Drucksache - 1447/XX
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Die Bezirksverordnetenversammlung fasste am 20.11.2019 folgenden Beschluss:
Die Bezirksverordnetenversammlung ersucht das Bezirksamt, gemeinsam mit dem Jobcenter Berlin Tempelhof-Schöneberg konkrete Maßnahmen zu entwickeln, um die Wahrnehmungsquote von Terminen durch Leistungsbeziehende im Jobcenter zu erhöhen. Dabei sind die Änderungen durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 5.11.2019 zu berücksichtigen. Des Weiteren soll das Jobcenter folgende Punkte zur Verbesserung der Meldeterminvergabe in Betracht ziehen: -Ausführliche Angabe des Ergebnisses der Potentialanalyse in der Eingliederungsvereinbarung (EV) -Abgabe einer Selbstverpflichtungserklärung des Jobcenters mit dem Ziel der Reduzierung von Meldeversäumnissanktionen
Ferner sollen folgende Punkte bei der Einladungspraxis zu Meldeterminen berücksichtigt werden:
Begründung:
Seit der Einführung der Hartz IV-Gesetze im Jahr 2004 viele Menschen unter Verletzung ihrer Menschenwürde rechtswidrig sanktioniert wurden. 136.655 Sanktionen wurden alleine in Berlin vergangenes Jahr gegenüber Personen im Arbeitslosengeld II Bezug durch die Jobcenter ausgesprochen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 05.11.2019 - 1 BvL 7/16 - entschieden, dass Hartz IV Sanktion von 60 Prozent und mehr verfassungswidrig sind und zukünftig nicht mehr verhängt werden dürfen. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 05.11.2019 unter Randnummer 57 ausdrücklich festgehalten, dass sich die Wirkungsweise von Sanktionen auf die Wiedereingliederung derzeit nicht hinreichend belegen lässt. Dort heißt es wörtlich: „Zwar hat der Gesetzgeber in § 55 SGB II vorgegeben, dass die Wirkungen der Leistungen zur Eingliederung und der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig und zeitnah zu untersuchen sind, doch liegt eine solche umfassende Untersuchung für sanktionierte Mitwirkungspflichten nach §§ 31, 31a, 31b SGB II nicht vor. Aus den sonstigen Studien und den Stellungnahmen in diesem Verfahren ergibt sich ein heterogenes, vielfach aber insbesondere zu den Wirkungen der Mitwirkungspflichten und der Sanktionen nicht durch tragfähige Daten gefülltes Bild.“
83% (114.000) der in Berlin im vergangenen Jahr verhängten Sanktionen beziehen sich jedoch auf sogenannte Meldeversäumnisse und werden für drei Monate i.H.v. 10 Prozent des Regelsatzes verhängt (Quelle: Abgeordnetenhaus, schriftliche Anfrage 18/ 18090). Diese sind auch weiterhin zulässig und werden von den Jobcentern bei Meldeversäumnissen ohne wichtigen Grund gegen die Leistungsempfänger festgesetzt, obwohl deren Wirkungsweise im Hinblick auf die Wiedereingliederung in Arbeit unklar ist (s.o.). Ein Ermessen der Jobcentermitarbeiter hinsichtlich der Verhängung oder Aufhebung einer Sanktion besteht dabei nach der gesetzlichen Regelung generell nicht. Allerdings haben die Jobcenter erhebliche Ermessensspielräume, wenn es um die Vornahme der Einladungen zu Meldeterminen geht. Ziel dieses Antrages ist es die Anzahl von Meldeversäumnissen und Sanktionen zu verringern, indem die Verwaltungspraxis der Meldeterminvergabe ohne großen Verwaltungsaufwand für die Jobcenter möglichst effizienter und Kundenfreundlicher gestaltet wird.
Begründung im Einzelnen (Punkt 1-5):
Durch die Einführung eines Pflichtfeldes in der Eingliederungsvereinbarung kann sichergestellt werden, dass etwaige Terminhindernisse oder -erschwernisse seitens des Kunden regelmäßig und transparent aufgenommen, aktualisiert und bereits bei der Terminbestimmung durch das Jobcenter berücksichtigt werden. Dies soll auch gelten, wenn die Terminhindernisse oder -erschwernisse objektiv noch keinen wichtigen Grund darstellen, aber dennoch die Terminwahrnehmung nachvollziehbar erschweren.
In den Eiladungen zu den Meldeterminen wird als Meldezweck oft nur die Floskel angegeben: Ich möchte mit Ihnen über Ihre berufliche Situation sprechen. Worum es bei dem Meldetermin konkret gehen soll kann der Leistungsempfänger nicht beurteilen. Dies führt bei Leistungsempfängern insbesondere dann zu einer ablehnenden Haltung, wenn sie ohnehin der Meinung sind in der Vergangenheit zu Meldeterminen eigeladen worden zu sein, deren Meldezweck ohne weiteres auch telefonisch oder schriftlich hätte erreicht werden können, wie z.B. die Übersendung von Bewerbungsnachweisen.
Die Angabe eines konkreten Meldezweckes in der Einladung, wie z.B. Durchführung Potentialanalyse, Abschluss oder Weiterentwicklung EV, Übergabe und Besprechung von Vermittlungsvorschlägen, Überprüfung der Eigenbemühungen, Erörterung einer Maßnahme zur Förderung der Eingliederung in Arbeit, etc. kann daher die Bereitschaft des Kunden einen Meldetermin auch wahrzunehmen deutlich erhöhen.
