Raffael der Hinterhöfe

Heinrich Zille in eigenem Museum gewürdigt

_von Alexander Schaub_

Heinrich Zille (1858 – 1929) ist einer der bedeutendsten Zeichner und Karikaturisten seiner Zeit. In Milieuzeichnungen hielt er das Alltagsleben der Berliner fest und gab einer von Industrialisierung, sozialen Missständen und Armut geprägten Zeit ein Gesicht. Sein Werk ist wichtig für das Geschichtsverständnis Berlins an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Er fing die urbane Wirklichkeit ein und schuf pointierte Bilder, die an Bissigkeit, Ausdrucksstärke und Gesellschaftskritik kaum zu überbieten sind. Seit 2002 sind seine Werke im Heinrich-Zille-Museum im Berliner Nikolaiviertel zu sehen.

Als Sohn eines Schmieds wurde Heinrich Rudolf Zille am 10. Januar 1858 im sächsischen Radeberg geboren. In Sachsen verbrachte er die ersten Jahre seiner Kindheit, bevor die hochverschuldete Familie 1867 nach Berlin zog. Die Familie bewohnte eine kleine Stube mit winzigem Fenster und Küche in der Nähe des Schlesischen Bahnhofs. Betten gab es keine, sodass Decken genutzt werden mussten. Oftmals schlief man ganz auf der Erde. Diese ärmlichen Verhältnisse haben Zille geprägt und den Inhalt seiner Werke bestimmt.

Berliner Kinder, 1911 (Feder und Aquarell)

Berliner Kinder, 1911 (Feder und Aquarell)

Schon sehr früh entdeckte Heinrich die Liebe zum Zeichnen. Er nahm Unterricht bei Zeichenlehrer Spanner, der schnell die Begabung des Jungen erkannte und förderte. Zilles Eltern waren jedoch der Ansicht, dass man mit Kunst kein Geld verdienen kann und schickten ihn nach Beendigung der Schulzeit 1872 zu einem Fleischer in die Lehre. Zille lief aber davon, da er den grausamen Anblick von Tieren auf der Schlachtbank nicht ertragen konnte. Spanner überzeugte die Eltern, dass eine Ausbildung zum Lithographen das Beste für Heinrich sei. Um sich neben der technischen Ausbildung auch künstlerisch weiter zu entwickeln, besuchte Zille zweimal pro Woche die Abendklasse der Königlichen Kunstschule. Nach der Lehre arbeitete er als Geselle in verschiedenen lithographischen Anstalten, bevor er 1877 zur „Photographischen Gesellschaft“ am Dönhoffplatz wechselte. Unermüdlich präzisierte er seine graphischen Techniken wie Lithographie, Radierung, Fotogravur und Zinkographie. In der Freizeit faszinierten ihn Landschafts- und Porträtaufnahmen. Jede noch so kleine Begebenheit auf Straßen, Plätzen oder Kneipen malte er mit Bleistift oder Kohle in sein Notizblock. In dieser Zeit entstanden auch die ersten sozialkritischen Zeichnungen.

Nach der von der „Berliner Sezession“ initiierten Ausstellung „Schwarz-Weiß“ begannen sich Galeristen für ihn zu interessieren. Seine Popularität stieg durch die Mitarbeit an der satirischen Zeitschrift „Simplicissimus“ und bei den „Lustigen Blättern“. 1905 veröffentlichte der bis dahin oft auch als „Pinselheinrich“ verkannte Zille die Mappe „Zwölf Kunstdrucke“, die zu seinen besten Arbeiten gehört. Ein tiefer Einschnitt in sein Leben war die Entlassung nach über 30 Dienstjahren aus der „Photographischen Gesellschaft“. Er sollte Platz machen für billigere Arbeitskräfte. Zille glaubte, seine „Linksrichtung sei störend“ gewesen. Er ordnete sein Leben neu und arbeitete freischaffend. Eine große Ehre wurde ihm zuteil, als 1921 die Nationalgalerie einige seiner sensiblen Radierungen, ausdrucksvollen Porträtskizzen und malerischen Lithographien kaufte. Doch Zille hatte nicht nur Bewunderer. Seine provozierende Darstellung der sozialen Missstände haben viele als anstößig empfunden. Eine Geldstrafe in Höhe von 150 Reichsmark war die Folge der veröffentlichten Lithographie „Modellpause“, auf der Zille acht Mädchen nackt dargestellt hat. Oft musste er sich als „Abortzeichner“ beschimpfen lassen. Seinen Zyklus „Hurengespräche“ gab der Meister der Milieuschilderung unter dem Pseudonym W. Pfeifer heraus. Diese makabren Studien waren Zille ein „echtes Anliegen“, um die ungeschminkte Wahrheit des Kiezlebens zum Ausdruck zu bringen. Oftmals sind seine Skizzen mit ironischen Kommentaren einer „Berliner Schnauze“ versehen. So schrieb er unter eine seiner Arbeiten: „Mutta, jib doch die zwee Blumtöppe raus, Lieschen sitzt so jerne ins Jrüne“.

