Jüdisches Leben in Lichtenberg und Hohenschönhausen

Ausgeschnittene Ansicht eines jüdischen Mannes, der in seiner Wohnung Tanach

Ausgeschnittene Ansicht eines jüdischen Mannes, der in seiner Wohnung Tanach

Es wird davon ausgegangen, dass sich erstmals im Jahre 1295 Jüdinnen und Juden in Berlin niedergelassen haben. Es kam in dieser Zeit jedoch immer wieder zu Vertreibungen. Erst mit dem Edikt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm wurde im Jahr 1671 fünfzig jüdischen Familien erlaubt, sich dauerhaft an der Spree niederzulassen. Das war Geburtsstunde der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

In den ländlichen Gemeinden hingegen, zu denen auch die heutigen Gebiete von Lichtenberg gehörten, galt weiterhin ein Niederlassungsverbot. Erst durch ein weiteres „Edikt, betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate“ von 1812 wurde es Jüdinnen und Juden erlaubt, ihren Wohnort frei zu wählen. So ließen sich erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts jüdische Bewohnerinnen und Bewohner in Lichtenberg und den angrenzenden Ortschaften nieder. Mit der Erlangung aller Bürgerrechte mit der Reichsgründung 1871 und der stetigen Industrialisierung stieg die Zahl der Jüdinnen und Juden rapide an. Ende des 19. Jahrhunderts lebten 250 jüdische Menschen auf dem Gebiet des heutigen Lichtenberg. 1896 gründete sich daraufhin die erste jüdische Gemeinde unter dem Namen „Israelitische Vereinigung Friedrichsberg und Umgebung e.V.“, die fortan einen eigenen Religionsunterricht und Gottesdienste organisierte. 1905 wurde die erste Synagoge auf dem Hinterhof der Frankfurter Allee 189 (heute Nr. 96 in Friedrichshain) geweiht. Mit Erlangung der Stadtrechte 1907 übernahmen jüdische Lichtenbergerinnen und Lichtenberger auch Funktionen in Politik und Verwaltung. Immer mehr jüdische Händlerinnen und Händler, Gewerbetreibende und Industrielle siedelten sich an. Vor allem viele jüdische Ärztinnen und Ärzte gründeten Praxen im östlichen Vorort Berlins. Zu ihnen gehörten der bekannte Schriftsteller und Psychiater Alfred Döblin und der Arzt Franz Josef Kallmann. Die meisten Jüdinnen und Juden ließen sich am „Boulevard des Ostens“, der Frankfurter Allee nieder. Dieser Trend setzte sich auch nach 1920 fort. In diesem Jahr erfolgte die Gründung von Groß-Berlin. Alle heutigen Lichtenberger Ortsteile wurden damals Teil der Metropole. Somit wuchs die jüdische Gemeinde bis zum Jahr 1933 auf über 2.200 Mitglieder an, so dass 1935 sogar noch eine neue, größere Synagoge im ersten Stock eines Fabrikgebäudes in der Frankfurter Allee 56 (heute 36b in Friedrichshain) bezogen wurde.

Im Stadtteil Hohenschönhausen entwickelte sich um die Berliner Straße (heute Konrad-Wolf-Straße) parallel ein kleines Zentrum mit jüdischen Gewerbetreibenden. 1931 bildete sie dort eine eigene kleine jüdische Gemeinde. Durch die zunehmende Ausgrenzung durch die Nationalsozialisten rückten die etwa 170 Jüdinnen und Juden in Hohenschönhausen enger zusammen und weihten 1934 eine eigene kleine Synagoge in der Berliner Straße 91 ein. In dieser Zeit waren Jüdinnen und Juden in Lichtenberg, wie überall, zunehmend antisemitischen Maßnahmen ausgesetzt, die ihr Leben einschränkten. Jüdische Beamte wurden entlassen, Ärztinnen und Ärzten verloren ihre Zulassung oder durften nur noch Jüdinnen und Juden behandeln. 1937 wurde der über die jüdische Gemeinde hinaus beliebte Arzt Dr. Victor Aronstein gezwungen, seine Praxis in der Werneuchener Straße aufzugeben. Er wurde 1941 in das Ghetto Litzmannstadt deportiert und 1945 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Auch die kleine Synagoge in Hohenschönhausen existierte nur wenige Jahre, bis zu den November-Pogromen 1938.

Mit den November-Pogromen endete auch in Lichtenberg das offizielle jüdische Leben. Zahlreiche Geschäfte und die Synagoge wurden zerstört. Gemeindemitglieder wurden in Konzentrationslager gesteckt und ermordet oder mussten Zwangsarbeit leisten. Dass die Maßnahmen der Nazis nicht unwidersprochen blieben, bezeugen zahlreiche Sabotageakte in den Lichtenberger Rüstungsbetrieben, an denen sich auch jüdische Widerstandskämpferinnen und -kämpfer beteiligten.

Die Mehrzahl der Lichtenberger Jüdinnen und Juden, die nicht emigrieren konnten, überlebten die antisemitische Vernichtungsmaschinerie der Nazis nicht. Über 500 starben während der Shoah in den Vernichtungslagern.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches kehrten nur wenige Lichtenbergerinnen und Lichtenberger jüdischen Glaubens zurück. Laut einer Zählung der Jüdische Gemeinde lebten 1946 182 Jüdinnen und Juden in Lichtenberg, darunter auch der spätere Oberkantor der Westberliner Gemeinde, Estrongo Nachama. Viele von ihnen blieben nicht lange. Sieemigrierten zumeist in die USA und nach Palästina oder ab 1948 nach Israel. Das jüdische Leben von einst war ausgelöscht wurden. Wie viele Jüdinnen und Juden zu Zeiten der DDR in Lichtenberg lebten ist nicht bekannt. Mit dem Zuzug von sogenannten Kontingentflüchtlingen aus der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre siedelten sich jüdische Einwohnerinnen und Einwohner wieder im Bezirk an.

In den Nachwendejahren vor allem als Neonazi-Hochburg bekannt, hat sich Lichtenberg in den letzten 20 Jahren zu einem bunten Bezirk gewandelt. Menschen mit verschiedenen Herkunftsgeschichten und Identitäten haben sich hier niedergelassen. Darunter sind auch Jüdinnen und Juden – wenn auch noch zu wenige, um eigene Gemeinde- und Vereinsstrukturen wiederaufzubauen. Die Spuren von einst werden aber seit Jahren durch die Zivilgesellschaft und Geschichtswerkstätten gepflegt und wieder sichtbar gemacht, so dass das jüdische Lichtenberg nicht in Vergessenheit gerät.

(Quellen: Koberstein, Thea; Stein, Norbert: Juden in Lichtenberg Edition Hentrich, 1995/Geschichtswerkstatt Lichtenberg: Auf den Spuren jüdischen Lebens in Hohenschönhausen, 2014)