Das Bundessozialgericht hat bereits entschieden, dass Meldetermine und Sanktionen wegen Meldeversäumnissen keinen Selbstzweck darstellen dürfen. Spätestens nach der dritten erfolglosen gleichlautenden Einladung zu einem Meldetermin, muss der Jobcenter seine Strategie daher überdenken und in der Regel ändern. In der Praxis kommt es jedoch noch immer zu Fällen in denen Kunden eine Vielzahl gleichlautender erfolgloser Serienvorladungen erhalten und sanktioniert werden.
Häufig kommen Meldeversäumnissanktionen zustande, weil Leistungsempfänger das Jobcenter telefonisch unter Angabe von Gründen telefonisch beim Servicecenter um eine Terminverschiebung bitten. Tatsächlich haben die Kunden in diesen Fällen oft keinen Nachweis für das Telefongespräch und den Inhalt. Zudem besteht für die Kunden in dieser Situation oft keine Rechtssicherheit, ob die vorgetragenen Gründe aus Sicht des Jobcenters auch tatsächlich einen wichtigen Grund darstellen, der eine Terminverschiebung rechtfertigt.
Diese Schwierigkeiten können vermieden und Rechtssicherheit geschaffen werden, wenn einem rechtzeitigen Antrag auf Terminverschiebung ohne Prüfung eines wichtigen Grundes stattzugeben ist. Einer etwaigen Missbrauchsgefahr kann effektiv entgegengewirkt werden, indem man die zulässige Anzahl der Terminverschiebungen ohne wichtigen Grund beschränkt, z.B. nur erster Antrag auf Terminverschiebung ohne wichtigen Grund zulässig.
Nur eine transparente und dem Kunden bekannte Regelung für einen zulässigen Antrag auf Terminverschiebung bringt Rechtssicherheit für den Kunden und schafft Akzeptanz. Daher ist ein erläuternder Hinweis in der Eingliederungsvereinbarung und in der jeweiligen Einladung zum Meldetermin wichtig.
Für Minderjährige stellt eine formale Einladung zu einem Meldetermin mit Sanktionsandrohung oft eine besondere emotionale Belastung dar. Minderjährige Kinder sollten daher nur in absoluten Ausnahmefällen eingeladen werden. Zudem sollte eine Einladung in jedem Fall ausdrücklich ohne Sanktionsandrohung erfolgen. Das Bezirksamt bittet, den nachfolgenden Bericht auf Grund der nachstehenden Stellungnahme des JobCenters abschließend zur Kenntnis zu nehmen:
Bei der Eingliederungsvereinbarung handelt es sich um einen gemeinsamen Vertrag, in dem jede der Parteien sich zur Ausgestaltung einbringen kann. Soweit es Besonderheiten bei der Terminvereinbarung zu berücksichtigen gibt, z. B. bei geringfügig Beschäftigten, so werden diese auf Kundenwunsch aufgenommen. Da gerade die Individualität der Eingliederungsvereinbarung ein ausschlaggebender Faktor für den Erfolg ist, wird durch das Jobcenter auf verpflichtende Inhalte, die für alle Kundinnen und Kunden aufzunehmen sind, verzichtet.
Der Grund wird in jeder Einladung hinreichend definiert. Über das Terminierungsprogramm sind technisch keine Einladungen ohne einen Einladungsgrund möglich.
BSG-Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 19/14 R (Ermessensfehlgebrauch bei gleichlautenden Serieneinladungen ab dem dritten Meldeversäumnis) Interne Regelungen für die Umsetzung des BSG-Urteils wurden vorgenommen. Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit liegen vor und werden entsprechend angewendet.
Sofern um eine Terminverschiebung durch Kundinnen und Kunden gebeten wird, erfolgt in der Regel keine Anhörung für eine Sanktion. Bei dem vorliegenden Sachverhalt wird mit entsprechendem Fingerspitzengefühl agiert. Soweit das Anliegen im Servicecenter des Jobcenters vorgetragen wird, besteht für Kundinnen und Kunden die Möglichkeit, dass sie für eine Klärung mit der jeweiligen Integrationsfachkraft zurückgerufen werden. Für diese Rückrufe gilt ein Mindestservicelevel von zwei Arbeitstagen. Alle Gespräche werden in den Fachanwendungen des Jobcenters entsprechend dokumentiert und sind dadurch nachvollziehbar. Auf Verlangen des Kunden wird auch eine entsprechende Bestätigung ausgestellt, so dass keine Notwendigkeit besteht.
Da keine Legaldefinition existiert, wann Termine verschoben werden müssen, sondern es sich um eine Ermessensentscheidung der Integrationsfachkraft unter Berücksichtigung der individuellen Belange der Kundinnen und Kunden des Jobcenters handelt, ist es nicht zielführend, eine Pauschalregelung einzuführen, da diese nie die Einzelfälle der unterschiedlichen Lebenslagen berücksichtigen würde.
Die Einladung minderjähriger Kinder steht im individuellen Ermessen der Integrationsfachkraft, welches im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Auftrag steht. Sofern minderjährige Kinder arbeitslos sind und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, werden Sie auch weiterhin mit einer Rechtsfolgenbelehrung eingeladen, um die Hilfebedürftigkeit schnellstmöglich zu beenden. Bei allen anderen Einladungsgründen wird darauf geachtet, dass Kundinnen und Kunden, die der Schulpflicht nachgehen, außerhalb von Schulzeiten eingeladen werden (Bsp. Ferienzeiten). Alle Einladungen werden dabei an die jeweils vertretungsberechtigten Erziehungsberechtigten gesandt, so dass die dargestellte emotionale Belastung minimiert und durch die Elternhäuser abgemildert werden kann.
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