Auf dem Plan sieht er aus wie ein Garten der Renaissance: eine Geometrie von Rechteck, Trapez und Dreieck. Die Alleen kreuzen sich in Kreisen und Quadraten. Aber wer die Anlage betritt, fühlt sich wie an einem verwunschenen Ort. Morgentau und Nebel, hohe Bäume, Dickicht. Dazwischen Säulen, Steine, Mausoleen und von rechts ein kleiner Fuchs – der Jüdische Friedhof Weißensee.
Er ist der größte in Europa, auf dem noch immer bestattet wird. Etwa 86 Fußballfelder hätten dort Platz. Das Besondere ist: Weder der Friedhof noch sein Archiv sind je zerstört worden – ein Paradies für Geschichtensammler.
Doch als ich gefragt wurde, ob ich einen Dokumentarfilm über Weißensee drehen möchte, war ich skeptisch. Ein Friedhofsfilm? Wer will sich den anschauen? Umgestimmt haben mich die vielen Hundert Briefe, die ich nach einem Aufruf in aktuell bekam. Das war im Mai 2007 – vor genau vier Jahren. Ich hoffte, dass die Angehörigen mir vielleicht mit Geschichten vom Friedhof und den dort Bestatteten weiterhelfen könnten. Mit 20, 30 Zuschriften hatte ich gerechnet. Aber innerhalb weniger Wochen meldeten sich fast 250 Menschen! Die Briefe kamen aus Neuseeland, Argentinien, Südafrika, Kanada, den USA, Australien, Israel und allen Teilen Europas. Die meisten Umschläge waren gefüllt mit alten Fotos, Erinnerungen oder kleinen Andenken. Das war eine schöne Überraschung, aber auch eine überwältigende. Ziemlich schnell musste ich mir eingestehen, dass ich die bald auf zwölf Aktenordner anwachsende Korrespondenz nicht alleine bewältigen konnte.
Mithilfe der Friedhofsverwaltung und einem kleinen Team an Mitarbeiterinnen wurde jedes einzelne Grab aufgespürt, Lebenswege recherchiert und Briefe beantwortet – auch wenn manch einer mehrere Monate darauf warten musste.