenten Konfliktträchtigkeit bezog.


Museum in der Kulturbrauerei
Knaackstraße 97
10435 Berlin
Tel.: 49 30 4677779-0
E-Mail: berlin@hdg.de