Als Sänger wurde er zu Hauskonzerten eingeladen, wo er beispielsweise Schubert, Schumann und Hugo Wolf sang. In einem solchen lernte er Johanna Bender, meine Schwiegermutter, geboren am 16. Januar 1888 in Berlin, aufgewachsen in Moabit, kennen, und sie verliebten sich ineinander. Sie heirateten 1919 unter Rabbiner Leo Baeck, und damit nahm sie den jüdischen Glauben an, trotz des Widerstandes der Familie: Johanna war evangelisch und wollte einen Juden heiraten, der noch dazu blind war und Ausländer. Sie war doch eine Berlinerin und protestantisch, die Eltern und die Schwester fürchteten, er werde sie in den finanziellen Ruin treiben und sprachen fortan nicht mehr mit ihrer Tochter.
Bis Johannas und Rafaels Sohn Heinz am 19. Juli 1920 zur Welt kam, was sie halbwegs versöhnte. Die Besorgnis der Familie Bender hat sich als unbegründet erwiesen. Die junge Familie Perez lebte glücklich, die Ehe der beiden war hervorragend, Rafael arbeitete fleißig als Klavierstimmer und hat seine kleine Familie gut ernähren können. Er bewegte sich selbstständig, sprach fließend Deutsch und machte auch mit seinem Gesang, unter anderem in der Synagoge in der Pestalozzistraße, weiter. Sie waren Mitglieder der Jüdischen Blindengemeinde und verkehrten öfter mit Johannas Cousin, Georg Bender, und seiner Familie. Diese hatte einen Sohn, Gerd, im Alter meines Mannes. Die beiden waren befreundet und spielten oft miteinander. Mit dem inzwischen verstorbenen Gerd, seiner Frau Editha und ihrem Sohn, Ulf Bender, hatten wir und haben wir noch stets Kontakt.
Familie Perez lebte also friedlich in Berlin Steglitz. Zuerst in der Elsässer Straße 85 und ab den späten zwanziger Jahren bis zur Auswanderung in einer kleinen Straße in Steglitz mit Namen Hühnensteig (Hausnummer uns unbekannt). Mein Mann lernte im Paulsen Gymnasium, bis das Jahr 1933 kam und mit ihm die Nazis. Allmählich wurde dann das Leben immer schwieriger. Heinz musste sein Gymnasium verlassen und in der weit entfernten jüdischen Schule Addas Israel weiter lernen. 1938 haben die Eltern beschlossen, Heinz nach Palästina zu schicken. Und so ist er, nach einer beruflichen Vorbereitung als Tischler in Berlin Niederschönhausen, im Oktober 1938 in Palästina mit dem Schiff gelandet. Er hat sich in Kiryat-Bialik (damals ein kleiner Vorort von Haifa, heute eine Stadt, die eine Partnerschaft mit Steglitz hat) niedergelassen, heiratete und bekam auch eine Tochter, Michal. Er war, wie sein Vater, ein sehr guter Sänger von klassischer Musik und arbeitete 40 Jahre lang als
Klavierstimmer, ein Beruf, den ihm sein Vater noch in Deutschland beigebracht hatte.
1939 gelang meinen Schwiegereltern dank eines Arrangements der britischen Regierung, 150 jüdischen, verdienstfähigen Blinden die Einreise nach England zu gewähren, im Mai 1939 nach London zu emigrieren. Bereits einen Tag nach seiner Ankunft nahm Rafael sein Werkzeug und ging Klaviere stimmen.
So machte er wiederum einen Neuanfang in einem fremden Land. Er lernte ganz schnell Englisch und war auch hier beruflich und gesellschaftlich (in der Jewish Blind Society) tätig. Meine Schwiegereltern besuchten ihren Sohn und mich mehrmals in Israel. Zum ersten Mal 1950, zwölf Jahre nach ihrem Abschied. Sie halfen uns auch bei unseren ersten Schritten hier. Mein Schwiegervater erreichte das 76. Lebensjahr, stets aktiv, bis ihn der Blutkrebs dahinraffte. Er starb im Januar 1967. Wir nahmen daraufhin meine Schwiegermutter bei uns in Kiryat Bialik in Israel auf, wo sie im August 1971 verstarb. Mein lieber Mann ist am 4. Oktober 2010 in Israel gestorben.