In der Weißenseer Parkstraße 22 steht das Gebäude noch heute: Hier befand sich bis zu ihrer erzwungenen Auflösung 1942 die „Israelitische Taubstummenanstalt“. In der Internatsschule lernten Taube* jüdische Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen sowie Hebräisch. Sie erhielten Religionsunterricht und feierten Gottesdienste in Laut- und Gebärdensprache. Im Juli 2023 jährt sich der Gründungstag dieser herausragenden, einst europaweit renommierten Institution zum 150. Mal. Aus diesem Anlass lädt die Antisemitismus- und Antidiskriminierungsbeauftragte des Bezirksamts Pankow Monika Flores Martínez in Kooperation mit der Stolpersteingruppe Weißensee und der Landeszentrale für politische Bildung am Donnerstag, dem 6. Juli 2023 um 18 Uhr alle Interessierten ins Kino Toni am Antonplatz, 13088 Berlin ein. Der Eintritt ist frei.
Zur Geschichte der „Israelitischen Taubstummen-Anstalt“
Ihr Gründer, der jüdische Pädagoge Markus Reich (1844 – 1911), hatte 1873 in Fürstenwalde in seinem Wohnhaus begonnen, Taube jüdische Kinder zu unterrichten. Bis 1911 galt in Deutschland für Taube Kinder noch keine Schulpflicht. Angesichts des großen Zulaufs gründete Markus Reich den Verein „Jedide Ilmim“, hebräisch für „Freunde der Stummen“, sammelte Spenden, erwarb ein Grundstück und errichtete ein Schulgebäude. Im Jahr 1890 bezog die Familie Reich mit zunächst zehn Schüler:innen den dreistöckigen Bau in Weißensee. Hier wurde 1932 ein Teil des UFA-Films “Verkannte Menschen” gedreht, der um Akzeptanz für Taube Menschen warb und ihre Bildungs- und Berufschancen thematisierte. 1934 verbot ihn die nationalsozialistische Zensur. Lange Zeit galten alle Kopien als vernichtet.
Vortrag, Film „Verkannte Menschen“ und Podiumsdiskussion im Kino Toni
Wie können wir eine Stadtgeschichte erzählen, in der sich alle wiederfinden? In der Abendveranstaltung wird dieser Frage nachgegangen. Der Film „Verkannte Menschen“ wird am 6. Juli erstmals mit einer Audiodeskription gezeigt, die dieses einzigartige Zeitdokument Menschen mit Sehbehinderung zugänglich macht. Außerdem im Programm: ein Vortrag zur Geschichte der „Israelitischen Taubstummenanstalt“ und eine Podiumsdiskussion mit Praktiker:innen aus Schule, Museum, Politik und Aktivismus. Die Podiumsdiskussion wird in Deutscher Gebärdensprache mit Dolmetschung in Lautsprache moderiert von Stephanie Raith-Kaudelka, Referentin für Bildung bei der Sinneswandel gGmbH. Es diskutieren: Debora Antmann (in Lautsprache), Jüdisches Museum Berlin; David Marquard (in Lautsprache), Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt; Olga Pollex (in Deutscher Gebärdensprache), Ernst-Adolf-Eschke-Schule
Berlin und Mark Zaurov (in Deutscher Gebärdensprache), Präsident der Interessengemeinschaft Gehörloser jüdischer Abstammung Deutschland e.V.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Dr. Felix Klein spricht ein Grußwort. Gefördert wird die Veranstaltung wird durch die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Veranstaltung auf einen Blick:
Do., 6. Juli 2023, 18.00 – 21.00 Uhr
Kino Toni, Antonplatz 1, 13086 Berlin-Weißensee (rollstuhlgerechter Zugang)
Eintritt frei. Anmeldung erwünscht, aber nicht notwendig
Weitere Informationen und Anmeldung auf der Website der Landeszentrale für politische Bildung
Thementische in den Bibliotheken, offene Tür in der Parkstraße 22 und VHS- Führung
Flankierend zum 150. Gründungstag der Israelitischen Taubstummen-Anstalt kuratieren die Pankower Bibliotheken Thementische mit Büchern, DVDs und anderen Medien zu Judentum, Gehörlosenkultur und Gebärdensprache.
Im Gebäude der „Israelitischen Taubstummenanstalt“ befindet sich heute die evangelische Stephanus-Grundschule. Sie öffnet am 6. Juli von 16:00 – 18:00 Uhr allen Interessierten ihre Türen. Die Volkshochschule Pankow bietet am Sonntag, dem 9*. Juli von 11:00 – 13:30 Uhr erstmals eine kostenfreie Führung* mit Dolmetschung in Deutsche Gebärdensprache an, die sich mit der “Israelitischen Taubstummenanstalt” befasst. Treffpunkt: Eingang zum Jüdischen Friedhof Weißensee, Markus-Reich-Platz, 13088 Berlin (VHS-Kursnr. Pa1136FN, Anmeldung unter: vhs@ba-pankow.berlin.de oder 030 90295 1700).
*Hinweis:
Das Wort „Taub“ schreiben wir in Abstimmung mit den betroffenen Mitwirkenden der Veranstaltung groß: Es handelt sich um eine Selbstbezeichnung nicht hörender Menschen. „Taubstumm“ gilt heute als veraltet und diskriminierend, da Taube Menschen eine eigene ausdrucksstarke Sprache benutzen und nicht als stumm wahrgenommen werden möchten.