Erst 1922 erhielt Berlin sein erstes Hochhaus – weitab vom Stadtzentrum auf dem Firmengelände der Tegeler Borsigwerke. Dort steht es heute als eines der letzten Relikte einer vergangenen Industrieepoche. Ringsum ist vieles abgerissen, neue Architektur hat die Brachen bislang nur zum Teil gefüllt.
Damals jedoch waren es die beengten Platzverhältnisse, die den Anstoß zum Turmbau gaben – die Grundfläche des 65 Meter hohen Turmes beträgt 20 mal 16 Meter. Schnell wurde der Turm zum Wahrzeichen der Borsigwerke, die 1827 von August Borsig vor dem Oranienburger Tor gegründet und nach wenigen Jahrzehnten zum größten Lokomotivproduzenten Europas geworden waren.
1894/95 bezog man das neue Werksgelände in Tegel, das Stück für Stück erweitert wurde. Die Wirtschaftskrise von 1929 hat der als Familienunternehmen geführte Konzern nicht überlebt. Nach mehreren Besitzerwechseln existiert die Firma Borsig noch heute, das Werksgelände in Tegel aber wurde aufgegeben.
Der Turm entstand als Stahlskelettbau, dessen Fassaden aus Backstein gemauert sind. Architekt dieses ersten Berliner Hochhauses war Eugen Schmohl, der wenig später auch das Ullsteinhaus in Tempelhof – ebenfalls mit einem Turm – baute. Vorbild war vermutlich der von Hans Hertlein nach 1917 erbaute Turm des Wernerwerks in Siemensstadt, aber es gab natürlich auch zahlreiche amerikanische Vorbilder.
Anders als der Wernerwerkturm und der Ullsteinturm birgt der Borsigturm tatsächlich Büros und ist nicht nur imposante Hülle für Schornsteine und Wasserbehälter. Darüber hinaus wurde hier erstmals in der Berliner Industriearchitektur expressionistisches Formengut angewandt. Der Borsigturm wurde in den 70er Jahren renoviert und wird heute als Bürogebäude genutzt. Das Innere ist für Besucher nicht zugänglich.
(Text: Cobbers, Arnt: Architekturführer. Die 100 wichtigsten Berliner Bauwerke. Jaron Verlag)