Sehr geehrte Frau Beasley,
Sie werden sich wundern, von einem Ihnen unbekannten Menschen einen Brief zu bekommen. Das möchte ich Ihnen hiermit gerne erklären. Dazu muss ich bis in die Kriegsjahre gedanklich zurückgehen.
Mit meinen Eltern wohnte ich damals in Berlin-Neukölln, Tellstraße 11. Sie und Ihre Mutter wohnten im selben Haus, Vorderhaus-Erdgeschoss-rechts, eine ehemalige Ladenwohnung. Wir beide haben sicher auch öfter zusammen gespielt. Sehr geehrte Frau Beasley, in den vielen Jahren, die vergangen sind, musste ich immer an Sie und Ihre Mutter denken. Denn es gab damals einen Tag, da waren Sie beide nicht mehr da.
Aus den Unterlagen habe ich alles erfahren, auch das Schicksal Ihres Vaters, dass Sie beide nach der Todesmeldung Ihres Vaters schon eine Woche später abgeholt worden sind. Zum Kriegsende war ich sieben Jahre alt und in diesem Alter macht man sich darüber auch nicht so viele Gedanken. Aber mit dem Älterwerden stellte ich mir oft die Frage, wo sind Sie geblieben. Ich stand öfter vor dem Hause Tellstraße 11 und konnte meine Gedanken nicht abschalten.
Jetzt, mit 74 Jahren, wollte ich Klarheit haben und wendete mich an das Jüdische Museum Berlin. Ich habe dort eine sehr nette junge Mitarbeiterin getroffen: Frau Ulrike Neuwirth. Ich erklärte ihr meine Fragen zur Tellstraße 11. Sie war sofort bereit, die Unterlagen aus dem Archiv zu besorgen. Eine Woche später konnten wir beide Ihre Unterlagen durchsehen. Meine Freude war sehr groß, als ich aus den Unterlagen feststellten konnte, dass Sie beide das Vernichtungslager lebend überstanden haben. Wäre es anders gekommen, liebe Frau Beasley, hätte ich jetzt zwei Stolpersteine setzten lassen.
Ich bin sehr froh, dass Sie leben. Ich habe diese Gedanken nach dem Wenn und Aber 67 Jahre mit mir herumgetragen. Nunmehr mit der Gewissheit, eines guten Ausgangs, habe ich meinen Frieden gefunden.