Text aus: Parks in Berlin. Die 50 schönsten Grünanlagen zwischen Pankow und Britz
Autor: Bahr, Christian
Jaron Verlag
Broschur, 240 Seiten, 58 farbige Fotos
ISBN 978-3-89773-420-3
12,95 Euro
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Auf dem Gelände einer ehemaligen Haftanstalt liegt heute der Geschichtspark Zellengefängnis Moabit. Die Ruheoase ist ein echter Geheimtipp und herausragend unter den jüngsten Park in Berlin.
Der Geschichtspark Zellengefängnis Moabit ist eine außergewöhnliche Grünanlage an einem ungewöhnlichen Ort. Sie liegt auf dem Areal einer ehemaligen Haftanstalt und ist von den intakten Gefängnismauern umgeben. Die fünf Meter hohen Backsteinwände schirmen den 2006 eingeweihten Park von der Hektik des direkt gegenüberliegenden Hauptbahnhofs ab und sind wohl auch der Grund dafür, dass die ruhige Oase trotz der zentralen Lage noch immer ein Geheimtipp ist.
Dabei ist der Geschichtspark die herausragendste Kreation unter den jüngsten Parks Berlins. Das Konzept, die Vergangenheit des Ortes, der mehr als 100 Jahre als Gefängnis genutzt wurde, durch gärtnerische Elemente wachzuhalten, ist durchweg gelungen. Entstanden ist eine überzeugende Symbiose aus Erholung und Erinnerung.
Die drei Eingänge des Geschichtsparks an der Invalidenstraße, Lehrter Straße und Minna-Cauer-Straße bilden Pforten in eine isolierte Welt. Isolation war auch der Zweck des Zellengefängnisses Moabit, das hier, außerhalb der Stadtmauern, von 1842 bis 1849 erbaut wurde.
Der Bau setzte damals sehr fortschrittliche Ansichten zur Unterbringung von Häftlingen um. Kriminalität wurde als eine Art ansteckende Krankheit angesehen, und Fachleute glaubten, die Gefängnisinsassen durch räumliche Trennung vor Rückfällen zu bewahren. Das moderne Gefängnis bestand daher nicht mehr aus den bisher üblichen Gemeinschaftszellen, sondern aus rund 520 Einzelzellen.
Die angestrebte „moralische Läuterung“ hatte teils unmenschliche Konsequenzen. Jede Kommunikation unter den Insassen sollte verhindert werden, selbst beim Freigang sollte jedes Gespräch unterbunden werden. Da die Insassen jedoch auf dem Hof miteinander flüsterten, errichtete man bald drei runde Spazierhöfe, die jeweils in 20 Ein-Mann-Pferche unterteilt wurden. Mit hohen Trennmauern versehen, blieben die Häftlinge so auch in den wenigen Freistunden streng voneinander abgeschirmt. Erst 1910 wurden diese inhumanen Höfe abgeschafft.
Bei der Anlage des Moabiter Gefängnisses hatte sich der Architekt und Schinkel-Schüler Carl Ferdinand Busse (1802–68) eng an das Vorbild des Gefängnisses Pentonville in London gehalten, welches aus einem Zentralbau bestand, den vier Flügel für die Zellen und der Verwaltungstrakt sternförmig umgaben. Der Berliner Komplex besaß zudem eine Kirche, eine Schule, Wohngebäude für die Vollzugsbeamten, Gärten, zwei Friedhöfe sowie eine Hinrichtungsstätte.
Nach den modernsten Gesichtspunkten errichtet, galt die Moabiter Haftanstalt als Mustergefängnis in Preußen. Erst 1955 schlossen sich für immer die Pforten, und die letzten 300 Gefangenen wurden verlegt. 1958 wurde der Komplex bis auf wenige Reste abgerissen.
Im Geschichtspark werden die wichtigsten Merkmale des einstigen Gefängnisses durch Bodenreliefs, Pflanzungen und wenige Bauten dargestellt. Zunächst ist dies der sternförmige Grundriss des Bauwerks: Drei der vier Zellenflügel sind erkennbar an ansteigenden oder abgesenkten Rasenebenen. Auf der Fläche des vierten Traktes verdeutlichen Hecken aus Hainbuchen Lage und Größe einzelner Zellen.
Eine Haftzelle ist durch Betonwände nachgebildet und kann betreten werden. Geht man hinein, erklingen Zeilen der "Moabiter Sonette", die der Dichter Albrecht Haushofer (1903–45) in seiner Haftzeit 1944/45 verfasst hat. Aus diesem Werk stammt auch das Zitat, das in großen Lettern die Gefängnismauer ziert.
Viereckige, zu einem Würfel gefügte Betonpfeiler markieren den Standort des zentralen Baus, von dem aus die Zellenflügel überwacht wurden. An den kreisförmigen Platz grenzen dichtstehende Blutbuchen, die die Lage des Verwaltungsgebäudes zeigen. Auch die vorher beschriebenen drei Freiganghöfe sind – verschieden gestaltet – kenntlich gemacht. Wacholderbäume stellen die Häftlinge in ihren Höfen dar.
Durch die einfachen Gestaltungselemente und Pflanzungen bekommt man einen Eindruck von der bedrückenden Enge, der die Häftlinge ausgesetzt waren. Die hohe Gefängnismauer, an deren Außenwand drei Beamtenwohnhäuser stehen, verstärkt die beklemmende Wirkung noch. Die Originalbauwerke stehen seit 1992 unter Denkmalschutz.
Einer der prominentesten Gefangenen war der Schuster Wilhelm Voigt, der später als „Hauptmann von Köpenick“ bekannt wurde. Als 17-Jähriger kam er für drei Jahre (1866–69) nach Moabit. Es war der Beginn einer langen Haftkarriere. 1878 wurde der 21-jährige Max Hödel wegen eines versuchten Attentats auf Kaiser Wilhelm I. hier hingerichtet.
Während der NS-Diktatur dienten Teile der Haftanstalt u.a. als Kerker der Gestapo. Der Schriftsteller Wolfgang Borchert verbrachte hier 1944 über neun Monate Haft wegen „Zersetzung der Wehrkraft“. Zu den eingesperrten Oppositionellen zählte auch der Schauspieler und Sänger Ernst Busch (1943).
Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 wurden Widerstandskämpfer in Moabit inhaftiert. Von den 306 registrierten Gefangenen überlebten nur 35 das Ende der NS-Herrschaft. Infotafeln an den Parkeingängen erklären die Geschichte des Gefängnisses und erinnern an Schicksale der Insassen.
Trotz der historischen Bezüge hat der Geschichtspark Moabit für den heutigen Nutzer einen hohen Erholungswert. Die Rasenflächen mit einzelnen Bäumen sind großzügig bemessen. Der Bereich neben dem Wohnkomplex an der Lehrter Straße ist mit dichtem Gehölz bewachsen, durch das sich ein Pfad schlängelt. Hier wurden Ruhezonen und Spielplätze eingerichtet.
Verstreut auf dem Gelände findet man Natursteinpflaster, Gehwegborde, Schieferblockreste des Brunnens auf dem Olof-Palme-Platz am Zoologischen Garten und roten Sandstein der Moltkebrücke. Sie erinnern an die Zeit, als das Gelände Lagerplatz des Tiefbauamtes war.
Die Idee eines Geschichtsparks für das lange Zeit vergessene Areal entstand 1990. Umgesetzt wurde sie zwischen 2003 und 2006.
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Autor: Bahr, Christian
Jaron Verlag
Broschur, 240 Seiten, 58 farbige Fotos
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