Vor hundert Jahren entstand so eine glanzvolle Tradition. Das DT unter seinem heutigen Intendanten Bernd Wilms würdigt sie mit dem Stichwort „Max100“ in der neuen, seit September begonnenen Spielzeit 2005/06 (es ist die 123. Spielzeit in der langen Geschichte des Theaters insgesamt!). Diese Erinnerung ist nicht ungetrübt. Reinhardts Ära endete für den Sohn eines jüdischen Kaufmanns 1933 mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten. Für ihn wie für Brecht, die Manns oder Einstein lautete das Schicksal Emigration. In den USA versuchte Reinhardt vergeblich, an seine großen Erfolge in Berlin, Wien oder bei den von ihm gegründeten Salzburger Festspielen anzuknüpfen. 1943 starb er in New York. Umso wichtiger aber ist es, in der Jubiläumsspielzeit am DT seinen Geist wieder aufleben zu lassen.
Reinhardt liebte das Leben, den Wandel, das Neue und Unerhörte. Auch seine geliebten Klassiker hat er stets „aus dem Geist unserer Zeit“ begriffen: „Man muss die Klassiker neu spielen, mit der selben Frische und Unbekümmertheit anpacken, wie wenn es neue Werke wären.“ Aus dem Theater wird daher kein Museum, wenn das DT heute an Reinhardt erinnert. Auf dem Spielplan stehen zahlreiche zeitgenössische Stücke und Uraufführungen von Jon Fosse bis Roland Schimmelpfennig ebenso wie Neuinterpretationen von Shakespeare, Goethe, Molière oder Tschechow.
Zum Beispiel Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“. Im Jahr 1905 inszenierte Reinhardt diese Geschichte um ein unglaubliches Gerichtsverfahren, bei dem der Kaufmann Antonio mit einem Pfund eigenen Fleisches bei dem Juden Shylock bezahlt. Jetzt bringt die Regisseurin Tina Lanik ihre Sicht auf das als Komödie getarnte Ringen um Geld, Liebe, Glaube und Recht auf die Bühne. Am 19. Oktober, auf den Tag genau 100 Jahre nach der Reinhardt-Premiere, gab es die Wiederaufnahme von „Das Käthchen von Heilbronn“ in der Fassung von Nicolas Stemann. Mit Michael Thalheimers Inszenierung von „Faust. Der Tragödie Zweiter Teil“ ist – nach dem großen Erfolg von Thalheimers Inszenierung des ersten Teils im Oktober 2004 – erstmals seit Reinhardts Inszenierungen von 1909/1911 wieder der komplette „Faust“ am DT zu sehen.