Die Schule, die keine Absolventen wollte

Mit der Machtergreifung Hitlers brach eine „mittelalterliche Finsternis“ über die Juden in Deutschland herein. Spott und Gemeinheiten, Verachtung, Ablehnung und Ausgrenzung schlugen uns Jugendlichen von allen Seiten entgegen, und das nagte und zehrte am Selbstbewusstsein, am Lebensstil, an der Identität.

Inmitten dieser grausamen Realität erhob sich im Herzen Berlins stark und hell wie ein Leuchtturm eine Institution, die den stolzen Namen Theodor Herzl Schule trug. Hier wurde niemand abgewiesen, jeder war willkommen und wurde mit offenen Armen aufgenommen. Man hatte wieder eine Identität, ein Selbstwertgefühl, man konnte wieder aufrecht gehen und fand Ruhe – und das im Auge des furchtbaren Sturms, der ringsum tobte und der einen selbst und die Eltern und die gesamte Gemeinde zu vernichten drohte.

Drei Dinge zeichneten die Theodor Herzl Schule aus: Der Unterricht, der zwischenmenschliche Umgang und die Atmosphäre. Alles war auf eine hebräisch-zionistische Erziehung und Bildung im Sinne der Jugendpionierbewegungen ausgerichtet. Der Unterrichtsstoff umfasste den gesamten Kulturschatz der aufgeklärten Welt, insbesondere – selbst in diesen finsteren Zeiten – das deutsche humanistische Gedankengut. Dazu noch folgte die Schule von Anfang an dem Prinzip der modernen Schule in Deutschland und rangierte, vor der fatalen politischen Wende, an der Spitze aller progressiven Lehrensmethoden in Deutschland.

Bis 1933 war die Schule klein und dünn besucht. Doch in den ein, zwei Jahren danach, als jüdische Schüler zuhauf die deutschen Schulen verließen, wurde der Zustrom stärker. Es grenzt an ein Wunder, dass es gelang, alle Widrigkeiten zu überwinden: Raum für zusätzliche Klassen, die ad hoc Aufnahme hunderter neuer Schüler – und das praktisch ohne Vorauswahl – und dutzender zusätzlicher Lehrkräfte, die zum Teil kaum Ahnung von jüdischen Lebensinhalten hatten und viele weit entfernt waren von progressiven Lehrmethoden.

Doch die Schüler von damals, heute 80 bis 90 Jahre alt und viele von ihnen Kibbutzmitglieder, spürten nichts von diesen Schwierigkeiten oder von den Existenzfragen dieser glorreichen Insel in Nazi Berlin. Alle haben einen Schatz an jüdischem und hebräischem Wissen mitbekommen. Doch wichtiger noch: Sie haben den zionistischen Traum verwirklicht. Viele von ihnen sind nach Palästina ausgewandert, haben hier Wurzeln geschlagen und erleben das Heranwachsen von Kindern und Kindeskindern im eigenen Land.

Und nun komme ich zum Titel dieses Aufsatzes. Jede normale Schule bemüht sich, ihre Schüler bis zum Ende zu halten, aber die Theodor Herzl Schule stellte sich (und uns) das außergewöhnlichste aller Ziele: Sie wollte keine (oder nur wenige) Absolventen. Von Beginn an und bis zu ihrer Schließung 1938 rief diese Schule all ihre Schüler dazu auf, das verfluchte Land zu verlassen, wenn möglich nach Palästina zu emigrieren, und wenn das nicht ginge, dann in irgendein anderes Land. Daher gibt es nur ganz wenige Ehemalige, die die gesamte Schullaufbahn bis zum Ende durchliefen: Das Gros der Schüler verließ die Schule mitten im Schuljahr. Bei der ersten Gelegenheit packten sie ihre Sachen und zogen hinaus in die Welt, die meisten nach Palästina (Israel gab es damals noch
nicht), viele ohne ihre Eltern, unter anderem (wie ich) mit der Jugend-Alijah.

So erwärmt die Tradition der Theodor Herzl Schule bis heute noch die Herzen. Wir blicken freudig zurück und staunen immer wieder über das großartige Erlebnis inmitten des Nazimorastes.


Joel (Mongo) Darom (Drucker)
Chiffre 131101