Meine Identität

Gerne will ich erzählen, wie wichtig das Geschäft LEISER für meine Identität gewesen ist.

Meine Schwester Hanna (sie war damals 17 Jahre alt) und ich (damals 8 Jahre alt) sind Anfang 1939 aus Berlin nach Holland geflüchtet. Sie können sich vorstellen, dass wir viele schwierige Momente in Verstecken miterlebt haben, bis wir 1945 befreit wurden.

Zurück nach Berlin kam nicht in Frage und hatte keinen Sinn, weil unsere Eltern und zwei Schwestern (Fanny und Jenny) und andere Verwandte ermordet worden waren. Wir blieben in Holland, ich heiratete, studierte Psychologie und nachdem ich fertig war, sind wir nach Israel emigriert. Meine Schwester und ihre Familie kamen einige Jahre später nach.

Für einen Psychologen (und nicht nur für ihn) sind Kindheitserinnerungen sehr wichtig und es mangelte mir daran, womit ich mich auch in der Analyse öfter beschäftigte. Es waren sehr viele Lücken, wie schwarze Löcher. An der Uni beschäftigte ich mich mit dem Thema Trauma und 1987 war ich Mitbegründer der Organisation AMCHA, dem Israelischen Zentrum für Holocaust Überlebende und deren Familien.

1986 bekam ich die Möglichkeit, als Gast der Berliner Regierung Berlin zu besuchen. Ich besuchte die Straße, in der wir zuletzt wohnten (Rückerstraße), und ich war enttäuscht, dass ich unsere Wohnung nicht sehen konnte. Ich lief herum in der Stadt und wunderte mich: Hier habe ich die ersten acht Jahre meines Lebens gewohnt, nichts kommt mir bekannt vor.

Und dann, an einem Abend, sehe ich ein Geschäft: Leiser. Und im selben Moment erinnere ich mich an einen Witz aus meiner Jugend, als ich vielleicht fünf Jahre alt war: „Zwei Männer gehen auf der Straße, es regnet, da fragt der Erste: Wo kann man hier einen Schirm kaufen? Der andere antwortet: Leiser. Dann flüstert der Erste: Wo kann man hier einen Schirm kaufen?“

Und so hat das Geschäft Leiser für mich eine sehr wichtige Bedeutung: Ich habe mit diesem Kinderwitz einen Anschluss gefunden an meine frühe Kindheit und habe die Sicherheit zurückgefunden, dass ich wirklich als Kind in Berlin gelebt und gelacht habe.

Danke.


Dr. Nathan Durst
Chiffre 208102