Künstler, Organisator, Exilant

Das Eugen-Spiro-Archiv in der Akademie der Künste

_von Michael Krejsa, Leiter des Archivs Bildende Kunst_

„Wir kommen sicher wieder, wir kommen sicher wieder.“ Dies war der innigste Wunsch von Peter Spiro, den er 1935 als 15-Jähriger – als die Familie Spiro Berlin verlassen musste – im Taxi auf dem Weg zum Bahnhof weinend wiederholte. Und Peter Spiro kam wieder nach Berlin: Am 1. Juni 2011 fand in der Akademie der Künste am Pariser Platz die Archivpräsentation „Eugen Spiro. Künstler, Organisator, Exilant“ statt. Mit dieser Veranstaltung konnte das Archiv Bildende Kunst den schriftlichen Nachlass des Porträt- und Landschaftsmalers Eugen Spiro (1874 Breslau – 1972 New York) vorstellen, der jahrzehntelang als eine wichtige „Institution“ der Berliner bildenden Kunst galt. Sein in London lebender Sohn, Peter Spiro, hatte der Akademie der Künste im September 2007 zu einem schriftlichen Teilnachlass seines Vaters verholfen, der sowohl die Berliner als auch die Pariser Lebensumstände des Künstlers dokumentiert. Diese Zeit steht auch im Zentrum des Erinnerungsromans „Nur uns gibt es nicht wieder“ von Peter Spiro (Edition Memoria, 2010), der ebenfalls an diesem Abend mit einer Lesung des Schauspielers Wolfgang Unterzaucher vorgestellt wurde. Die Rückkehr nach Berlin fand auch ihren Ausdruck in der Enthüllung einer Erinnerungstafel am ehemaligen Haus der Künstlerfamilie in der Reichsstraße 106 in Berlin-Charlottenburg.

Das Eugen-Spiro-Archiv dokumentiert in seinem Kern die Geschichte des Freien Deutschen Künstlerbundes in Paris, der wichtigsten Emigrantenorganisation der Bildenden Künstler im französischen Exil der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die knapp einen halben laufenden Meter umfassenden Dokumente geben Einblick in die Arbeits- und Lebensverhältnisse der aus Deutschland und Österreich zwischen 1933 und 1939 in die französische Kulturmetropole geflohenen Künstler. Der Künstlerbund verstand sich – ähnlich wie der Freie Deutsche Kulturbund in Großbritannien – als überparteiliche Organisation von Gegnern der Nationalsozialisten, die in ihren schriftlichen Unterlagen von den Bemühungen der Künstler um eine weltweite, öffentlichkeitswirksame und repräsentative Vereinigung im Kampf gegen die nationalsozialistische Kulturpolitik berichten. Der Teilnachlass von Eugen Spiro ergänzt in hervorragender Weise die in der Akademie vorhandenen Archive von emigrierten Künstlern, von denen mit Blick auf Großbritannien hier nur die Archive der Bildhauer Theo Balden, Benno Elkan und Heinz Worner sowie des Fotomonteurs John Heartfield erwähnt sein sollen. Sie wurden 2010 am Pariser Platz in zwei Vitrinenpräsentationen vorgestellt. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war neben Großbritannien, der Tschechoslowakei und den Vereinigten Staaten, Frankreich das Hauptaufnahmeland für die ins Ausland getriebenen bildenden Künstler. Wie Eugen Spiro hatten viele deutsche Künstler bereits vor ihrer Flucht in Paris gearbeitet und verkörperten auch mit ihren Lebensläufen die Kontinuität einer langen Kunsttradition.

Die Erwägung der erneuten Rückkehr Spiros nach Frankreich war politischer Natur. Als entscheidender Auslöser für Eugen Spiros Schritt, seine Berliner Wohnung und damit Deutschland in Richtung Frankreich zu verlassen, kann wohl ein Schreiben des Architekten und Präsidenten der Reichskammer der Bildenden Künste – Eugen Hönig – angesehen werden. Er untersagte dem damals sechzigjährigen jüdischen Maler am 20. Oktober 1934 die weitere Berufsausübung als Maler und Grafiker, was auch die unmittelbare Aufgabe seiner Malschule zur Folge hatte.

So entschied sich Eugen Spiro schließlich am 2. September 1935 – unterstützt vom französischen Botschafter in Berlin – nach Paris zu gehen. Mit der französischen Sprache gut vertraut, konnte Eugen Spiro die vor dem Ersten Weltkrieg in Paris geknüpften Freundschaften reaktivieren, neue Kontakte knüpfen und sogar wieder unterrichten. Somit durfte er sich in Paris beinahe mehr als Gast denn als Flüchtling betrachten. Er hatte die Möglichkeit, eine große Wohnung im Palais der begüterten Freundin und Förderin Baronin von Goldschmidt-Rothschild zu nutzen. Im Vergleich zu anderen Emigrantenschicksalen war dies ein sehr glücklicher Umstand, der zusätzlich durch die Vermittlung eines Ankaufs von mehreren Bildern für eine ausreichende materielle Absicherung sorgte.

