Drucksache - 1298/XIX  

 
 
Betreff: Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen offenlegen und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Die Fraktion der CDUBezirksamt
Verfasser:Frau Dr. Klotz, SibyllSchöttler, Angelika
Drucksache-Art:AntragMitteilung zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Ausschuss für Gesundheit Beratung
27.04.2015 
31. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Gesundheit      
Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin Beratung
19.11.2014 
40. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen (Beratungsfolge beendet)   
Bezirksamt Entscheidung
Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin Entscheidung
18.02.2015 
43. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin überwiesen   
Ausschuss für Schule Kenntnisnahme
03.03.2015 
32. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Schule zur Kenntnis genommen (Beratungsfolge beendet)   

Sachverhalt
Anlagen:
Antrag
Mitteilung zur Kenntnisnahme
1298_XIX Anlage

Die Bezirksverordnetenversammlung wolle beschließen:

Die BVV fasste auf ihrer Sitzung am 19.11.2014 folgenden Beschluss:

 

„Die Bezirksverordnetenversammlung ersucht das Bezirksamt, der BVV eine aktuelle Auswertung der Einschulungsuntersuchungen (ESU) des Jahres 2013/2014 vorzulegen und insbesondere darzustellen, wie viele Kinder des Bezirkes untersucht wurden, wie viele Kinder von der Einschulung aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellt wurden, ob es Unterschiede zwischen den untersuchten Mädchen und Jungen gibt, welche Feststellungen es hinsichtlich der Früherkennungsuntersuchung und des allgemeinen Gesundheitszustandes (Zahngesundheit, Körpergewicht usw.) gibt und wie sich die Sprachkompetenzen der Kinder entwickelt haben. Insbesondere soll das Bezirksamt darlegen, welche Schlussfolgerungen es aus den Untersuchungen zieht.“

 

Das Bezirksamt teilt hierzu mit der Bitte um Kenntnisnahme mit:

 

Es wurden 3107 Kinder durch den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst Tempelhof-Schöneberg im Rahmen der Einschulungsuntersuchungen 2014 (für das Schuljahr 2014/2015) untersucht.

 

r 514 Kinder wurde ein Antrag auf Rückstellung gestellt, für 494 Kinder wurde schulärztlicherseits der Antrag befürwortet.

 

Die Befürwortung durch die Schulärztin oder den Schularzt erfolgt  entsprechend den Vorgaben des § 43 Abs. 2 des Schulgesetzes für das Land Berlin  wenn nach schulärztlicher Bewertung der Entwicklungsstand des Kindes eine bessere Förderung in einer Einrichtung der Jugendhilfe erwarten lässt.

 

r 20 Kinder wurde der Antrag der Eltern nicht befürwortet.

 

Die Nichtbefürwortung stellt damit eine Ausnahme dar.

 

r 494 Kinder wurde dem KJGD von der Schulaufsicht die Rückstellung mitgeteilt.

 

Nach diesen Angaben wurden 18,1% des schulpflichtigen Jahrgangs, der dem KJGD zur Einschulungsuntersuchung vorgestellt wurde, zurückgestellt (bezogen auf die wegen Schulpflicht 2014 untersuchten Kinder (2.697) plus die im Vorjahr wegen vorzeitiger Einschulung untersuchten Kinder (32))[1].

 

Die zurückgestellten Kinder sind zum allergrößten Teil im 2. Halbjahr geboren, fast 2/3 im letzten Quartal.

 

Nach der Rückstellung hat sich der Entwicklungsstand dem der direkt einzuschulenden Kindern weitgehend angeglichen, der Anteil von Kindern mit schulischen Förderempfehlungen und auffälligem Befund hinsichtlich der emotionalen und sozialen Entwicklung ist deutlich geringer.

Der Anteil Kinder mit sonderpädagogischen Förderempfehlungen ändert sich durch die Rückstellung nicht.[2]

 

Dies entspricht auch den Ergebnissen der Auswertungen der ESU-Daten von 2012 und 2013.

