Am Berliner Rathaus wurde das Mittelalter entdeckt

_von Nikola Trboglav_

Mittelalter Am Berliner Rathaus

Die charakteristisch schmale Gasse des Großen Jüdenhofes um 1900

Wie aktuell schon in der vergangenen Ausgabe berichtete, finden archäologische Ausgrabungen in unmittelbarer Nähe zum Berliner Rathaus statt. So wurden verschollen geglaubte Kunstwerke und Fundamente des mittelalterlichen Rathauses bereits ausgegraben. Am Schlossplatz wurden Teile des alten Schlosskellers und des Eosanderportals freigelegt und auf dem Petriplatz die alte Lateinschule, eine der ältesten Bildungseinrichtungen der Stadt, sichtbar gemacht. Nun werden neben ausgegrabenen Kellerräumen aus dem 18. und 19. Jahrhundert auch Reste einer mittelalterlichen Synagoge und eines jüdischen Ritualbades, einer Mikwe, vermutet. Das Stadtbild des historischen Berlins könnte so um ein herausragendes Objekt erweitert werden – den Großen Jüdenhof.

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Häuser des Jüdenhofes um 1926 – Im Hintergrund das Stadthaus

Der ehemalige Große Jüdenhof stellte das Zentrum des jüdischen Lebens im mittelalterlichen Berlin dar. Die Berliner Juden mussten nicht in Ghettos leben, sie wohnten jedoch nah beieinander im Klosterviertel – ganz in der Nähe des Berliner Rathauses. Sie wurden gezielt in dem Gebiet des heutigen Molkenmarktes angesiedelt, da hier überwiegend Kaufleute das Geschehen bestimmen sollten. Da es Juden verboten war, einem Handwerk nachzugehen, haben sie als Kaufleute ihre wirtschaftliche Existenz gesichert. 1937/38 erfolgte der teilweise Abriss von vier Häusern für den Neubau des heutigen Neuen Stadthauses. 1950/51 wurden die Reste des im Krieg schwer beschädigten Großen Jüdenhofes abgeräumt.

Die jüdische Geschichte an diesem Ort endete abrupt im 16. Jahrhundert mit den Pogromen und der Vertreibung der Juden aus Berlin. Nach dem Tod des Kurfürsten Joachim II. wurde dessen jüdischer Münzmeister Lippold unter dem Vorwurf der Zauberei und des Mordes am Kurfürsten hingerichtet. Nach dieser Hinrichtung sollten die Juden „für alle Ewigkeit“ aus der Mark Brandenburg vertrieben werden. Erst etwa 100 Jahre später siedelten sich Juden wieder in Berlin an. Diese Ansiedlung bildet den Ursprung der heutigen jüdischen Gemeinde. 500 Jahre nach der ursprünglichen Erbauung des Großen Jüdenhofes soll auf Antrag des Berliner Landesdenkmalamtes nun der Beitrag der jüdischen Kultur zur frühen Stadtentwicklung Berlins sichtbar gemacht werden.

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Bei den Ausgrabungen wurden Kellerräume bereits freigelegt

Der im Hochmittelalter angelegte Große Jüdenhof umfasste zwölf Gebäude, die um einen annähernd quadratischen Hofraum zwischen der heutigen Jüden- und Klosterstraße angelegt waren. Der Jüdenhof war nur durch eine schmale Gasse zu erreichen. „Charakteristisch für die mittelalterlichen Jüdenhöfe. Die Juden stellten eine Minderheit dar und suchten sich Räume, in denen sie ungestört ihren Glauben ausleben und ihrem Gemeindeleben nachgehen konnten“, sagt der Bauleiter der Ausgrabungen, Torsten Dressler vom Archäologiebüro ABD-Dressler. Ebenfalls typisch für solche Bauten waren Gebetsstätten und Ritualbäder. Unregelmäßigkeiten in der Anordnung des Jüdenhofes weisen darauf hin, dass genau hier Teile einer Synagoge und einer Mikwe schon alsbald aufgedeckt werden könnten. Solche Bauten haben die Archäologen in Jüdenhöfen anderer Städte schon mehrfach entdeckt.

Seit Anfang Juli 2011 graben die Archäologen erstmals an diesem Ort, dem ältesten Viertel der Hauptstadt, in der Nähe des Berliner Rathauses an der Grunerstraße nach den Resten des mittelalterlichen Berlins. Wenn sich die Vermutungen der Archäologen bestätigen, könnte man die Vorgeschichte der großen jüdischen Tradition Berlins erfassen. „Die sauber aus Ziegelstein ausgebildeten Wände und der akkurate Ziegelsteinboden in den ersten zwei Kellern stammen aus dem 18. Jahrhundert. Der helle gestampfte Lehmboden ist deutlich älter, der stammt unzweifelhaft aus dem 13. Jahrhundert“, erläutert der Grabungsleiter Dessler.

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Grabungsleiter Dessler an der Mauer, unter der die mittelalterliche Synagoge vermutet wird

Der Bezirk Mitte erweist sich als besonders fruchtbares Pflaster, was archäologische Ausgrabungen angeht. Am Alexanderplatz und am Spittelmarkt wurden Friedhöfe ausgegraben, am Schlossplatz wurden die Fundamente der Hohenzollernresidenz sichtbar gemacht. Am Petriplatz nahe der Gertraudenbrücke wurden neben den Fundamenten der Petrikirche auch alte Balken eines Holzkellers gefunden, die auf das Jahr 1212 datiert werden konnten. Cölln scheint daher schon vor der offiziellen Stadtgründung 1237 besiedelt gewesen zu sein. Bei Grabungen vor dem „neuen“ Berliner Rathaus wurden Reste des mittelalterlichen Berliner Rathauses aus dem 13. Jahrhundert entdeckt. Diese sollen in den neuen Bahnhof der Linie U5 integriert werden.

Ein Teil der Stadtgeschichte könnte durch den Rückbau der Grunerstraße zumindest vom Grundriss her wiederbelebt werden. „Wir möchten Reste dieses noch nie archäologisch erforschten Viertels in die Neubauten integrieren, die hier demnächst entstehen“, sagte der für den Denkmalschutz zuständige Landeskonservator Jörg Haspel. Wann das Areal sowie das Klosterviertel bebaut werden, ist noch offen.


Der Autor studiert Rechtswissenschaften
an der Freien Universität
Berlin und absolvierte ein Praktikum
in der Redaktion von _aktuell_ .