Auszug - Sachstand HzE BE: Jugendamt  

 
 
38. öffentliche Sitzung des Jugendhilfeausschusses
TOP: Ö 6
Gremium: Jugendhilfeausschuss Beschlussart: vertagt
Datum: Di, 22.09.2015 Status: öffentlich
Zeit: 17:00 - 19:15 Anlass: außerordentliche Sitzung
Raum: Am Eichgarten 14, 12167 Berlin
Ort: Haus der Jugend Albert Schweizer
 
Wortprotokoll

In der Sitzung vom 23.06.2015 hat Frau Markl-Vieto kurz über ein Defizit im Bereich der Hilfen zur Erziehung in Höhe von über 1.000.000 € berichtet. Wie vereinbart erfolgt die ausführliche Berichterstattung mithilfe kurzer Berichte von verschiedenen Mitarbeiter_inne_n des Jugendam­tes.

 

BE: Herr Weber Leitung des Zentralen Service ( Haushalt und Personal) Jug ZS L

 

Die beigefügte Tischvorlage „2015_09_22_PA_Produkte der HzE im JA.pdf“ stellt die Entwick­lung der Daten aus der Kosten- und Leistungsrechnung der Jahre 2011 bis 2015 für die Produk­te der Hilfen zur Erziehung dar. Nachdem die Ausgaben für Hilfen zur Erziehung über viele Jah­re relativ stabil waren, sind die Ausgaben in diesem Jahr um 15 % angestiegen. Das Jugendamt rechnet für 2015 mit Ausgaben für Hilfen zur Erziehung  in Höhe von 24 Mio. €. Nach Basiskor­rektur der Senatsverwaltung für Finanzen wird ein Defizit in he von 1,6 Mio. € erwartet.

 

BE: Herr Hoffmann Jugendhilfeplaner des Jugendamtes Jug Plan

 

Herr Hoffmann erläutert die beigefügte Tischvorlage „2015_09_22_PA_HzE Tischvorlage.pdf“,  die sich auf die Ergebnisse der Tiefenprüfungen 2015 im Rahmen des Fach- und Finanzcontrol­lings der Hilfen zur Erziehung bezieht. Danach gibt es einen eindeutigen Zusammenhang zwi­schen stationären Hilfen und sozialstrukturellen Belastungen der Bezirksregionen. Bei den Ein­gliederungshilfen nach § 35a SGB VIII ist dies genau umgekehrt. Störungen der seelischen Ge­sundheit und Teilhabe sind demnach nicht sozialstrukturell erklärbar. Einen möglichen Zusam­menhang liefert der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey des Robert-Koch-Instituts, der dar­auf hinweist, dass bei einem Fünftel (20%) der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren eine latente Gefährdung für psychische Auffälligkeiten besteht, siehe dazu auch: www.r­ki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/Faktenblaetter/KiGGS_W1/kiggs_w1_fb_node.html.

Der Anstieg der Eingliederungshilfen muss zudem mit Bezug auf die Ressourcen und Kapazitä­ten in Schule und Gesundheit gesehen werden.

 

BE: Herr Rosenthal Regionalleiter der Region C des Jugendamtes Jug 8000

 

Herr Rosenthal stellt exemplarisch einen anonymisierten realen Fall unter geändertem Namen vor, damit die Jugendhilfeausschussmitglieder nachvollziehen können, weshalb oft solch hohe Kosten anfallen. Der vorgestellte Fall verdeutlicht, was in vielen verschiedenen Schritten von den RSD Mitarbeiter_inne_n geleistet werden muss. Anfänglich steht häufig die Überlastung der Eltern im Vordergrund, woraufhin das Jugendamt Hilfen zur Entlastung einleitet. Wenn sich wie im vorgestellten Fall die notwendigen Hilfen aufgrund einer Verschlimmerung einer psychischen Erkrankung immer weiter vermehren und die erforderliche Intensität ständig wächst, explodieren auch die dafür eingesetzten Kosten, die das Jugendamt tragen muss.

