In einem von der Europäischen Union finanzierten Projekt hat die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum die Möglichkeit, nach „Berliner Spuren und Zeugnisse von in den Freitod getriebener Jüdinnen und Juden 1938–1945“ zu recherchieren. Es ist ein bislang kaum beachtetes, düsteres Kapitel deutscher Geschichte. Zwar wird sich vieles nicht erhellen lassen, aber sicherlich mehr als man zunächst annimmt.
Nach vorläufigem Wissenstand nahmen sich in der Zeit des Nationalsozialismus – eingegrenzt auf die Jahre 1938–1945 – in Berlin mehr als 1600 jüdische Menschen das Leben. Diese Zahl bezieht sich auf die in Weißensee Bestatteten. Wir wissen natürlich, dass aus vielerlei Gründen, einige, die Selbstmord verübten, auch auf anderen Friedhöfen der Stadt bestattet wurden. Doch die Dunkelziffer liegt entschieden höher; vermutlich wurden damals wesentlich mehr in Berlin lebende Juden in den Freitod getrieben als in den Karteien und Archiven zu finden ist.
Wie viele von ihnen Männer oder Frauen waren, welchen Alters, wie viele gemeinsam oder allein Selbstmord verübten, ließe sich nach eingehenden Untersuchungen sicherlich herausstellen. Doch nicht Statistiken sollen diese Arbeit bestimmen. Das Forschungsprojekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, vorhandene Daten und Fakten von Menschen, die in ihrer größten Not als Akt des Widerstands den Freitod wählten, zusammenzutragen. Dabei besteht unser Ziel vor allem darin, Lebensbilder von diesen Menschen zu skizzieren. Wer waren jene, die durch den nationalsozialistisch und vor allem antisemitisch geprägten Alltag in den Tod getrieben wurden? Welche Berufe übten sie aus, wo wohnten sie und wie waren ihresozialen Bindungen?
Wir suchen nach Personen, die als Verwandte oder Bekannte, Freunde oder ehemalige Nachbarn über jene Menschen Wissen haben und damit biographische Leerstellen auffüllen können. So wollen wir versuchen, uns dem Thema „Freitod unter den Verhältnissen des Nationalsozialismus“ an Hand von Fak- ten zu nähern.
Da waren zum Beispiel Bruno Rothstein, einst Direktor der Dresdner Bank, und seine Frau Ida, geb. Feig. Sie begingen am 1. 10. 1942 gemeinsam Selbstmord durch eine Überdosis Veronal. Die Eheleute wohnten zuletzt in Berlin-Wilmersdorf. Die Familie war jüdisch-liberal; zu den Feiertagen ging sie mit ihrer Tochter Hertha (später verheiratete Salomon) in die Synagoge. Der größte Teil der Familie besuchte die Synagoge in der Levetzowstraße. Nach dem Selbstmord der Eltern bestellte die Tochter den Grabstein und bezahlte diesen schon vor Fertigstellung, wenngleich aus nicht genannten aber zu vermutenden Gründen keine Aufstellung mehr erfolgte. Hertha Salomon wurde am 1. 7. 1943 nach Theresienstadt deportiert und ermordet. Über den Ehemann Dr. med. Fritz Salomon sagen die Akten „verstorben am 4. 1. 1945 in Dachau“.