16. März 2014 – ein strahlender Frühlingssonntag in Paris! Zahlreiche Gäste erschienen am frühen Nachmittag in der Avenue de Ségur 27, um an Hanni Lévys Geburtstagsfest teilzunehmen. Vor genau 90 Jahren kam sie – ebenfalls an einem Sonntag – auf die Welt, aber nicht in Paris, sondern in Berlin-Tempelhof. Die beiden Kinder der Jubilarin, Nicole und René Lévy, haben für ihre Mutter dieses Fest vorbereitet.
Es war eine große Freude, Hannis Strahlen zu sehen, als sie ziemlich nichtsahnend am frühen Nachmittag den hellen Saal der Französisch- Jüdischen Pfadfinderorganisation betrat und mit ungläubigem Staunen in all die erwartungsvollen Gesichter der Überraschungsgäste sah, die sich ihr zu Ehren versammelt hatten.
Neben den fünf Enkelkindern, deren Partnern und den Urenkeln, neben vielen engen Freunden aus Paris und Frankreich waren auch mindestens zehn Gäste aus Berlin und Kassel gekommen. Das ist nicht selbstverständlich, sondern zeugt davon, wie wichtig der Jubilarin stets die Verbindung zu ihrer früheren Heimatstadt war – trotz der traumatischen Erfahrungen, die sie dort machen musste.
Ihre Eltern, Felix und Alice Weißenberg, starben noch vor Beginn der Deportationen in Berlin an Entkräftung und mangelnder ärztlicher Versorgung, und die geliebte Großmutter Cäcilie Oberländer wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert. Hanni blieb als achtzehnjährige Zwangsarbeiterin allein zurück. Als Anfang 1943 die Gestapo kam, um alle Jüdinnen und Juden des Hauses in der Augsburger Straße, wo sie zuletzt wohnte, zur Deportation „abzuholen“, folgte sie einem Impuls und flüchtete aus dem Gebäude auf die Straße. Wie durch ein Wunder gelang es ihr zu entkommen – ohne jede Vorkehrung für ein Leben im Untergrund, ohne Geld und Lebensmittel.
In dieser Situation eilte sie spontan zu nichtjüdischen Bekannten ihrer Familie, die ihr wenigstens in den ersten Tagen helfen konnten. Sie schickten das dunkelhaarige Mädchen zum Friseur, der ihr die Haare blond färbte. Nach einem kurzfristigen Versteck bei einer Hauswartsfrau, bei der sie nicht nur gute Erfahrungen machte, gelangte sie für einige Monate zu Familie Most nach Charlottenburg, wo sie freundliches Interesse und menschliche Wärme erlebte.
Als ihr Aufenthalt auch dort nicht mehr möglich war, fand sie in der engen Wohnung von Viktoria Kolzer in der Schöneberger Nollendorfstraße 28 Zuflucht. Jean Kolzer, der Mann ihrer Helferin, die in einem Kino als Kassiererin arbeitete, war schon alt und schwer krank, der Sohn an der Front. Frau Kolzer war wie eine Mutter für Hanni. Gemeinsam überstanden die Frauen die Bombennächte und Schrecken der letzten Kriegsmonate und erlebten die Befreiung. Hanni war eben ein Sonntagskind, wie ihre Mutter immer betont hatte.
1946 verließ die junge Frau schweren Herzens Berlin, um in Paris in der Nähe ihres einzigen noch lebenden Onkels Walter Oberländer zu sein, der früh nach Frankreich emigriert war. Bald heiratete sie und bekam zwei Kinder. Paris wurde ihre neue Heimat.
Doch der Kontakt zu den Menschen, die ihr während der Zeit der schlimmsten Verfolgung beigestanden hatten, riss nie ab. Sie fuhr immer wieder nach Berlin, um Viktoria Kolzer und Familie Most zu besuchen, sorgte dafür, dass ihre Helfer von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt wurden, und lud Einzelne nach Paris ein, „um sie zu verwöhnen“, wie sie gerne sagt.
Besonders für Renate Schrader, Viktoria Kolzers Enkelin, die schon als Jugendliche zu ihr nach Paris fahren durfte, wurde Hanni Lévy eine wichtige Bezugsperson – und so ist es bis heute geblieben.
Hanni Lévy hat bei ihren zahlreichen Berlinbesuchen viele Kontakte aufgenommen: Mit Katharina Kaiser, die ihr ein Album in der Schöneberger Ausstellung „Wir waren Nachbarn“ gewidmet hat, mit dem Jüdischen Museum Berlin, später auch mit der Gedenkstätte Stille Helden, wo die Besucher ebenfalls ihre Geschichte nachlesen können.
Als Hanni Lévy eines Tages mit einem Filmteam den Innenhof der Nollendorfstraße 28 betrat und auf Kolzers Wohnung im Parterre des Seitenflügels zeigte, wurden Hausbewohner auf sie aufmerksam. 2010 ließ die Hausgemeinschaft eine Gedenktafel für Viktoria und Jean Kolzer anbringen, die Ende 1943 das ihnen unbekannte jüdische Mädchen aufgenommen und ihm das Leben gerettet hatten. In Anwesenheit von Hanni Lévy und ihrer Familie hielt Renate Schrader, die Enkelin der Kolzers, eine eindrucksvolle Gedenkrede für ihre Großeltern.
Wir wünschen Hanni Lévy Mazel Tov, Gesundheit, viel Freude auf ihrer Mühle in Frankreich und weitere Berlinbesuche mit vielen Begegnungen.