Fünf Geschwister (1904): Vater wird sich frein, wenn er aust Zuchthaus kommt, det wir schon so ville sind.

Fünf Geschwister (1904): Vater wird sich frein, wenn er aust Zuchthaus kommt, det wir schon so ville sind.

Auf Empfehlung von Max Liebermann, einem seiner engsten Freunde und Kollegen, wurde Zille 1924 zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste benannt. Von seiner großen Popularität in allen Bevölkerungsschichten zeugt auch die Retrospektive „Zilles Werdegang“ im Märkischen Museum anlässlich seines 70. Geburtstags.

Heinrich Zille verstarb ein Jahr später, am 9. August 1929, nach einem Schlaganfall in Berlin und wurde auf dem Waldfriedhof Stahnsdorf mit einem Ehrenbegräbnis beigesetzt. Über 2000 Menschen, darunter Reichstagspräsident Paul Löbe und Käthe Kollwitz, mit der Zille eine lange Freundschaft verband, erwiesen ihm die letzte Ehre. Sie nahmen Abschied von einem Künstler, der sich als Anwalt der Armen und Entrechteten verstand und das Gewissen einer resignierten Gesellschaft aufrütteln wollte. Er zeichnete die Menschen in ihrem Milieu, wie er sie sah – mit allen Freuden und Problemen des Alltags.

Nach dem Tod Zilles wurde der Ruf nach einem eigenen Museum für den Berliner Ehrenbürger laut. Doch in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war sein Werk verstreut worden. Ein Teil ist 1944 verloren gegangen, als seine Tochter Margarete aus Vorpommern vertrieben wurde. Andere Teile wurden über die gesamte Bundesrepublik verteilt. Seit 1999 engagiert sich die von Urenkel Hein – Jörg Preetz – Zille gegründete Heinrich-Zille-Gesellschaft Berlin e. V. für die Errichtung eines Museums, in dem die Arbeiten würdevoll präsentiert werden können. Bereits am 14. August 2002 wurde das Zille-Museum in der Propststraße 11 eröffnet. Bei einem feierlichen Festakt mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit im Berliner Rathaus wurden symbolisch die Museumsschlüssel übergeben. In fünf Räumen auf zwei Etagen werden Leben und Schaffen geehrt. Jürgen Borgard, Ausstellungsleiter des Museums, möchte so viele Facetten des Künstlers wie möglich zeigen. Circa 150 Exponate wurden dafür zusammengetragen. Oftmals werden Teile der Ausstellung umgestaltet, um „so viel wie möglich von Zille“ zeigen zu können. „Wir sind ein Ort der Begegnung“, freut sich Borgard über den großen Zuspruch aus der Bevölkerung. Die letzte „Lange Nacht der Museen“ lockte über 1200 Besucher in die kleine Ausstellung. Auch der Standort im historischen Nikolaiviertel wurde sorgfältig gewählt. Hier, an der 800 Jahre alten Wiege der Stadt, war Zille oft unterwegs. Ganz in der Nähe des heutigen Museums arbeitete er als Lithograph. Mit der Eröffnung der Dauerausstellung ging der Wunsch, Zille angemessen zu würdigen und seine Radierungen, Kohlezeichnungen, und Lithographien der Öffentlichkeit zu präsentieren, in Erfüllung.


Heinrich-Zille-Museum Berlin
Propststraße 11
10178 Berlin
www.heinrich-zille-museum.de

Der Autor studiert Medienmanagement an der Hochschule Mittweida (FH) – University of Applied Sciences und absolviert ein Praktikum im Presse- und Informationsamt des Landes Berlin.