50 Jahre ... 27 Staaten - Die EU wird 50

_von Mark Rackles,
Referatsleiter für Angelegenheiten der EU beim Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei_

Die Unterzeichnung der sogenannten Gründungsverträge der heutigen Europäischen Union – der Römischen Verträge – jährte sich am 25. März 2007 zum 50. Mal. Ob die Dame Europa damit als alt zu bezeichnen ist, muss jeder für sich entscheiden. Erstmals haben aber 27 Mitgliedstaaten diesen Geburtstag feierlich begangen und dies in der deutschen Hauptstadt. Am 24. März wurde neben einem Staatsakt in der Philharmonie auch die Ausstellung zur Geschichte der EU auf dem Mittelstreifen Unter den Linden sowie die „Nacht der Schönheit“ bei den Staatlichen Museen eröffnet. Nachts startete dann die „Europäische Clubnacht“, zu der fast alle Mitgliedstaaten ihre spezifischen Stilrichtungen beitrugen.

Der Höhepunkt war nach dem informellen Rat der Staats- und Regierungschefs im Bereich des Zeughauses und der Lindenoper das eigentliche Bürgerfest auf und um den Pariser Platz. Das „Europafest“ gab Raum für Informationen, Gastronomie und Kultur rund um Europa. Prominent mit dabei natürlich auch die deutsche Hauptstadt mit einem großen „Berlin-Zelt“ auf dem Pariser Platz.

Das “Berlin-Zelt” vor dem Brandenburger Tor.

Der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge markiert im Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft eine Erfolgsgeschichte, die man zu Beginn der Union – von damals zunächst sechs Mitgliedstaaten – nicht für möglich gehalten hätte. Europa mag heute für viele Vorurteile herhalten müssen: Letztlich besteht aber doch ein breiter Konsens, dass die längste Friedensperiode in der europäischen Geschichte, der Aufbau einer der stärksten Wirtschaftsräume der Welt, die grenzenlose Freizügigkeit von Lappland bis Malta und die historische Integration der osteuropäischen Staaten der Europäischen Union und der Idee der europäischen Integration zu verdanken sind.

Die Erfolgsgeschichte lässt sich in fast allen Politikbereichen beliebig fortschreiben: sei es die Währungsunion, die gemeinsame Rechtspolitik oder auch – da allerdings am schwächsten – als Akteur in der Außenpolitik.

Die EU des Jahres 2007 ist eine andere als die Gemeinschaft, die 1957 zusammenkam. Sowohl bezüglich des Selbstverständnisses, der Aufgaben und der – von innen und außen – an sie herangetragenen Ansprüche. Die Entwicklung von der sicherheitsrelevanten „Ressourcengemeinschaft“ (Kohle, Stahl, Atom) zum offenen Binnenmarkt war der erste Schritt, der den Fokus vom Schutzgut „Friedenssicherung“ zum Ziel allgemeiner Wohlfahrtssteigerung verschob. Unterbrochen vom Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und der Heranführung und teilweisen Integration des ehemaligen Ostblocks stellte sich spätestens ab Mitte der 90er Jahre die Frage nach der Antwort Europas auf Folgen der Globalisierung und der absehbaren demografischen Entwicklung in den Industriestaaten. Diese Fragen waren und sind zugleich unmittelbar mit den Fragen nach der „sozialen Dimension“ Europas verbunden.

Hierin liegt nach 50 Jahren und fünf Erweiterungsrunden die eigentliche Herausforderung des künftigen Europas: Wie stärken wir die soziale Dimension Europas und sorgen dafür, dass die Europäische Union bezogen auf die Globalisierung nicht als Teil des Problems sondern als Teil der Antwort wahrgenommen wird? Für die Akzeptanz des europäischen Gedankens ist diese Dimension europäischer Politik nicht zu unterschätzen und so ist es kein Zufall, dass in den letzten Monaten die Schlagworte „Soziales Europa“, das „europäische Sozialmodell“ oder eben die „soziale Dimension“ Hochkonjunktur haben. Damit aus diesen Schlagworten Konzepte werden und für die knapp 500 Mio. Bürger und Bürgerinnen ein greifbarer Mehrwert entsteht, haben sowohl Europäische Kommission als auch die deutsche Ratspräsidentschaft – und aktuell auch die Ministerpräsidenten der Länder – das Thema der sozialen Dimension Europas aufgegriffen.

Ein Fest für die ganze Familie.

