Drucksache - 1472/IV
Ich frage das Bezirksamt:
Berlin Steglitz-Zehlendorf, den 18. Oktober 2015
Georg Boroviczény
Antwort des Bezirksamts:
Sehr geehrter Herr Rögner- Francke,
die oben genannte Anfrage beantworte ich wie folgt:
Wenn ja: Wie ist das gestaltet? Wenn nein: Was unternimmt das Amt, um dem abzuhelfen? Wie viele sind das derzeit?
Das Bezirksamt – in diesem Fall speziell das Jugendamt – hat sich bereits im Sommer bei der Feststellung der ansteigenden Zahlen der Personengruppe der Minderjährigen unbegleiteten Ausländer (UMA früher Flüchtling) in die Planung zur Bewältigung dieser neuen großen Herausforderung begeben. Zur Klärung des gesamten fachlichen Hintergrunds möchte ich hier zuerst auf die Zuständigkeiten und Abläufe eingehen:
Für die Erstaufnahme bzw. Inobhutnahme ist die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Sen BJW) – spezifisch das Landesjugendamt – zuständig. Dieses hat die Umsetzung dieser Aufgabe an einen Träger der freien Jugendhilfe übertragen. Dieser Träger ist für die Erstaufnahme in einer Clearingstelle in der Wupperstraße des Bezirkes Steglitz-Zehlendorf verantwortlich. Dort werden zurzeit die Ankommenden durch die Sen BJW registriert und in ganz Berlin vorerst in unterschiedlichen Unterkünften, z.B. auch in Hostels, untergebracht. Während dieser Zeit werden sie von Trägern der freien Jugendhilfe ambulant betreut. Jeder Jugendliche erhält mindestens 8 Fachleistungsstunden pro Woche, bei Bedarf auch mehr. Auch hier im Bezirk tätige ambulante Träger werden hierfür beauftragt. Die UMA erhalten dann meist innerhalb des nächsten halben Jahres – manchmal und in zunehmendem Maße dauert es auch länger – zur Aufnahme in die Clearingstelle. Dort werden sie dann vom Landesjugendamt in Obhut genommen.
Innerhalb von 3 Monaten wird dann vom Landesjugendamt beim zuständigen Familiengericht eine Vormundschaft angeregt. Für die daraus resultierenden Vormundschaften ist das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf gesamtstädtisch zuständig. Um der Flut von Vormundschaften aufgrund der seit Sommer 2015 stets und kontinuierlich anwachsenden Anzahl der UMA gerecht werden zu können – jeder Vormund darf gesetzlich nur höchstens 50 Mündel betreuen – wurden vonseiten des Jugendamtes sofort bei der Senatsverwaltung für Finanzen (Sen Fin) 3 weitere Vormundstellen beantragt, die auch genehmigt wurden und deren Besetzungsverfahren läuft. In der Zwischenzeit hat sich der Stellenbedarf allerdings so weiterentwickelt, dass er sich bis zum Jahresende prognostisch auf 9 Stellen beläuft. Auch diese befinden sich bereits in der Beantragung bei Sen Fin – abzüglich einer Stelle, weil durch das auch mediale Engagement des Jugendamtes für dieses Aufgabenfeld, bereits 50 ehrenamtliche Vormünder gefunden werden konnten, die gleich bestallt werden konnten. Der Zuspruch auf das Engagement des Jugendamtes war so groß, dass für die rund 700 weiteren Interessierten Informationsveranstaltungen angeboten wurden und werden, um die Chancen und Grenzen dieser Form der Ehrenamtlichkeit zu erläutern und den danach weiterhin ernsthaft Interessierten (rund 150 bis 200 Personen) Qualifizierungskurse zu ermöglichen. Wer dann immer noch dabei ist und vom Gericht als geeignet angesehen wird, kann danach vom Gericht als Vormund für jeweils 1 Mündel – in Ausnahmefällen z.B. bei Geschwistern – auch für 2 Mündel eingesetzt werden.
Neben der gesamtstädtischen Aufgabenwahrnehmung für die Vormundschaften der UMA ist das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf auch – wie alle anderen Berliner Bezirke – für einen Teil der Unterbringungen im Rahmen der Jugendhilfe nach Beendigung der Inobhutnahme nach den 3 Monaten in der Clearingstelle zuständig. Mit Beendigung des Clearings geht die Zuständigkeit für ca. 10 % der UMA (Berlinweiter Verteilungsschlüssel) auf das hiesige Jugendamt über. Weil sich natürlich auch hier die Fallzahlen verdoppelt haben und ebenfalls ständig weiter steigen, wurde auch bereits im Spätsommer der Antrag auf eine zusätzliche Sozialarbeiterstelle und zur verwaltungstechnischen Abwicklung der eingeleiteten Maßnahmen auf eine Verwaltungsstelle für die Wirtschaftliche Jugendhilfe (WiJuHi) bei der Sen BJW gestellt. Auch diese Stellen wurden bewilligt und befinden sich im Auswahlverfahren. Des Weiteren konnten wir eine Sozialarbeiterjahrespraktikantin gewinnen, die in einem anderen Bundesland bei Ihrem Studienabschluss noch die Anwartschaft auf das Anerkennungsjahr erworben hat – das Anerkennungsjahr wurde in Berlin leider abgeschafft – die jetzt auch in diesem Arbeitsfeld unterstützt und sukzessive selbstständig unter Anleitung tätig wird. Aber auch hier werden wegen der noch immer steigenden Anzahl der UMA weitere Stellen bei Sen Fin beantragt.
