Drucksache - 1129/XVIII  

 
 
Betreff: Urteil zum Wohnungsbordell im Hauptsacheverfahren auswerten und Erkenntnisse für die bauplanungsrechtliche Genehmigungspraxis aufzeigen!
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Frakt. GRÜNE, SPDBezirksamt
Verfasser:Herr Krömer, BerndBand, Ekkehard
Drucksache-Art:AntragMitteilung zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin Entscheidung
15.07.2009 
33. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen (Beratungsfolge beendet)   
Bezirksamt Entscheidung
Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin Entscheidung
30.09.2009 
35. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin überwiesen   
Ausschuss für Stadtplanung Vorberatung
14.10.2009 
32. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung zur Kenntnis genommen (Beratungsfolge beendet)   

Sachverhalt
Anlagen:
Antrag
Mitteilung zur Kenntnisnahme

Die Bezirksverordnetenversammlung wolle beschließen:

 

„Urteil zum Wohnungsbordell im Hauptsacheverfahren auswerten und Erkenntnisse für die bauplanungsrechtliche Genehmigungspraxis aufzeigen !“

Die BVV fasste auf ihrer Sitzung am 15.7.2009 folgenden Beschluss:

„Die Bezirksverordnetenversammlung ersucht das Bezirksamt, das Urteil und seine Entscheidungsgründe im Hauptsacheverfahren (VG A 91.07 vom 5.5.2009) auszuwerten und die daraus gewonnenen Erkenntnisse der Bezirksverordnetenversammlung schriftlich zur Kenntnis zu geben. Mit dieser Mitteilung zur Kenntnisnahme sollen auch die konkreten Änderungen für die bauplanungsrechtliche Genehmigungspraxis aufgezeigt werden.“

Das Bezirksamt teilt hierzu mit der Bitte um Kenntnisnahme mit:

Das in dem Beschluss genannte Urteil wurde zwischenzeitlich rechtskräftig, da das beklagte Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf eine – vom VG wegen der grundsätzlichen Bedeutung ausdrücklich zugelassenen – Berufung nicht eingelegt hat.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte entschieden, dass es sich bei einem Bordell in der R.-Straße um einen ausnahmsweise in einem gemischten Gebiet zulässigen gewerblichen Betrieb mittleren Umfangs handelt, der aufgrund vom Verwaltungsgericht ermittelter betrieblicher Besonderheiten keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung verursachen kann. Damit hat sich das VG in diesem Einzelfall von seiner bisherigen Rechtsprechung vorherrschenden typisierenden Betrachtungsweise von Bordellen und bordellartigen Betrieben wegbegeben.

Auswertung des Urteils

Zunächst setzt sich das VG mit der Frage der planungsrechtlichen Zuordnung von Bordellen und bordellartigen Betrieben auseinander, insbesondere, ob solche als Vergnügungsstätten oder als gewerbliche Betriebe einzustufen sind. Im Ergebnis schließt es sich der Einordnung als Gewerbebetrieb (sui generis) an.

Anschließend führt das VG eine umfassende Auseinandersetzung mit der Berechtigung der in der bisherigen Rechtsprechung weitaus überwiegenden typisierenden Betrachtungsweise von Bordellen und bordellartigen Betrieben und wertet zunächst die bisherige Rechtsprechung aus. „Bei der zur planungsrechtlichen Beurteilung von prostitutiven Einrichtungen typisierenden Betrachtungsweise wird diesen regelmäßig ein Störpotenzial zugeordnet, das insbesondere in der früheren Rechtsprechung unter Hinweis auf Belästigungen der Hausbewohner, erhöhte Schutzbedürftigkeit Minderjähriger, unvermeidbare Kontakte der Hausbewohner mit Prostituierten und deren Kunden, Klingeln von Kunden an falschen Wohnungstüren, Verschmutzungen des Hausflures, unzufriedene oder alkoholisierte Kunden bis hin zu gewalttätigen Begleiterscheinungen charakterisiert ist. In anderen Entscheidungen wird die Unzumutbarkeit allgemein mit dem Hinweis auf milieubedingte Begleiterscheinungen und Auswirkungen und einem städtebaulich unerwünschten „Trading-Down-Effekt“ begründet. Nach Maßgabe dieser Annahmen entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass Bordelle und bordellartige Betriebe nicht nur in Wohngebieten, sondern auch in einem Mischgebiet als unzulässig angesehen werden“.

