Zwischen Modernisierung und Erinnerung

Das renovierte Berliner Olympiastadion gedenkt seiner Entstehungsgeschichte

_von Simone Schulz_

Olympiastadion

Das Olympiastadion hat nun Platz für rund 74 000 Zuschauer.

Touristen begutachten die klobig zugehauenen Natursteine am westlichen Eingang zum Olympiastadion. Wie hat es hier eigentlich bei den Olympischen Spielen 1936 ausgesehen mit all den vielen Wimpeln, Fahrzeugen und Menschen in Uniform? Eine bestimmte Wirkung sollte die Architektur Werner Marchs wohl erzielen. Schließlich haben die Nationalsozialisten das Gros der Gebäude auf dem ehemaligen Reichssportfeld extra zum Zwecke der Olympischen Spiele in Auftrag gegeben. Ein sachkundiger Guide steht den Touristen gerade nicht zur Verfügung: Die „historische Tour“ findet nur am Wochenende statt. Wenn 2006 aber im frisch restaurierten und modernisierten Olympiastadion das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wird, reicht eine solche wöchentliche Tour nicht mehr aus. Das hat auch der Berliner Senat erwogen und für fest installierte Orte der Information und des Erinnerns gesorgt.

An einer zentralen Informationsstelle und auf 27 Tafeln rund um das Olympiastadion können sich Gäste seit kurzem über die Vergangenheit des ehemaligen Reichssportfeldes informieren. Auf dem Olympischen Platz strahlt seit 2005 eine Lichtsäule. In diese 18 Meter hohe Lichtstele sind vier Monitore eingelassen, die digitales, einfach abrufbares Bild- und Textmaterial präsentieren. Ein virtueller Rundflug über das Gelände ist beispielsweise dabei. Im oberen Bereich der Säule leuchten Silhouetten auf und verschwinden langsam wieder im Dunkel. Nebenbei erleuchtet die Säule auch das Olympische Tor und durchbricht die starre, symmetrische Architektur des Platzes. Auch dezentral finden sich an prägnanten Orten des Olympiageländes Informationen: Bei einem Stadionrundgang stolpert der Besucher alle Nase lang über die bebilderten Tafeln mit kurzen Texten in Deutsch und Englisch. Das beauftragte „Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart“ hat sie konzipiert – das Design stammt vom Stuttgarter Atelier Berthold Weidner. Aktuell wird noch an einer historischen Ausstellung in der Langemarckhalle gearbeitet, die sich ganz speziell mit dem verklärenden nationalsozialistischen Mythos des „Heldentodes“ auseinander setzt. Dabei arbeiten die Stadionarchitekten Gerkan, Marg und Partner mit Historikern des Deutschen Historischen Museums zusammen.

Olympiastadion Feuerwerk

Feuerwerk im Olympiastadion

Die Vergangenheit wird so überall auf dem Olympiagelände fühl- und erfahrbar. Bis ins Detail hatte die zuständige Abteilung um Reichssportführer Carl Diem ihre Inszenierung geplant – und dazu innerhalb weniger Jahre architektonische Ungetüme aus Muschelkalk aus dem Boden gestampft. Mit den Spielen war es gelungen, dem Ausland das Bild eines toleranten und weltoffenen Deutschlands vorzugaukeln. Nach innen nutzten die Spiele, um nationalsozialistische Propaganda und verquere Ideen von militärischer Strenge, Heldentod und Einheit des Volkes mit der Regierung zu streuen. Die entsprechende Kulisse zu dieser Inszenierung lieferte die Architektur Werner Marchs. Vor Ort spürt man das.

Olympischer Platz, Olympiastadion, Maifeld und Glockenturm mit Langemarckhalle reihen sich perlenkettenhaft aneinander. Die Abfolge der Bauten war genauestens ausgeklügelt – die sportbegeisterten Besucher sollten einer Art architektonischer Dramaturgie folgen. Von der Begeisterung am Wettkampf über eine starke militärische Komponente bis hin zur verklärten soldatischen Totenehrung reichte die beabsichtigte Wirkung. Sie sollte den Besucher bereits beim Zugang zum Stadion über den Olympischen Platz erfassen. Betrat man durch die zwei Stelen des Olympischen Tores das in den Boden abgesenkte Olympiastadion, das Zentrum der Anlage, musste man sich nicht wie üblich erst die Tribünen emporarbeiten. Der Panoramablick auf die eigentliche Stätte des sportlichen Wettkampfes erschloss sich sofort – ein Trick mit nicht zu unterschätzender Wirkung. Der Besucher hatte jedoch gedanklich nicht beim sportlichen Wettkampf zu rasten. Stattdessen lenkte ein rigider Einschnitt über dem Marathontor die Blicke auf das dahinter liegende Maifeld, das gerne einmal als militärisches Aufmarschgelände genutzt wurde. Der Blick des Besuchers sollte schließlich am Glockenturm hängen bleiben, der gemeinsam mit der Langemarckhalle eine mystifizierte Art des Totengedenkens darstellt.

Ein Buddybär wirbt für die Fußballweltmeisterschaft 2006.

Ein Buddybär wirbt für die Fußballweltmeisterschaft 2006.

Zur Fußballweltmeisterschaft 2006 und drei Jahre später zur Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 blickt die sportbegeisterte Weltöffentlichkeit auf den heutigen Olympiapark, vor allem aber auf das Olympiastadion. Das ist vor kurzem komplett überholt worden. Die nationalsozialistische Architektur der Anti-Moderne und das prägende Baumaterial aus Naturstein sind noch überall präsent. Trotz der denkmalgerechten Renovierung und Restaurierung wird heute beides überlagert von modernstem High-Tech. Nach der Modernisierung haben viele Berliner Bauklötze gestaunt: Eine schwindelerregend grazile Überdachungskonstruktion und die Aschenbahn im Blau des Berliner Fußballclubs Hertha BSC wirken futuristischer, als die Berliner es sich für das Olympiastadion vorgestellt haben. Über 74 000 Zuschauer fasst das Oval, hinzu kommen eine High-Tech-Lautsprecheranlage und ausgeklügelte Anlagen im Untergrund des Stadions. Das Olympiastadion ist heute eine der modernsten Sportanlagen der Welt. Für das stille Erinnern bleibt aber auch bei großen, lauten und hektischen Sportveranstaltungen Zeit.


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Die Autorin studiert Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und absolvierte ein Praktikum im Presse- und Informationsamt des Landes Berlin.