Ein Fest für einen Zauberer

Vor hundert Jahren übernahm Max Reinhardt das Deutsche Theater und führte es zu neuem Glanz. Heute besinnt sich das Haus in der Schumannstraße in der Saison „Max100“ auf das stolze Erbe.

_von Henrike Thomsen,
Deutsches Theater_

Er war der größte Zauberer des Theaters: Im Herbst 1905, vor genau hundert Jahren, übernahm Max Reinhardt die Direktion des DT, um ein Theater zu machen, „das den Menschen wieder Freude gibt“, ein Theater voll „Größe und Pracht und Heiterkeit“. Die neue Spielzeit 2005/06 ist Reinhardt gewidmet und lädt zur Entdeckung seines Erbes ein.

Das Deutsche Theater und die Kammerspiele

Das Deutsche Theater und die Kammerspiele

Das Deutsche Theater in der Schumannstraße – zentral gelegen zwischen der Friedrichstraße, dem Krankenhaus Charité und dem Theater am Schiffbauerdamm (heute Berliner Ensemble) – wurde im Kaiserreich zum wichtigsten Sprechtheater Berlins. Nach der ersten Blüte unter dem Intendanten Otto Brahm und dessen naturalistischen, von Hauptmann und Ibsen geprägten Programm, erlebte es seine mondäne Glanzzeit unter Max Reinhardt, dem Erfinder des modernen Regie- und Ensembletheaters. Mit 32 Jahren übernahm der gelernte Schauspieler die Direktion des Hauses. Vor der Eröffnung am 19. Oktober 1905 mit Kleists „Das Käthchen von Heilbronn“ in seiner eigenen Regie ließ er es umbauen: heller, großzügiger, ein Theater der zauberhaften Illusion sollte es werden. Reinhardts architektonische und bühnentechnische Neuerungen wie der Einbau einer Drehscheibe von 18 Meter Durchmesser und einem festen Rundhorizont gingen in die Theatergeschichte ein und sind bis heute in voller Funktion zu bewundern. Vor allem aber setzte Reinhardt auf die Schauspieler: „Lasst gute Schauspieler heute in einer Scheune oder in einem Theater, morgen in einem Gasthaus, in einer Kirche oder, in drei Teufels Namen, selbst auf einer expressionistischen Bühne spielen – wenn der Platz dem Schauspiel entspricht, wird etwas Wundervolles dabei herauskommen.“ Die Liste der berühmten Künstler, die in seiner 27 Jahre währenden Ära am DT gearbeitet haben, ist lang und nur der kleinste Teil wurde auf der Tafel der Ehrenmitglieder verewigt, die bis heute im Rangfoyer zu besichtigen ist: Alexander Moissi, Gertrud Eysoldt, Paul Wegener, Albert Bassermann, Tilla Durieux …

Das Logo zum Jubiläum „Max100“

Das Logo zum Jubiläum „Max100“

Vor hundert Jahren entstand so eine glanzvolle Tradition. Das DT unter seinem heutigen Intendanten Bernd Wilms würdigt sie mit dem Stichwort „Max100“ in der neuen, seit September begonnenen Spielzeit 2005/06 (es ist die 123. Spielzeit in der langen Geschichte des Theaters insgesamt!). Diese Erinnerung ist nicht ungetrübt. Reinhardts Ära endete für den Sohn eines jüdischen Kaufmanns 1933 mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten. Für ihn wie für Brecht, die Manns oder Einstein lautete das Schicksal Emigration. In den USA versuchte Reinhardt vergeblich, an seine großen Erfolge in Berlin, Wien oder bei den von ihm gegründeten Salzburger Festspielen anzuknüpfen. 1943 starb er in New York. Umso wichtiger aber ist es, in der Jubiläumsspielzeit am DT seinen Geist wieder aufleben zu lassen.