In Teilen wurde schon in Frage 1 darauf eingegangen. Für die Zeit der Zuständigkeit der Sen BJW können hier keine weiteren Angaben erfolgen. Wenn die Zuständigkeit im Bezirk liegt, erfolgt die Unterbringung in Einrichtungen der Jugendhilfe, deren Standards durch den Berliner Rahmenvertrag für Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfe (BRVJUG) vorgegeben sind. Als der wachsende Bedarf an Einrichtungsplätzen im Rahmen der Jugendhilfe im Sommer deutlich wurde, gelang es bereits im August 8 Plätze für die UMA im Bezirk zu schaffen.
Des Weiteren konnten zur Aufnahme von UMA aufgrund des schon erwähnten medialen Aufrufs des Jugendamtes rund 30 Gastfamilien gewonnen werden. Die Anbahnung einer dortigen Unterbringung gestaltet sich aufwendig, weil eine möglichst große „Passgenauigkeit“ zwischen Familie und aufzunehmendem UMA erarbeitet werden muss. Rund 5 Vermittlungen sind bereits gelungen.
Am 30.10.2015 trat das Jugendamt mit den stationären Trägern der Qualitätsoffensive e.V. und den ambulanten Trägern, die sich bezirklich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, in die weitere Planung ein. Die momentanen Zahlen der nur registrierten UMA (s.o.) verdeutlichen, dass wir bezirklich innerhalb des nächsten Jahre voraussichtlich 200 Unterbringungsplätze zusätzlich mit unterschiedlichster Ausprägung – von sehr niedrigschwellig, weil schon auch durch die gelungene Flucht sehr selbstständigen älteren UMA bis hin zu schwer traumatisierten oder jüngeren UMA - benötigen. Die Schaffung von 20 Plätzen pro Angebot erscheint zur Integration bzw. Inklusion aus sozialpädagogischer Sicht als sinnvoll.
Derzeit ist das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf für die Unterbringung von 86 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zuständig. Von Sen BJW registrierte und vorläufig untergebrachte UMA befinden sich zurzeit ca. 2.000 in Berlin.
Wenn das so ist: Was unternimmt das Amt, um dem abzuhelfen?
Eine schnelle Zuweisung ist nur zum Teil gesichert. Die zurzeit im Jugendamt für die UMA tätigen Vormünder können aufgrund des gesetzlich festgelegten o.g. Rahmens 228 Vormundschaften führen. Bis Jahresende werden ca. 600 weitere Vormundschaften vorliegen, weswegen der o.g. Stellenbedarf besteht. Weil auch weiterhin mit einem Anstieg gerechnet werden muss, wurde wie beschrieben um Ehrenamtliche geworben. Dabei haben sich ca. 700 Personen zu unterschiedlichen Bereichen (Vormundschaft und/oder Gastfamilie) gemeldet. Über diesen großen Zulauf ist das Jugendamt sehr froh und dankbar.
Bis aber für alle Bereiche die notwendigen Qualifizierungen umgesetzt sind, wird es noch eine Weile dauern, zumal hierfür zurzeit noch kein zusätzliches Personal zur Verfügung steht und die Personallage im Jugendamt – wie ebenfalls ausführlich beschrieben – äußerst angespannt ist. Ab Anfang des kommenden Jahres werden 2 Koordinationsstellen für die Flüchtlingsarbeit insgesamt im Jugendamt besetzbar werden. Bis diese Kolleg_inn_en sich eingearbeitet und einen Überblick verschafft haben, wird auch Zeit vergehen. Für den Übergang wurde zur Anbahnung der ehrenamtlichen Vormundschaften eine Honorarkraft eingestellt. Das ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, mehr ist aber aufgrund der ebenfalls bekannten angespannten Haushaltslage des Bezirkes momentan nicht zu leisten.
Deshalb ist davon auszugehen, dass – selbst wenn alle getroffenen und geplanten Maßnahmen umgesetzt sein werden – die Herausforderung des zielgerichteten Einsatzes der Ehrenamtlichen bestehen bleibt. Alle bemühen sich nach Kräften darum, hier keine Frustrationen entstehen zu lassen, können aber immer wieder nur um Verständnis und Geduld bitten, was auf verschiedenen Wegen (Informationsveranstaltungen, Anmeldebögen, Email, Briefe etc.) auch ständig geschieht. Ehrenamtliche Vormünder müssen auf ihre Eignung geprüft, informiert, qualifiziert und fachlich begleitet werden. Eine finanzierte Kooperation mit dem Cura-Betreuungsverein ist hierfür ins Leben gerufen worden. Dieser übernimmt für die noch nicht Vermittelten die o.g. Aufgaben. Der Caritasverband Berlin hat sich bereit erklärt, zusätzliche Informationsveranstaltungen im November 2015 durchzuführen. Im Anschluss, nach erfolgter Überprüfung und Qualifizierung, werden somit weitere Ehrenamtliche für die Übernahme von Vormundschaften zur Verfügung stehen. Das ist dringend notwendig, weil hier auch für die kommenden Jahre großer Bedarf bestehen wird.
Durch das Bündnis für Bildung existiert eine enge und bewerte Zusammenarbeit mit allen für diesen Bereich tätigen Protagonisten im Bezirk. Die Vernetzung funktioniert bisher gut, auch wenn die große Anzahl der UMA alle vor kaum zu bewältigende Aufgaben stellt. Die Willkommensklassen der Schulen sind hierbei genauso zu nennen wie die Ausbildungsorientierung im Jugendausbildungszentrum (JAZ). Die Aufnahme der Tätigkeit der Jugendberufsagentur im nächsten Jahr wird einen guten Eingliederungsprozess zusätzlich unterstützen. Außerdem muss dieses Thema berlinweit auf der Landesebene bewegt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Christa Markl- Vieto Bezirksstadträtin für Jugend, Gesundheit, Umwelt und Tiefbau
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