Fazit ist, dass wegen drohender oder bestehender Kindeswohlgefährdung die letzte Verantwor­tung immer beim Jugendamt liegt und sich andere Kosten- und Verantwortungsträger, wie z.B Krankenkasse und/oder Schule auf Kosten des Jugendamtes zurückziehen. Kinder und Ju­gendliche müssen, wenn es nötig oder deren Wunsch ist, in Obhut genommen werden. Bei be­sonders problematischen Fallverläufen wie bei dem vorgestellten Jugendlichen ist es ungeheu­er schwer, eine passgenaue Hilfe zu finden. Kostenneutrale Standardeinrichtungen sind schnell überfordert und verlangen dann vom Jugendamt eine Verlegung. So muss eine neue, immer dann wegen des Betreuungsschlüssels teurere Unterbringung für das Kind oder den Jugendli­chen gefunden werden. Wenn es dort auch nicht mehr geht, dreht sich das Karussel weiter und die Kostenspirale schießt durch die Decke. Gleichzeitig wird es für die RSD Mitarbeiter_innen immer schwieriger überhaupt noch eine Einrichtung zu finden. So summieren sich die Kosten, der Druck auf das Jugendamt steigt ständig an und dem jungen Menschen wird nicht wirklich gut geholfen, weil die häufigen Wechsel sich keineswegs positiv auf seine Erkrankung auswir­ken, sodass sich oft die Symptomatik verschärft. Hier fehlt es an besser ineinandergreifenden Verantwortlichkeiten aus mehreren Systemen. Das kostet zwar auch, verteilt sich aber auf un­terschiedliche Bereiche und belastet nicht ausschließlich den

HzE-Bereich des Jugendamtes. So könnte den jungen Menschen erstens besser durch die Zusammenarbeit von verschiedenen Expert_inn_en geholfen werden und das Jugendamt wäre nicht Ausfallbürge für ansonsten ver­sagende Systeme.

 

BE: Herr Litta Fachcontrolling und Vertragsmanagement Jug FC

 

Im Hilfeplanverfahren geht es um die Umsetzung von Rechtsansprüchen leistungsberechtigter Eltern. Die Leistung erbringenden Träger der freien Jugendhilfe sind Partner im sozialrechtli­chen Dreieck (Antragstellung/Antragsgewährung/Antragsumsetzung), um erzieherischem Man­gel der Erziehungsberechtigten direkt entgegen zu wirken. Im Hilfeplanverfahren werden von den Fachkräften des Jugendamtes die Anspruchsvoraussetzungen zu Hilfegewährung geprüft. Die dafür geltenden Maßstäbe sind u.a. im Qualitätshandbuch des Jugendamtes Steglitz-Zeh­lendorf als Verfahrensanweisungen dokumentiert. Die Fachvorgesetzten stellen die Einhaltung dieser Vorgaben sicher. Insofern ist gewährleistet, dass die Ausgaben für die HzE im Bezirk sach- und fachgerecht sind. Steuerungsmöglichkeiten ergeben sich vor diesem Hintergrund nur bei der Ausgestaltung der Hilfe und bei der Vereinbarung der angebrachten Qualität, wobei das gesetzlich verankerte Wunsch und Wahlrecht der Anspruchsberechtigten berücksichtigt werden muss.

 

BE: Herr Gulitz Fachreferatsleitung Familienförderung u. stellv. Jugendamtsleitung Jug 2000

 

