Das Deutsche Historische Museum

_von Prof. Dr. Hans Ottomeyer
Generaldirektor des Deutschen
Historischen Museums_

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Louis Ferdinand Elle: Elisabeth Charlotte (Liselotte) von der Pfalz, Herzogin von Orléans, Gemälde, 167.

Es ist soweit! Seit seiner Gründung im Jahr 1987 hat das Deutsche Historische Museum sich drei Ziele gesetzt: eine Ständige Ausstellung zur Deutschen Geschichte im europäischen Kontext vorzubereiten, vertiefende Wechselausstellungen zu Aspekten der Geschichte durchzuführen und mit innovativen Mitteln zur Verbreitung der Geschichtskenntnis orientierend beizutragen.

Es fehlte bisher der Schlussstein, die Eröffnung der Ständigen Ausstellung zur Geschichte der Deutschen, die im Juni 2006 eröffnet wurde.

Die Parameter stehen gut, sogar sehr gut. Seit Fertigstellung des Pei-Baus im Mai 2003 sahen über 1,5 Millionen Besucher die Wechselausstellungen des Deutschen Historischen Museums in der spektakulären neuen Ausstellungshalle oder nahmen die weiteren Angebote des Museums war: das Zeughauskino mit Filmen zur Geschichte und zur Geschichte des Films, wissenschaftliche Symposien, Vorträge, Konzerte und Veranstaltungsangebote, die ein breites Publikum erreichten.

In groß angelegten Ausstellungen hat das Museum den Holocaust, den Weltkrieg 1914 bis 1918, das Kriegsende 1945 und die Mythen der Nationen 1945 behandelt. Daneben waren es die großen europäischen Themen wie: Idee Europa, Exodus, Migration und Integration, die Hugenotten, die international beachtet zur wachsenden Geschichtskultur beitragen. Der weite Bogen historischer Epochen und Themenstellungen ist nicht dem Zeitgeist geschuldet, sondern wird jeweils in zweieinhalb- bis eineinhalbjähriger Vorbereitungszeit sorgfältig erarbeitet und realisiert.

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Von Anbeginn, um 1700, war es Bestimmung des barocken Zeughauses, Geschichte anhand von historischen Zeugnissen, Trophäen und Erinnerungsstücken anschaulich zu machen und zu belegen. Dieser Ansatz hat sich im Laufe des 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu einem Armeemuseum fortentwickelt, das einseitig militärische nationale Erfolge als Movens der Geschichte darstellte. Dieses Bild wurde zwischen 1952 und 1989 durch das Museum für Deutsche Geschichte grundsätzlich umgeschrieben, da es Anliegen der sozialistischen Geschichtswissenschaft war, den Aufstieg der Bauernund Arbeiterklasse als sinnstiftend herauszustellen. Die Ständige Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, die jetzt zustande gekommen ist, organisiert sich anders.

Es ist keine parataktische, gleichförmige Erzählung über den Geschichtszusammenhang, in dem ein Volk erwachsen ist und sich verändert hat, sondern eine zwischen chronologischer Abfolge und Themen verschränkte Erzählung, die im Wesentlichen auf Bildern und Zeugnissen beruht, in denen Geschichte überliefert wird, und die häufig unsere Vorstellung von Geschichte ausmachen. Nicht ein flaches „So war es!“ ist dabei das Ziel, sondern die zeitversetzte Interpretation durch die materiellen Zeugnisse, die durch ihre explizite und implizite Sprache Geschichte darstellen. Oft sind es mehr die Ansprüche, Hoffnungen, propagandistischen Ziele, Ängste und Ideale, die zum Tragen kommen, als Zeugenberichte. Dies ist allerdings nicht anders als in schriftlichen Berichten und Texten, die genauso zeitlich später angelegt und ebenso von Anliegen bewegt werden, statt von objektiver Neutralität bestimmt sind.

Historische Zeugnisse sind in großer Fülle bewahrt und gefertigt worden, um in die Zukunft zu ragen und von ihrer Zeit zu künden. Generationen haben sie erhalten und weitergegeben. Es bleibt sie zu verstehen und zu erschließen. In wachsender Zahl begleiten sie den Fortgang der Jahrhunderte und entsprechen dabei der wachsenden Zahl der Menschen.

Die Authentizität macht sie oft zu einmaligen, tief berührenden Zeugnissen der Lebenswirklichkeit und einer anderen, fernen Existenz. Bilder und historische Relikte sind oft mächtiger als das schildernde Wort: Geschichtliche Bilder überliefern und verdeutlichen als Konstrukte die Gestalten und Wendepunkte der Geschichte und bilden eine reiche, oft glanzvolle Tradition der Geschichtsüberlieferung.

