Ich erfuhr, dass am gleichen Tag des Festes ein riesiger Marathonlauf in Berlin stattfand und keine Hotelzimmer mehr frei waren. Als ich die Hausbewohner davon in Kenntnis setzte und um ein anderes Datum bat, bot man sich gleich spontan dazu an, uns zu beherbergen. Wir, das heißt, meine Enkeltochter, meine Tochter und ich nahmen Quartier bei Frau M., der Dame, die mich ins Haus gelassen hat.
Mein Sohn und Familie Kolzer hatten doch noch woanders Unterkunft gefunden. Nun machte ich wirklich mit allen Bekanntschaft. Auch mit Herrn J., dem Wohnungsinhaber. Da die Wohnung vermietet war, hatte er seinen Mieter gebeten, sich für das Wochenende eine andere Bleibe zu suchen, damit wir die Wohnung für das Fest haben können! Eine unglaublich großzügige Geste. Alle bereiteten uns einen sehr herzlichen Empfang und waren gerührt und erfreut, uns kennenzulernen. Wir natürlich auch. Das erste Mal, nach beinahe 60 Jahren schlief ich wieder in „meinem“ Haus! Wie Frau M. sagte: „ohne Angst haben zu müssen“. So vieles ging mir durch den Kopf in dieser Nacht.
Familie Kolzer war nun auch eingetroffen, um Bekanntschaft zu machen. Am Abend waren wir alle bei Frau M. zu Gast. Auch alle, die mit ihrem großen persönlichen Einsatz dieses Zusammentreffen ermöglicht hatten. Es wurde ein sehr gemütlicher Abend. Stunden vorher kannte man sich noch gar nicht, und plötzlich hatte man das Gefühl, alte liebe Freunde wiedergefunden zu haben! Man erklärte uns auch, was alles für den Sonntag vorbereitet worden war. Die Wohnung wurde zur Verfügung gestellt und ein kaltes Buffet war auch auf dem Programm. Ich muss dazu sagen, dass „meine“ Wohnung nun ein großes modernes Loft geworden war! Für mich eine unglaubliche Entdeckung. Aber ein Glück für das Fest. Denn leider brach der Sonntag mit Regen an. Wir hatten gehofft, im Hof feiern zu können. Nun kam uns die Wohnung sehr zu Hilfe. Diese Feier sollte für uns eine große Überraschung werden! Niemals hätte ich mir ausmalen können, was ich erlebt habe: Trotz des Regens kamen sehr viele
Menschen. Nicht nur die Hausbewohner und die norwegischen Freunde des Hausherrn, auch Bewohner der Straße sowie auch Verantwortliche der Organisationen, die dafür sorgen, dass nichts mehr vergessen wird. Es war da Frau K., die die Ausstellung „wir waren Nachbarn“ ins Leben gerufen hatte. Ohne sie hätte diese Zusammenkunft nicht stattgefunden. Und die verantwortliche Dame von der Gedenkstätte „Stille Helden“ kam, die auch meine Geschichte beherbergt. Und eine Vertreterin des Jüdischen Museums, sowie der Filmemacher, der im vorigen Jahr eine Reportage mit mir begonnen hatte und so den Epilog filmen konnte! Ich lernte auch die Tochter einer Nachbarin aus dem ersten Stock über „uns“ kennen, die mir so manches erklärte, was ich nie gewusst habe. Aber auch viele Unbekannte kamen, die mich spontan und herzlich begrüßten und sich freuten, meine Bekanntschaft zu machen und dabei sein zu können.
Jeder wollte uns kennenlernen. Man dankte uns, dass wir gekommen waren! Natürlich gab es einige kleine Ansprachen. Von der Hausgemeinschaft und auch von Frau Kolzers Enkelin. Auch ich sagte allen meinen Dank für diesen sehr ergreifenden Augenblick. Die allgemeine Ergreifung war sehr fühlbar, die Menschen um uns herum waren „wirklich dabei“!
Nun kam auch der Moment, dass man die Tafel anbrachte. Trotz des Regens war es ein fast andächtiger Augenblick, als mein Sohn sowie der Urenkel von Frau Kolzer, seine Mutter und ich das Schild anbrachten – im strömenden Regen. Aber mit vielen Regenschirmen und nicht wasserscheuen Menschen um uns herum.
Ich habe das Gefühl, dass es sehr schwer ist, die richtigen Worte zu finden, um alles ausdrücken zu können, was dieser Tag gebracht hat. Vor allem, um der wunderbaren Hausgemeinschaft zu danken. Für ihren Einsatz und ihre Großzügigkeit mit der sie bewiesen haben, dass es wieder Menschen mit Herz und Verantwortung gibt. Ohne Vorbehalt und mit dem Gefühl, dass man nichts vergessen will. Das ist eine große Genugtuung. Eine Genugtuung ist auch, dass man mutigen Menschen Anerkennung zeigt.
Dank dafür. Es war eben eine schöne Geschichte.