Daneben wird insbesondere ein Urteil des BVerwG festgehalten, das feststellt, „dass die im Falle der so genannten Wohnungsprostitution regelmäßig gegebene Störung typischerweise nicht so weit gehen muss, dass das Vorhaben in einem Mischgebiet ... generell unzulässig wäre.“

In der anschließenden Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wohnungsprostitution (also einer Form der Prostitutionsausübung, deren wesentliches Merkmal ist, dass die Prostituierte bzw. die Prostituierten auch in der Wohnung wohnen und die zur Prostitutionsausübung genutzten Räume gegenüber den eigentlichen Wohnräumen untergeordnet sind), kommt das VG zu dem Schluss, dass „das von der Rechtsprechung geforderte Merkmal des gleichzeitigen Wohnens nicht geeignet ist, die planungsrechtliche Zulässigkeit gegenüber einem störenden Gewerbebetrieb abzugrenzen. ... Maßgeblich ist vielmehr, dass in Wohnungen oder Gebäuden mit Wohnungen, also in einem Umfeld mit zulässiger Wohnnutzung, Prostituierte tätig sind und die jeweilige prostitutive Einrichtung dem Gesamtgebäude nicht das Gepräge geben. Die Größe des jeweiligen Betriebes, die Öffnungszeiten und Betriebsabläufe bilden dann den Maßstab und Rahmen für die Gebietsverträglichkeit. Diese Form der Ausübung der Prostitution wird in der politischen Diskussion mit dem Begriff der Wohnungsbordelle umschrieben.“

Im Ergebnis verwirft das VG die typisierende Betrachtungsweise zu Bordellen und bordellartigen Betrieben. „Angesichts der unklaren Begrifflichkeiten und der Vielschichtigkeit der Erscheinungsformen prostitutiver Einrichtungen (Bordelle, Swinger-Clubs, Laufhäuser, Massagesalons, Terminwohnungen, Modellwohnungen, bordellähnlichen Einrichtungen, Eskortservice, Bars, etc) ... und des mit den jeweiligen Betriebsformen und Betriebsabläufen verbundenen Störpotenzials ist für die planungsrechtliche Zulässigkeit die typisierende Betrachtungsweise grundsätzlich ungeeignet.“ Insbesondere wendet es sich gegen die typisierende Betrachtungsweise, soweit diese sozialethische Erwägungen mit einbezieht. „Dieser Ansatz steht im Widerspruch dazu, dass dem Baurecht eine Wertung der Nutzung in sozialethischer Sicht fremd ist. ... Sittliche Erwägungen dürfen auch nicht durch die Hintertür eingeführt werden, beispielsweise indem das Störpotenzial überhöht wird oder das ungestörte Wohnen im Sinne eines Unbehelligbleibens von sittlichen Anmaßungen verstanden wird. ... Weiter kommt es nicht unmittelbar darauf an, was sich im Inneren einer von Prostituierten genutzten Räumlichkeit abspielt, sondern nur wie das dortige Geschehen nach außen dringt“. Ergänzend verwirft das VG sozialethisch geprägte Erwägungen mit Blick auf das Prostitutionsgesetz, welches keine Auswirkungen auf die bauplanungsrechtliche Beurteilung habe, aber doch die Abkehr von einer negativen sozialethischen Bewertung der Prostitution unterstreiche.

Nach der Verwerfung der typisierenden Betrachtungsweise hält das VG fest, dass die in diesem Fall zu beurteilende prostitutive Einrichtung mit der Wohnnutzung der näheren Umgebung vereinbar ist. Zur Begründung führt es zunächst aus:

 

·        Der Betrieb sei polizeilich (weder dem LKA noch dem Kontaktbereichsbeamten) in irgendeiner Weise auffällig geworden

·        Die zuständige Sozialarbeiterin des Bezirksamtes habe bestätigt, dass der Betrieb nach außen unauffällig sei. Die Sicherheit für die Prostituierten sei wegen der Zugangskontrollen höher als in anderen Einrichtungen

·        Diese Einschätzungen seien durch die Verfasserin der Studie „Berliner Wohnungsbordelle in Wohn- und Mischgebieten“ bestätigt worden

·        Der Betrieb sei unauffällig und trete nicht nach außen in Erscheinung. Die Fensterfront sei mit neutralen blickdichten Lamellenjalousien versehen,

·        außer einem dezenten Messingschild mit Betriebsnamen, Angabe der Öffnungszeiten und dem Zugangshinweis sei keine Werbung oder andere Hinweise auf die Einrichtung vorhanden

·        Selbst der Name der Einrichtung („Salon Prestige“) sei nicht eindeutig als der einer prostitutiven Einrichtung identifizierbar

·        Zwar sei ein gemeinsamer Hauseingang mit den im Hause befindlichen Wohnungen vorhanden, dies unterstütze jedoch noch die Unauffälligkeit von der Straße aus, da Kunden nicht auf der Straße warten müssten, bis ihnen geöffnet werde

·        Die auffallend rot lackierte Tür der Einrichtung erleichtere den Kunden die Auffindbarkeit im Gebäude und helfe somit, längere Aufenthalte der Kunden im gemeinsamen Hausflur zu vermeiden.