Bewertung

 

Nachdem das Schulgesetz für Berlin vom 26.1.2004 keine Rückstellung mehr vorsah (nur eine Befreiung von der Schulpflicht in Ausnahmefällen), wurde mit der Änderung vom 25.1.2010 die Möglichkeit einer Rückstellung wieder eingeführt[3]. [4]

Seither steigt die Zahl zurückgestellter Kinder von Jahr zu Jahr.

 

Die Anzahl der zurückgestellten Kinder entspricht der Zunahme der von den sorgeberechtigten Eltern gestellten Anträge auf Rückstellung.

 

r das Schuljahr 2014/2015 hat die Senatsschulverwaltung das Antragsverfahren vereinfacht und Eltern und Kindertagestätten informiert.

Die Diskussion über eine Rückstellung wird in der Regel bereits vor der Anmeldung in der zuständigen Grundschule in der Kindertagestätte zwischen Eltern und Erzieherinnen  und Erziehern geführt. Bei der Anmeldung im Herbst entscheiden die Eltern durch Ankreuzen[5], ob sie einen Antrag auf Rückstellung stellen. Im Regelfall soll bereits hier eine schriftliche Stellungnahme der Kita vorliegen.

 

Die Aufgabe der Schulärztin oder des Schularztes ist die Beratung der Eltern. Dies betrifft i.d.R. nur einen Teil der Eltern, die zum Zeitpunkt der Einschulungsuntersuchung noch unentschieden sind.

 

Schulärztlicherseits kann der Antragswunsch der Eltern meist nachvollzogen und entsprechend befürwortet werden.

 

Kinder entwickeln sich unterschiedlich schnell. Aber auch bei einem Kind entwickeln sich Teilbereiche mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.

Zurückgestellt werden vornehmlich die jüngeren Kinder, die sich insgesamt  oder in Teilbereichen langsamer als der Durchschnitt entwickelt haben. Dies gilt auch für Kinder, die in ihrem emotionalen und sozialen Verhalten noch eher dem Kleinkindesalter zuzuordnen sind. Unter der Berücksichtigung der schulischen Verhältnisse und der Verhältnisse in der Kita hat die Schulärztin oder der Schularzt bei Rückstellungsanträgen gutachterlich zu bewerten, in welcher Institution im nächsten Schuljahr das Kind voraussichtlich am besten gefördert werden kann.

Bei der Entscheidung über die Rückstellung durch die Schulaufsicht, soll die Stellungnahme der Kita auch bei abweichender schulärztlicher Stellungnahme angemessen berücksichtigt werden.

 

Wie die Untersuchungen des KJGD zeigen, erreichen die zurückgestellten Kinder, die in herem Anteil auffällige Screeningtestbefunde aufweisen, nach einem Jahr Rückstellung den Durchschnitt der regelhaft eingeschulten Kinder. Dies ist schon allein dadurch zu erklären, dass die Kinder ein Jahr später altersentsprechende Entwicklungsfortschritte gemacht haben.

 

Kinder mit Entwicklungsstörungen und Behinderungen werden ebenfalls bei der Rückstellung berücksichtigt.

Der Anteil der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ändert sich durch die Rückstellung jedoch nicht. Dies entspricht auch der Vorstellung, dass die zugrunde liegende Störung nicht verschwindet. Dennoch kann der durch die Rückstellung erreichte Entwicklungsfortschritt das Kind in die Lage versetzen, besser mit den schulischen Anforderungen umgehen zu können.

 

Insgesamt wird durch die derzeitige Rückstellungspraxis erreicht, dass der Entwicklungsstand der einzuschulenden Kinder homogener ist auf Kosten einer größeren Altersstreuung (über 2 Jahre).

2/3 der zurückgestellten Kinder sind im letzten Quartal geboren.