Sich dieses Vorteils bewusst – und in genauer Kenntnis der Situation politisch und künstlerisch isolierter Maler, Grafiker, Bildhauer und Kunsthistoriker – begann Eugen Spiro sofort sein in Berlin erprobtes und bewährtes Talent als Kulturorganisator einzusetzen. Er konnte dabei auf seine hervorragenden Künstlerkontakte und seine langjährigen Erfahrungen als führendes Mitglied der „Berliner Secession“, als „Vorsitzender des Kartells der Vereinigten Verbände bildender Künstler“, als Mitglied des „Deutschen Künstlerbundes“ als auch als Vorsitzender der „Deutschen Sektion der Internationalen Liga gegen Antisemitismus“ zurückgreifen. Gemeinsam mit den Malern Heinz Lohmar und Gert Wollheim sowie dem Kunstkritiker Paul Westheim gründete er am Abend des 20. April 1938 im Pariser Café „Mephisto“ am Boulevard Saint-Germain den „Freien Deutschen Künstlerbund“. Als Erster Vorsitzender des Künstlerbundes trat er für die Vereinigung aller deutschen und österreichischen Künstler im Ausland ein und setzte damit ein starkes Zeichen gegen die Kulturzerstörung in Deutschland, das auch dort nicht unbeachtet blieb.

Spiro und die genannten Künstler griffen mit dieser Gründung die Idee des bereits seit 1936 von Emigranten in Paris bestehenden „Kollektivs deutscher Künstler“ auf und erweiterten zugleich die bündnispolitische Basis der Gegner des Nationalsozialismus unter den Exilierten und der den Emigranten gewogenen französischen Bevölkerung. Als Präsident des Künstlerbundes wurde – analog zum Freien Deutschen Kulturbund in Großbritannien – Oskar Kokoschka gewählt, der nach anfänglicher Zurückhaltung auch in Paris diese Funktion übernahm. Die im Archiv vorhandenen Briefschaften von und an den Künstlerbund sowie dessen Sitzungsberichte aus den Jahren zwischen 1937 und 1939 belegen die starken internationalen Verbindungen.

Die wichtigste und erfolgreichste Leistung des Bundes war die Organisation der Ausstellung „Freie Deutsche Kunst“ vom November 1938, eine unmittelbare Reaktion auf die Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ in Deutschland. Hinzu kam die Herausgabe eines eigenen Mitteilungsblattes unter dem Redaktionsvorsitz von Paul Westheim. Wie wirkungsvoll die Arbeit der Vereinigung und ihrer Förderer in Deutschland angesehen wurde, belegt die Tatsache, dass nach der Besetzung von Paris im Sommer 1940 große Teile der schriftlichen Unterlagen offensichtlich gemeinsam mit anderen Beständen deutscher Exilkünstler von der Gestapo beschlagnahmt und nach Deutschland zur Auswertung verbracht wurden, um ein genaues Bild über die kulturpolitischen Tätigkeiten der vom Nationalsozialismus vertriebenen Künstler zu erhalten und diese entsprechend zu verfolgen.

Eugen Spiro selbst erinnert sich an diese Zeit nur in knappen Worten: „Mein letztes Portrait war das des Baron Edouard Rothschild, was nicht ganz vollendet war, als 1940 der Auftraggeber und schließlich ich selbst vor den hereinziehenden Nazis flüchten mussten. Das war im Juni 1940, und selbstverständlich musste ich alles Hab und Gut inklusive Bilder in Paris zurücklassen.“ Ehe der Künstler wieder frei von den geschilderten Lasten malen und schreiben würde, sollte einige Zeit vergehen. Im April 1944 konnte er seinem alten Freund, dem Pianisten und Komponisten Artur Schnabel zu dessen 62. Geburtstag aus New York all das wünschen, was er sich hart erarbeitet hatte und sehnlichst selbst wünschte: „Heil, Segen, Glück und Freude, Kraft und Gesundheit, langes Leben mit stetig immer noch wachsendem künstlerischem Schaffen“. Die Dokumente dieser freundschaftlichen Beziehung kann man heute im Artur-Schnabel- Archiv nachlesen und das Artur Schnabel-Porträt von Eugen Spiro aus dem Jahr 1945 auch künftig in der Kunstsammlung der Akademie der Künste in Augenschein nehmen. Für die neuen Eugen-Spiro-Archivalien danken wir Peter Spiro!


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