Allerdings ist die Frage der weiteren Entwicklung der Europäischen Union von der Friedens-, Wirtschaftsund Währungsunion zu einer vermeintlichen Sozialunion noch offen. Aktuell hat die Union im Sozialbereich nur geringfügig ausgeprägte Kompetenzen; auch der noch ausstehende Verfassungsvertrag hätte hieran nur wenig geändert. Nicht zuletzt die Länder verweisen auf den oftmals lokalen Charakter und die regionalen Spezifika von Sozialleistungen, so dass gemeinschaftliche oder sogenannte horizontale Regelungen – etwa im Bereich der Daseinsvorsorge – nicht sinnvoll sind. Die nächsten Jahre bis zum 60. Geburtstag der EU dürften also mit der Fragestellung vergehen, wie man Elemente einer Sozialunion auf EU-Ebene zulässt, ohne die Gestaltungsmöglichkeiten und nationalen Besonderheiten der Mitgliedstaaten einzuschränken. Mindeststandards im Bereich Beschäftigung, Tarife und Steuern können hier ein wichtiges Element sein.

Neben diesen Grundfragen beschäftigen uns in Berlin aber auch banalere Fragen wie etwa „Was bringt mir das?“. Gerade in Berlin haben wir gute Erfahrungen mit einem möglichst konkreten und erfahrbaren Mehrwert gemacht. Schüler erfahren die EU nicht mehr als Friedensmacht, sondern als Möglichkeit des „grenzenlosen“ Austauschs und der Sprachenvielfalt. Studierende in Berlin nutzen EU-Programme wie Sokrates oder Leonardo für ihre Studien und ihre persönliche Weiterentwicklung in einem anderen europäischen Land. Umgekehrt profitiert die Stadt kulturell, wissenschaftlich und ökonomisch von europäischen Studierenden und Wissenschaftlern, die unsere durch Europa aufgewertete Metropole besuchen (und oft länger bleiben).

Ein Drittel des EU-Jahreshaushalts in Höhe von 100 Mrd. EUR wird zur Förderung der Wirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in benachteiligten Regionen sowie für Schulungsmaßnahmen für Arbeitslose oder nicht ausreichend Qualifizierte verwendet. Berlin profitiert von dieser Förderung in beträchtlicher Höhe, so z.B. im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Das Land Berlin wird von 2007 bis 2013 etwa eine Milliarde Euro aus den Fördertöpfen der Europäischen Union bekommen.

Ein Feuerwerk zum Geburtstag.

Weniger greifbar aber nicht weniger wichtig: Unsere Gesellschaft wird fairer und leistungsfähiger ohne Diskriminierung aus Gründen der Nationalität, des Geschlechts, einer Behinderung oder aufgrund anderer Faktoren. Diskriminierungen, die über die EU zwischenzeitlich verboten sind. Für Berlin als Heimat von über 450.000 Menschen mit Migrationshintergrund, davon etwa 130.000 EU-Bürgerinnen und Bürger – die meisten davon aus Polen, Italien, Frankreich und Griechenland -, ist es von besonderer Bedeutung, dass die Berlinerinnen und Berliner in einer Gesellschaft ohne Diskriminierung und mit Chancengleichheit leben. Bereits in den 50er Jahren enthielten die ersten EU-Verträge die eindeutige Regelung, dass Männer und Frauen für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden müssen.

Darüber hinaus investiert die EU heute in die Arbeitsplätze von morgen, indem sie die Forschung und Entwicklung im Bereich Hochtechnologie fördert. Berlin hat sich vermehrt in den letzten Jahren zu einem Standort der Forschung und Technologie entwickelt und profitiert daher besonders stark von der EU-Förderung. Der Standort Berlin-Adlershof hat sich zu einem hervorragenden Forschungs- und Technologiegebiet entwickelt, das ohne die Fördermitteln der EU so nicht denkbar gewesen wäre.

Berlin profitiert zudem auch direkt von der europäischen Kooperation im Bereich Polizei und Zoll. Insbesondere die gemeinsame Bekämpfung des grenzüberschreitenden Drogen- und Menschenhandels ist für Berlin von Vorteil, da kein einzelnes Mitgliedsland heute noch in der Lage ist, den komplexen internationalen Herausforderungen in diesem Bereich – nicht zuletzt auch in Bezug auf den internationalen Terrorismus – zu begegnen.

Angesichts dieser Vielzahl an Herausforderungen kommt wohl keine breite Feierstimmung auf. Europa hat mit 50 noch einiges vor sich. Andererseits können sich die 27 Geburtstagskinder und mit ihnen die europäischen Bürger und Bürgerinnen sicher sein: Keine der relevanten politischen Herausforderungen lässt sich einzelstaatlich lösen. Die EU macht Sinn! Es hat was von Familie: Ob einem das eine oder andere Gesicht passt oder nicht: Wir gehören zusammen. Und im Übrigen sind Familienfeste die geeignete Gelegenheit, sich auf die Gemeinsamkeiten zu besinnen.In diesem Sinne: Happy Birthday,Europe!


Der Regierende Bürgermeister von Berlin -Senatskanzlei -
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