 

Es wird auch auf den Bericht des KJGD: „ckstellung und Kitabesuchsdauer“ vom Dezember 2013 verwiesen.

 

Die zunehmende Anzahl zurückgestellter Kinder nimmt entsprechend Kitaplätze im Vorschulbereich in Anspruch. Der KJGD hat darauf in der Diskussion mit der Schulaufsicht und dem Jugendamt hingewiesen.

Insbesondere regional kann es dadurch zu Platzmangel kommen.

Gerade die Kinder aus belasteten Familienverhältnissen und aus der unteren sozialen Statusgruppe besuchen die Kitas nicht so lange wie Kinder aus der oberen Statusgruppe. Diese Kinder würden aber gerade von einer längeren und früheren Kitaförderung voraussichtlich profitieren.

Leider sind es oft diese Familien, die ein niederschwelliges, wohnortnahes Kitaplatzangebot benötigen, welche nur verzögert einen Kitazugang finden.

 

Einen Hinweis, dass sich der Entwicklungsstand der Kinder verschlechtert hat, und dadurch eine zunehmende Zahl von Rückstellungen begründbar ist, findet sich in den Auswertungen der Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen der letzten 6 Jahre nicht.

 

Die Parameter zur Gesundheit von Kindern, die in der Einschulungsuntersuchung erhoben werden (Entwicklungsstand, Risikoverhalten der Eltern bezüglich der Gesundheit ihrer Kinder, Übergewicht) sind in den letzten 6 untersuchten Jahren weitgehend stabil geblieben und liegen im Bereich der Gesamtberliner Mittelwerte. Sie sind insgesamt als gut zu bewerten.

Der Anteil von Kindern mit Sprachdefiziten (jedes 5. Kind) wird jedoch als nicht befriedigend bewertet und sollte Anlass sein, die vorschulische Sprachförderung weiter zu verbessern. Hier ist auch die diesbezügliche Qualität der Kitaförderung zu berücksichtigen. Auch die soziale Integration von Familien mit unzureichenden deutschen Sprachkenntnissen sollte in diesem Rahmen vermehrt in den Blick genommen werden.

 

Unter Orientierung an den Sozialräumen und kleinräumiger Betrachtung (Ebene der Planungsräume) lassen sich erhebliche räumliche Unterschiede darstellen und Räume mit einem erhöhten Anteil von Familien in sozial ungünstiger Lage beschreiben. Hier wird ein besonderer Präventionsbedarf deutlich.

 

Der KJGD diskutiert diese Ergebnisse mit dem Jugendamt, den Schulbehörden, den Kitas und SPZ, sowie freien Trägern, um allen Akteuren Grundlagen für gezielte Präventionsarbeit zu bieten.

Er veröffentlicht entsprechende Auswertungen der Einschulungsuntersuchungen.

 

Er richtet seine sozialkompensatorischen Angebote selbst danach aus. Hier sei auf die Außensprechstunde in Schöneberg Nord (Kurmärkische Straße) in Kooperation mit dem Familienzentrum verwiesen.

Die Entwicklung von Präventionsketten ist ebenso darauf ausgerichtet wie die Angebote im Rahmen „Früher Hilfen“ (Familienhebammen).

Der KJGD bietet Psychomotorische therapeutisch geleitete Gruppen in einzelnen Grundschulen an und kooperiert im Rahmen der Präventionsarbeit mit einem Sportverein.

Er vermittelt durch Spendengelder finanzierte Ferienschwimmkurse für Kinder im Einschulungsalter.

Eltern, die im Rahmen des verbindlichen Einladewesens dem KJGD gemeldet werden, weil Sie eine Vorsorgeuntersuchung verpasst haben, werden von den Sozialpädagoginnen und dagogen des KJGD gezielt über den Sinn der Vorsorgeuntersuchungen informiert. Darüber hinaus bietet der KJGD selbst Nachuntersuchungen an und hat ca. 500 Kinder pro Jahr daraufhin untersucht.

