Blind zum Ziel

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Die jungen Eltern: Johanna und Rafael Perez mit ihrem Sohn Heinz

Ich will so kurz wie es mir möglich ist, über meine verstorbenen Schwiegereltern Rafael und Johanna Perez, geb. Bender, und Heinz, ihren verstorbenen Sohn, meinen verstorbenen Mann und Vater meiner Tochter Michal, erzählen.

Mein Schwiegervater, Rafael Perez, ein bulgarischer Jude aus einer armen sephardischen Familie, wurde am 10. Mai 1890 in Plowdiv geboren. Schon als kleines Kind sah er sehr wenig und vermutlich lag es am Mangel medizinischer Versorgung, dass er mit etwa acht Jahren vollständig blind war. Doch da er intelligent und aufgeweckt war, wollte die jüdische Gemeinde etwas für seine Bildung tun und schickte ihn in das Blindenheim nach Jerusalem, das heute noch existiert. Da war er 14 Jahre alt. Seine Lehre zum Bürstenmacher gab er bald zugunsten des Musikstudiums auf. Zu seinen Lehrern zählte der bekannte A. Z. ldelson, ein Spezialist der jüdischen Volksmusik.

Sein Musiklehrer stellte fest, dass der Junge musikalisch hochbegabt war und dass er am Stern Konservatorium in Berlin Musik studieren müsste. Es gelang Rafael, als er 20 Jahre alt war, nach Berlin zu kommen, im jüdischen Blindenheim zu wohnen und am Stern Konservatorium zu studieren. Während seiner ersten Jahre in Berlin reiste er mehrmals nach Bulgarien, um seine Mutter zu besuchen. Er gab dort auch Violinkonzerte und verdiente sich so etwas Geld. Schnell fand er sich in Berlin zurecht und war im Stande, allein mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt zu fahren. Ich weiß nur, dass er mehrere Instrumente, darunter auch Geige, spielte und einen herrlichen Tenor hatte.

Er arbeitete verschiedenes, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, lernte auch in einer Klavierfabrik das Klavierstimmen, sang trotz seiner Blindheit in einem Synagogenchor und bekam dafür eine Bezahlung. Allmählich bekam er Kunden als Stimmer und das wurde sein Hauptberuf.

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Rafael Perez mit seiner Frau und seinem Sohn

Als Sänger wurde er zu Hauskonzerten eingeladen, wo er beispielsweise Schubert, Schumann und Hugo Wolf sang. In einem solchen lernte er Johanna Bender, meine Schwiegermutter, geboren am 16. Januar 1888 in Berlin, aufgewachsen in Moabit, kennen, und sie verliebten sich ineinander. Sie heirateten 1919 unter Rabbiner Leo Baeck, und damit nahm sie den jüdischen Glauben an, trotz des Widerstandes der Familie: Johanna war evangelisch und wollte einen Juden heiraten, der noch dazu blind war und Ausländer. Sie war doch eine Berlinerin und protestantisch, die Eltern und die Schwester fürchteten, er werde sie in den finanziellen Ruin treiben und sprachen fortan nicht mehr mit ihrer Tochter.

Bis Johannas und Rafaels Sohn Heinz am 19. Juli 1920 zur Welt kam, was sie halbwegs versöhnte. Die Besorgnis der Familie Bender hat sich als unbegründet erwiesen. Die junge Familie Perez lebte glücklich, die Ehe der beiden war hervorragend, Rafael arbeitete fleißig als Klavierstimmer und hat seine kleine Familie gut ernähren können. Er bewegte sich selbstständig, sprach fließend Deutsch und machte auch mit seinem Gesang, unter anderem in der Synagoge in der Pestalozzistraße, weiter. Sie waren Mitglieder der Jüdischen Blindengemeinde und verkehrten öfter mit Johannas Cousin, Georg Bender, und seiner Familie. Diese hatte einen Sohn, Gerd, im Alter meines Mannes. Die beiden waren befreundet und spielten oft miteinander. Mit dem inzwischen verstorbenen Gerd, seiner Frau Editha und ihrem Sohn, Ulf Bender, hatten wir und haben wir noch stets Kontakt.

Familie Perez lebte also friedlich in Berlin Steglitz. Zuerst in der Elsässer Straße 85 und ab den späten zwanziger Jahren bis zur Auswanderung in einer kleinen Straße in Steglitz mit Namen Hühnensteig (Hausnummer uns unbekannt). Mein Mann lernte im Paulsen Gymnasium, bis das Jahr 1933 kam und mit ihm die Nazis. Allmählich wurde dann das Leben immer schwieriger. Heinz musste sein Gymnasium verlassen und in der weit entfernten jüdischen Schule Addas Israel weiter lernen. 1938 haben die Eltern beschlossen, Heinz nach Palästina zu schicken. Und so ist er, nach einer beruflichen Vorbereitung als Tischler in Berlin Niederschönhausen, im Oktober 1938 in Palästina mit dem Schiff gelandet. Er hat sich in Kiryat-Bialik (damals ein kleiner Vorort von Haifa, heute eine Stadt, die eine Partnerschaft mit Steglitz hat) niedergelassen, heiratete und bekam auch eine Tochter, Michal. Er war, wie sein Vater, ein sehr guter Sänger von klassischer Musik und arbeitete 40 Jahre lang als Klavierstimmer, ein Beruf, den ihm sein Vater noch in Deutschland beigebracht hatte.

1939 gelang meinen Schwiegereltern dank eines Arrangements der britischen Regierung, 150 jüdischen, verdienstfähigen Blinden die Einreise nach England zu gewähren, im Mai 1939 nach London zu emigrieren. Bereits einen Tag nach seiner Ankunft nahm Rafael sein Werkzeug und ging Klaviere stimmen.

So machte er wiederum einen Neuanfang in einem fremden Land. Er lernte ganz schnell Englisch und war auch hier beruflich und gesellschaftlich (in der Jewish Blind Society) tätig. Meine Schwiegereltern besuchten ihren Sohn und mich mehrmals in Israel. Zum ersten Mal 1950, zwölf Jahre nach ihrem Abschied. Sie halfen uns auch bei unseren ersten Schritten hier. Mein Schwiegervater erreichte das 76. Lebensjahr, stets aktiv, bis ihn der Blutkrebs dahinraffte. Er starb im Januar 1967. Wir nahmen daraufhin meine Schwiegermutter bei uns in Kiryat Bialik in Israel auf, wo sie im August 1971 verstarb. Mein lieber Mann ist am 4. Oktober 2010 in Israel gestorben.


Alice Perez
Chiffre 141101