Diskutiert wird in dem Urteil noch die Gefahr des Umschlagens sozialethischer Bewertungen in bodenrechtlich relevante Spannungen, insbesondere durch Fortzug der angestammten Wohnbevölkerung sowie städtebaulicher Fehlentwicklungen durch sog. Trading-Down-Effekte. Dieses sei jedoch hinsichtlich Anzahl, Lage und Umfang prostitutiver Einrichtungen durch das Rücksichtnahmegebot des § 7 Abs. 5 BauO 58 bzw. des § 15 BauNVO steuerbar.

Im vorliegenden Fall sah das VG keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des § 7 Nr. 5 BauO 58, der Betrieb halte sich in jeder Hinsicht im Rahmen der Nutzungsstruktur eines Mischgebietes. Es verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass im Mischgebiet Gaststätten allgemein zulässig seien, dennoch werde in dem Betrieb kein Alkohol ausgeschenkt. Auch sei mit Blick auf die Unauffälligkeit des Betriebes angesichts der Öffnungszeiten (bis 23.00 Uhr außer an Sonntagen) eine beachtliche Störung der Nacht- und Sonntagsruhe nicht zu befürchten. Auch die Anzahl der Kunden (durchschnittlich 30 bis 35 pro Tag) übersteige keineswegs das Kundenaufkommen eines Ladengeschäftes, einer Gaststätte oder einer Arztpraxis. Zu berücksichtigen sei darüber hinaus die plangegebene Vorbelastung des Gebietes aufgrund der unmittelbaren Nähe zu einem Kerngebiet bzw. einem besonderen Wohngebiet.

Damit hat das VG die Einrichtung als gewerblichen Betrieb mittleren Umfangs gewertet, der keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung verursachen kann und daher in dem hier vorliegenden Mischgebiet im Sinne der BauO 58 ausnahmsweise zulässig ist. Ausnahmen gem. § 31 Abs. 1 oder Befreiungen gem. § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch waren nicht erforderlich, das Rücksichtnahmegebot gem. § 7 Nr. 5 BauO 58 stand ebenfalls nicht entgegen.

 

Zukünftige Beurteilungspraxis des Bezirksamtes

Das Bezirksamt wird an seiner bisherigen Beurteilungspraxis festhalten und die Genehmigungspraxis bei einer prostitutiven Einrichtung an der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung „da wo gewohnt wird, ist Prostitution grundsätzlich nicht zulässig“ orientieren. Die Zulässigkeit von prostitutiven Betrieben in allgemeinen Wohngebieten wird daher durch das Bezirksamt weiterhin verneint. Das Bezirksamt wird jedoch bei der Beurteilung von Vorhaben in planungsrechtlich zulässig bewohnten Gebieten (gemischte Gebiete nach § 7 Nr. 9 BauO Bln 58 bzw. in einem Mischgebiete nach § 6 BauNVO, besondere Wohngebiete oder Kerngebiete mit durch Bebauungsplan festgesetzt zulässiger Wohnnutzung ) zukünftig im konkreten Einzelfall die in dem Urteil angesprochenen Maßstäbe berücksichtigen. Hier werden bei der Beurteilung insbesondere die Lage des Betriebes im Gebäude, der Zugang zur Einrichtung (z.B. getrennte Eingänge) sowie das äußere Erscheinungsbild die Entscheidungskriterien sein. Weiterhin wird das Bezirksamt im Antragsverfahren präzise Betriebsbeschreibungen einfordern, damit im Einzelfall der Nachweis geführt werden kann, dass Störungen, die bei typisierender Betrachtung unterstellt werden müssen, nicht zu erwarten sind (z.B. Betriebszeitbeschränkung sowie Beschränkung der Betriebsgröße ).

Das Bezirksamt wird selbstverständlich die weitere Rechtsprechung verfolgen und die Genehmigungspraxis laufend überprüfen und ggf. anpassen.

 

 
 

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