Drucksache - 1073/VI  

 
 
Betreff: NS-Täter und Stalinismus-Opfer: Informationstafeln für die Walter Linse-Straße
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BV Dr. Egginger-Gonzalez, BV GrunerBV Dr. Egginger-Gonzalez, BV Gruner
Verfasser:1. Dr. Egginger-Gonzalez
2. Gruner
 
Drucksache-Art:AntragAntrag
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf von Berlin Vorberatung
17.07.2024 
29. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf      
Ausschuss für Bildung und Kultur Empfehlung

Sachverhalt

Die BVV möge beschließen:

 

Das Bezirksamt wird ersucht, an den Straßeneinmündungen Walter-Linse-Straße/Drakestraße und Walter-Linse-Straße/Ringstraße Informationstafeln aufzustellen, die über das Leben von Walter Linse Auskunft geben. Dabei sollen insbesondere auch Erkenntnisse einfließen, die seine Täterschaft im Nationalsozialismus bei der Ausbeutung und Verfolgung jüdischer Menschen belegen.

 

Begründung:

 

Bekannt ist Walter Linse heute insbesondere als Stalinismus-Opfer. Aus diesem Grund wurde am 10. Juni 1961 die Gerichtsstraße in Lichterfelde in Walter-Linse-Straße umbenannt. In der Straße befand sich der letzte freiwillig gewählte Wohnort von Linse, bevor er am 8. Juli 1952 vor seinem Haus von Schwerverbrechern entführt wurde, die im Auftrag des DDR- und Sowjetgeheimdienstes handelten. Linse wurde zuerst in der DDR inhaftiert und dort zum Tode verurteilt. Es folgte seine Verschleppung in die Sowjetunion, wo er am 15. Dezember 1953 ermordet wurde. Drei Jahre vor seiner Entführung war Linse aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) geflohen. In Westberlin betätigte er sich im Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen, dessen erklärtes Ziel die Aufdeckung und Dokumentierung von Menschenrechtsverletzungen in der SBZ/DDR war. Es dauerte bis zum 8. Mai 1996, bis der Generalstaatsanwalt Russlands Linse als politisches Opfer rehabilitierte. Doch Walter Linse war nicht nur Stalinismus-Opfer, sondern auch NS-Täter. Wie der Historiker Klaus Bästlein bereits vor 17 Jahren herausgearbeitet hat, war Linse als Jurist im Dritten Reich aktiv an der Enteignung von Juden beteiligt. Als „Arisierungsbeauftragter“ der Industrie- und Handelskammer in Chemnitz sorgte Linse ab 1938 mit zahlreichen hochrangigen NSDAP-Funktionären für die Enteignung von etwa 300 bis 400 jüdischen Betrieben. Bästlein widerspricht in seiner Einordnung ausdrücklich der bis dahin vertretenen Einschätzung, Linse sei „nur“ ein Mitläufer im Dritten Reich gewesen. Dem hingegen konnte der Historiker anhand Aktenbeständen aus der NS-Zeit belegen, dass Linse ein Täter war, der mit Engagement die wirtschaftliche Ausplünderung von Juden im Chemnitzer Raum vorantrieb und auch nicht davor zurückschreckte, Menschen bei der Gestapo zu denunzieren. Bästlein schreibt: „[Linse] führte die ‚Arisierung in Chemnitz durch und zwar rücksichtslos und bis zur völligen Vernichtung der bürgerlichen Existenz der Betroffenen.“ Weiter heißt es: „Selbstredend war Linse auch über die Deportationen der Chemnitzer Juden in den Osten ab 1941 unterrichtet. Und er wusste, wie alle Funktionsträger seines Ranges, dass dies den nahezu sicheren Tod für die Deportierten bedeutete, nachdem er zuvor ihre bürgerliche Existenz im Rahmen der ‚Arisierung ausgelöscht hatte.“ Ab 1942 war es Aufgabe von Linse, die Kriegswirtschaft in der Region Chemnitz zu organisieren. Er koordinierte teilweise die Arbeitseinsätze von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern und rief in Propagandareden (die nicht von ihm und anderen Nationalsozialisten verfolgten und entrechteten) Bürger*innen zu Anstrengungen für den "Endsieg" auf. Die zitierte Kurzexpertise von Bästlein aus dem Jahr 2007, erstellt im Auftrag des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, ist zur weiteren Vertiefung unter diesem Link abrufbar: https://t1p.de/j4zkt

 
 

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