Exil und Rückkehr

_von Werner Sudendorf
Filmmuseum Berlin_

Das Filmhaus des Filmmuseums am Potsdamer Platz.

Das Filmhaus des Filmmuseums am Potsdamer Platz.

Als Hans Feld, ein Kritiker der Tageszeitschrift „Film Kurier“, im Mai 1933 mit seinem kleinen Sohn über den Kurfürstendamm flanierte, kamen ihm zwei Männer in SA-Uniform entgegen. Der Junge, offensichtlich einer Fehlinterpretation erlegen, hob die Hand, ballte sie zu einer kleinen Faust und grüßte die SA-Männer mit einem markigen „Rot Front“. Noch am nächsten Tag emigrierte Feld mit seiner Familie über Prag nach England. In seinem Gepäck trug er einen Klavierauszug der Originalmusik zu dem Stummfilm „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ (1927), die sein früh verstorbener Freund Edmund Meisel komponiert hatte. Mehr als fünfzig Jahre später erwarb das Filmmuseum Berlin den Klavierauszug, der seitdem in immer wieder neuen Arrangements und Besetzungen die Grundlage für die Vertonung des berühmten Dokumentarfilms von Walter Ruttmann ist.
Edmund Meisel, der schon 1930 an einer Blinddarmentzündung starb, war natürlich kein Emigrant. Dennoch bildete seine Komposition neben anderen Dokumenten den Grundstock für die Exil-Sammlung des Filmmuseums. Denn eng verbunden mit den Zeugnissen des Exils sind die Dokumente jener deutschen Kultur, die 1933 verboten und zum Teil ins Ausland gerettet werden konnte.
Bekannte Namen wie Ernst Lubitsch, Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang oder Georg Wilhelm Pabst repräsentieren die Filmkultur der Weimarer Republik. Bis auf Ernst Lubitsch, dessen Nachlass quasi nicht existent ist, sind ihre persönlichen Papiere, die Dokumente, Fotos, Auszeichnungen und Drehbücher im Filmmuseum Berlin gesammelt. Von den vier großen Regisseuren ist nur Lang ein „echter“ Emigrant, der auch in Hollywood seine Karriere fortsetzen konnte. Lubitsch und Murnau verließen Deutschland noch in den zwanziger Jahren, G. W. Pabst kehrte in das Dritte Reich zurück.

Portrait von Fritz Lang

Portrait von Fritz Lang

Lang dramatisierte in späteren Jahren die Ereignisse, die zu seiner Emigration führten, auf eine Weise, die einem Fritz-Lang-Film würdig gewesen wären. Goebbels habe ihm die Leitung des deutschen Filmwesens angeboten. Und noch während Goebbels sprach, habe er aus dem Fenster des Ministerzimmers auf eine große Strassenuhr gesehen und sich ausgerechnet, ob er noch den Zug nach Paris erwischen würde. „Die Uhr ging unerbittlich weiter, und Goebbels sprach und sprach. Mir lief der Schweiß den Rücken runter – meine Zeit lief ab. Als Goebbels fertig war, bedankte ich mich höflich, eilte nach Hause und nahm den nächsten Zug nach Paris.“
Langs Erzählung ist natürlich mit künstlerischer Phantasie ausgeschmückt. Die Einträge der deutschen Zollbehörden in seinem Pass zeigen deutlich, dass Lang 1933 zwischen Berlin und dem Ausland häufiger hin- und herfuhr. Und in seinen Tagbüchern skizzierte er noch im Sommer 1933 auf der Insel Hiddensee einen neuen Film mit Kommissar Lohmann, dem Kripobeamten, der schon in „M“ (1930) Peter Lorre zur Strecke gebracht hatte und im „Testament des Dr. Mabuse“ (1933) die seriöse Seite der Staatsmacht verkörperte.
Heute befindet sich der Pass von Fritz Lang in der Dauerausstellung des Filmmuseums. Anders und sehr viel komplizierter verlief die Emigration von G. W. Pabst. Er hatte in den zwanziger Jahren mit Schauspielern wie Fritz Kortner, Greta Garbo oder Luise Brooks Klassiker wie „Die freudlose Gasse“ (1925), „Geheimnisse einer Seele“ (1925/26) und „DieBüchse der Pandora“ (1928/29) gedreht. Mit den vor 1933 gedrehten Tonfilmen „3-Groschen-Oper“, „Kameradschaft“ und „Westfront 1918“ war er als politisch linker und pazifistischer Künstler aufgefallen.
Die Dreigroschenop Glücklicherweise befand er sich zur Zeit der Machtübernahme der Nazis in Frankreich, wo er – abgesehen von einem kurzen und nicht sehr erfolgreichen Engagement in Hollywood – bis 1939 blieb.
Angesichts der angespannten Lage in Europa buchte Pabst für den 8. September 1939 eine Passage in die USA. Zum Abschied besucht er nochmals seine Mutter in der an das Dritte Reich bereits „angeschlossenen“ Steiermark und wird nach eigenen Angaben vom Kriegsausbruch überrascht. Er erkrankt, bleibt schließlich in Deutschland und dreht dort die Filme „Komödianten“ (1940/41) und „Paracelsus“ (1942/43). Dass er nach Deutschland zurückkehrte, hat Pabst viel Kritik eingebracht. Viele der alten Bekannten aus dem Exil bezweifelten die Verkettung unglücklicher Umstände, mit denen er seine Rückkehr begründete.

Die Dreigroschenoper in der Aufführung von 1931

Die Dreigroschenoper in der Aufführung von 1931, Regie führte Fritz Lang

Auch sein umfangreicher Nachlass, den das Filmmuseum Berlin im letzten Jahr mit Hilfe vieler fördernder Institutionen erwerben konnte, wird keine letzte und gültige Antwort enthalten. Die Tagebücher von Pabst aber werden Aufschluss geben über seine innere Haltung im Dritten Reich und seine Verstrickungen – so es sie denn gab.


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