Im Rahmen der Kitareihenuntersuchungen werden Kinder mit Förderbedarfen erkannt und Hilfen vermittelt.

 

Schlussfolgerung

 

Um das frühe Einschulungsalter zur Förderung der Kinder im Setting Schule zu nutzen, sind besondere Bedingungen in den Schulen notwendig. Ob diese in ausreichendem Maße, wie geplant, geschaffen wurden, wird kritisch diskutiert. Die Ergebnisse der ESUs zeigen, dass Kinder von dem Besuch einer Kita, möglichst lang vor dem Schulbesuch, profitieren. Dies sollte in Verbindung mit einer Heraufsetzung des Einschulungsalters aus Sicht des Gesundheitsamtes unterstützt werden. Sehr wichtig ist die frühzeitige Durchführung der ESU vor dem Schulbesuch, um Fördermaßnahmen oder Therapien noch greifen zu lassen. Dies ist nur realisierbar,  wenn eine ausreichende Personalausstattung im KJGD vorhanden ist. Da die Aufgaben des KJGD, insbesondere durch die enorme Fallzahlsteigerung von Zuzugsuntersuchungen  für Asylbewerberkinder und ESUs durch die Rücksteller, ohne Personalaufwuchs zugenommen haben, konkurrieren diese um die Termine.

 

 


[1] Siehe auch die Auswertung des KJGD: Soziale Lage und Kernindikatoren, Auswertungen aus den Einschulungsuntersuchungen Tempelhof-Schöneberg 2009 – 2014 (Stand September 2014): 2. Bezirk (Zeitreihen)

[2] Siehe auch:

Rückstellungen und Kitabesuchsdauer: Daten der Einschulungsuntersuchungen in Tempelhof-Schöneber 2009 bis 2013

http://www.berlin.de/imperia/md/content/batempelhofschoeneberg/abtgesstadtqm/ges/ges_fb6/gbe_esu/20140106_bericht_2013_r__ckstellung.pdf?start&;ts=1412271683&file=20140106_bericht_2013_r__ckstellung.pdf

[3] § 42(3) Schulgesetz für das Land Berlin vom 26.1.2004, zuletzt geändert am 25.1.2010:

Abweichend von Absatz 1 können schulpflichtige Kinder auf Antrag der Erziehungsberechtigten von der Schulbesuchspflicht um ein Jahr zurückgestellt werden, wenn der Entwicklungsstand des Kindes eine bessere Förderung in einer Einrichtung der Jugendhilfe erwarten lässt. Eine Rückstellung kann nur dann erfolgen, wenn eine angemessene Förderung des Kindes in einer Einrichtung der Jugendhilfe erfolgt. Der Antrag der Erziehungsberechtigten ist zu begründen und soll mit einer schriftlichen Stellungnahme der von ihrem Kind zuletzt besuchten Einrichtung der Jugendhilfe oder Kindertagespflegestelle eingereicht werden. Die Schulaufsichtsbehörde entscheidet auf der Grundlage gutachterlicher Stellungnahmen des zuständigen Schularztes oder des schulpsychologischen Dienstes. Eine Rückstellung nach dem Beginn des Schulbesuchs ist ausgeschlossen.

[4] Siehe auch die Berichte des KJGD:

Soziale Lage in den Lebensweltlich orientierten Räumen (LOR) vom Januar 2012, Seite 10 und

Rückstellung und Kitabesuchsdauer vom Dezember 2013, Seite 6

http://www.berlin.de/imperia/md/content/batempelhofschoeneberg/abtgesstadtqm/ges/ges_fb6/gbe_esu/20140106_bericht_2013_r__ckstellung.pdf?start&;ts=1412271683&file=20140106_bericht_2013_r__ckstellung.pdf

[5] Antrag auf Rückstellung: ja / nein / wird erwogen (bis 31. März)

 
 

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