Reinhardt liebte das Leben, den Wandel, das Neue und Unerhörte. Auch seine geliebten Klassiker hat er stets „aus dem Geist unserer Zeit“ begriffen: „Man muss die Klassiker neu spielen, mit der selben Frische und Unbekümmertheit anpacken, wie wenn es neue Werke wären.“ Aus dem Theater wird daher kein Museum, wenn das DT heute an Reinhardt erinnert. Auf dem Spielplan stehen zahlreiche zeitgenössische Stücke und Uraufführungen von Jon Fosse bis Roland Schimmelpfennig ebenso wie Neuinterpretationen von Shakespeare, Goethe, Molière oder Tschechow.

Zum Beispiel Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“. Im Jahr 1905 inszenierte Reinhardt diese Geschichte um ein unglaubliches Gerichtsverfahren, bei dem der Kaufmann Antonio mit einem Pfund eigenen Fleisches bei dem Juden Shylock bezahlt. Jetzt bringt die Regisseurin Tina Lanik ihre Sicht auf das als Komödie getarnte Ringen um Geld, Liebe, Glaube und Recht auf die Bühne. Am 19. Oktober, auf den Tag genau 100 Jahre nach der Reinhardt-Premiere, gab es die Wiederaufnahme von „Das Käthchen von Heilbronn“ in der Fassung von Nicolas Stemann. Mit Michael Thalheimers Inszenierung von „Faust. Der Tragödie Zweiter Teil“ ist – nach dem großen Erfolg von Thalheimers Inszenierung des ersten Teils im Oktober 2004 – erstmals seit Reinhardts Inszenierungen von 1909/1911 wieder der komplette „Faust“ am DT zu sehen.

Szene aus „Das Käthchen von Heilbronn“

Szene aus „Das Käthchen von Heilbronn“

Durch den glücklichen Umstand, dass das Deutsche Theater im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde, atmet das Gebäude noch heute Reinhardts Geist. Die Kammerspiele hingegen, die er als zweite Bühne für zeitgenössische Stücke mit subtiler Seelenstimmung aus der Taufe hob, sind nicht mehr original. Der Raum wurde vollständig zerstört durch den Umbau in ein unechtes klassizistisches Dekor, das niemand anders als Joseph Goebbels 1937 so wollte und anordnete. Nun, zu Beginn der Spielzeit 2005/06, wurden die Kammerspiele erneut umgestaltet. Man konnte sie – schon aus Kostengründen – zwar nicht in den Originalzustand bei Reinhardt versetzen, doch sie wurden behutsam modernisiert. Reinhardts programmatischer Geist war auf diese Bühne des intimen, psychologischen Kammerspiels ohnehin längst zurückgekehrt. Auf dem Programm stehen hier unter anderem Robert Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ und das atmosphärische Beziehungsdrama „Heiß” von Jon Fosse, dem meist gespielten Gegenwartsautor Europas.

Eine Ausstellung zu Reinhardts Leben und Werk sowie der ihm gewidmete neue Band der „Blätter des Deutschen Theaters“ runden den großen Auftakt zur Jubiläumsspielzeit ab. Doch auch in den späteren Monaten feiert das DT die große Tradition eines Schauspielertheaters in spielerischer Fülle und Vielfalt mit Inszenierungen von Jürgen Gosch, Dimiter Gotscheff, Barbara Frey, Tom Kühnel, Thomas Dannemann, Bettina Bruinier und Andreas Dresen. „Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theater“, hat Reinhardt gesagt. „Es ist der seligste Schlupfwinkel für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiterzuspielen.“


Deutsches Theater
Schumannstraße 13 a
10117 Berlin

Der gesamte Spielplan mit näheren Informationen findet sich im Internet unter www.deutschestheater.de . Das Spielzeitheft, der Monats-leporello und der DT-Newsletter werden kostenlos zugeschickt – einfach bestellen per Email unter pr@deutschestheater.de oder Fax: 49 30 28441408. Karten und Serviceauskünfte unter Tel.: 49 30 28441225 oder E-Mail: service@deutschestheater.de.