Geschichte in Deutschland, deutsche Geschichte, kann keine lineare Erzählung sein, sondern ist so vielfältig wie widerspruchsvoll. Drei Traditionen liegen dabei zugrunde: in ihrer Sprache verbundene Völker und Stämme Mitteleuropas, ein jüdisch-christlich bestimmter Jenseitsglaube und eine griechischrömische Bildungswelt mit ihren Wertvorstellungen und Interpretationssystemen. Diese Traditionskonstrukte ergänzen sich. Pluralistische Föderationen und offene Bündnisse bis hin zu verfassten Gemeinschaften bestehen nebeneinander und bilden mit dramatisch wechselnden Grenzverläufen die monarchischen Reiche, Territorialstaaten und Nationalstaaten. Ein Kaiserreich, eine Republik, ein Nationalstaat, 16 Bundesländer, zwei deutsche Staaten folgen binnen 100 Jahren aufeinander. Dies lässt sich nur durch Strukturen der Gegenüberstellung, des Verweises, scharfen Brüchen und langen Perspektiven ansatzweise aufzeigen und in seiner Widersprüchlichkeit verdeutlichen. So lässt sich verfolgen, wie aus Hass Krieg wurde, welche Strategien zum Frieden führen, wie Wohlstand entsteht oder wie er wieder vertan wird.

Politische Persönlichkeiten konzentrieren Ideen und Macht auf sich und lassen sich seit 1480 in einer weitgehend vollständigen Ikonographie durch die Porträtmalerei in ihren Rollen und Attitüden fassen. Deutsche Geschichte begegnet den Besuchern in der realisierten Ausstellung durch ihre Geschichtszeugnisse und Bildüberlieferungen oft so anrührend wie erschreckend, so vertraut wie auch unendlich fremd, so selbstverliebt wie auch krude, streng oder reduziert.

Die nichtverbale Kommunikation über Zeichen und Bilder, über Gesten und Zeremoniell war eine Sprache, die ganz Europa verstand und untereinander verband. Sie verbindet Gestern und Heute und wird so noch von den Besuchern der Ausstellungen gelesen und verstanden. Museen sind das visuelle Gedächtnis Europas, die Ständige Ausstellung bewährt sich als ein begehbares System der Beziehungen und Erinnerungen an gute wie an schlimme Zeiten.

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Figuren auf dem Dach des Deutschen Historischen Museums.

Geschichte, als Geschichte der Pluralität und der wechselnden Beziehungen, hat Konjunktur. Europa sieht mit Spannung auf die Ausstellung, die sich im Berliner Zeughaus entwickelte. In den letzten Jahren und Monaten besuchten Museumskollegen die Baustelle der Ständigen Ausstellung. Das Amsterdamer Rijksmuseum, das sich zu einem historischen Museum verwandelt, war ebenso vertreten wie die historischen Museen in Zürich, Wien, Bukarest und Bern; Kollegen aus Frankreich ließen sich ebenso unterrichten wie der österreichische Bundespräsident Fischer, der portugiesische Staatspräsident Sampaio und der polnische Minister für Kultur und Nationalerbe Ujazdowski, der im Mai in Warschau ein analoges Museum gründet hat. Die Vermittlung der nicht bewältigten Fragen des XX. Jahrhunderts an ein breites Publikum über die Fachdiskussionen von Historikern hinaus ist dabei das Tertium Comparationis.

Das Interesse manifestiert sich noch auf eine andere Weise. Seit Jahren stellt das Deutsche Historische Museum partnerschaftlich zusammen mit dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn die Website LeMO in das Internet, um über Fragen und Personen der neueren Geschichte umfassend zu informieren. Mit 35.000 täglichen Website-Besuchern und 4,5 Millionen Seitenabrufen pro Monat ist dieses Angebot eine der wichtigsten Informationsquellen für neuere Zeitgeschichte geworden. Kaum ein Referat oder kaum eine Seminararbeit in Deutschland und in den Nachbarländern entsteht mehr, ohne LeMO zu konsultieren. Der elektronische Besucher ist ein Besucher der Zukunft.

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Matrosenanzug, um 1910

Das elektronische Museum existiert aber noch auf andere Weise. Das DHM erstellte für die Dauerausstellung verschiedenste Formate von Multimedia-Stationen, virtuellen Bibliotheken, interaktiven Computerprogrammen, deren Terminals gezielt die Ausstellung bereichern und vertiefende Informationen zulassen, ohne das reiche Exponatangebot zu übertönen oder gar in den Hintergrund zu drängen. Das DHM sieht seine Hauptaufgabe in der Wissenschaftsvermittlung und in seinem weitgefassten Bildungsauftrag. Deutsche Geschichte im europäischen Kontext bildet dabei das Bezugsfeld. Kulturelle Leistungen in der Geschichte wechseln mit brutaler Barbarei, Phasen partiellen Wohlstands mit Krisen der Vernichtung, die in dramatischen Prozessen verlaufen. Die Indizien zu diesen Auseinandersetzungen verwahrt unser Museum und vermag dadurch Eindrücke zu verschaffen und Fragen aufzuwerfen, denn: „Geschichte soll nicht unser Gedächtnis belasten, sondern den Verstand erleuchten.“ (Lessing) Im Sinne der Aufklärung, des sich selbst Überzeugens und Nachdenkens, sind die Exponate geordnet und die Erschließungsebenen angelegt, um jenseits der Konjunkturen von „political correctness“ und politischen Meinungswechseln auf die Grundlagen politischen Handelns hinzuweisen.


Deutsches Historisches Museum
Unter den Linden 2
10117 Berlin
Tel.: 49 30 203040
Fax: 49 30 20304543
www.dhm.de
www.dhm.de/lemo