Auch minderjährige unbegleitete Flüchtlinge (umF), jetzt unbegleitete Minderjährige Ausländer (umA) verursachen Kosten im HzE-Bereich. Die Zuständigkeit richtet sich nach einer Quoten­verteilung durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Diese Kinder und Jugendlichen werden von den Bezirken nach erfolgter Hilfeplanung in den Einrichtungen unter­gebracht, die ebenfalls aus den Transfermitteln HzE bezahlt werden. Die Kosten hierfür können  zurzeit weder prognostiziert werden, noch sind sie irgendwie steuerbar, da die Anzahl dieser Zielgruppe ständig und ungleichmäßig ansteigt. Daher ist es unmöglich den damit verbundenen Kostenaufwuchs  schon vorab in der HzE Planung zu beziffern. Die Präsenz des Jugendamtes Steglitz-Zehlendorf in den Medien zum Thema minderjährige unbegleitete Ausländer, führte zu einem unglaublich hohen Zulauf von Bürger_inne_n, die eine ehrenamtliche Vormundschaft oder Pflegschaft übernehmen möchten. Zurzeit gibt es zehn Pflegefamilien, die minderjährige unbegleitete Ausländer aufnehmen können. Durch diese Familien können die Kosten um ein Drittel reduziert werden.

 

BE: Herr Kunze stellv. Regionalleitung A Jug 6000 V

 

Herr Kunze berichtet zur Thematik des Umsteuerns des Jugendamtes vor dem Hintergrund des Haushaltsdefizits anhand des Beispiels § 20 SGB VIII, Hilfe in Notsituationen:

Die Hilfe in Notsituationen gemäß § 20 SGB VIII sieht eine Leistung des Jugendamtes vor, wenn ein Elternteil aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen zur Betreuung der im Haushalt lebenden Kinder ausfällt. Im Vorfeld dieser Leistung sind die Krankenkassen zu­ständig, die in den letzten Jahren ihre Statuten so verändert haben, dass i.d.R. bereits sechs Wochen nach Leistungsgewährung keine Leistung mehr gewährt wird -auch wenn noch eindeu­tig Bedarf besteht und es sich oftmals um chronische Erkrankungen handelt. Das Jugendamt wird somit an dieser Stelle wieder einmal zum Ausfallbürgen, weil andere Leistungsträger ihre Leistungen versagen. Dementsprechend stiegen die Ausgaben des Jugendamtes laut der Pro­gnose für den § 20 SGB VIII im Februar des Jahres seit 2010 um 391% auf 287.990 €. Diesem eklatanten Anstieg wurde sofort im Rahmen des Fach- und Finanzcontrollings mithilfe eines de­taillierten Maßnahmenplan wirksam begegnet, sodass die prognostizierten Ausgaben um etwa die Hälfte reduziert werden konnten (Stand August 2015).

 

BE: Frau Lehmann Jugendamtsleitung Jug L

 

Frau Lehmann nennt drei Beispiele für eine nicht kalkulierbare Kostenentwicklung:

  1. Es wurden acht neue Plätze im Bezirk für unbegleitete minderjährige Ausländer (umA) ge­schaffen. Dabei wurde die Einrichtungsaufsicht der Senatsverwaltung einbezogen. Die ur­sprüngliche Preiskalkulation wurde dadurch um 500,00 € pro Person und Monat teurer, weil die Senatsverwaltung auf der Einhaltung der Standards beharrte, auch eine nächtliche Be­treuung direkt im Haus zu gewährleisten, obwohl es sich hier um ältere Jugendliche handelt und auf dem Gelände, auf dem sich das Haus befindet, nächtliche Betreuung in anderen Häusern der Einrichtung vorhanden ist. Der Auflage ist das Jugendamt selbstverständlich nachgekommen. Der daraus resultierende Kostenfaktor beträgt nun allerdings 4000,00 € monatlich, die wiederum nicht steuerbar sind.
  2. Als zweites führt Frau Lehmann für die nicht steuerbaren Kosten im HzE-Bereich die Über­gabe von Fällen aus dem Beratungs- und Leistungszentrum für behinderte junge Menschen (BLB) an. Da das Sozialamt deutlich unterbesetzt ist, können sechs sehr kostenintensive Fälle nicht dorthin abgegeben werden. Hier beträgt das Kostenvolumen rund 400.000,00 €.
  3. Beim dritten Beispiel für die nicht steuerbaren Kosten im HzE-Bereich geht es um den im­mensen und unabsehbaren Aufwuchs der unbegleiteten minderjährigen Ausländer und der Flüchtlingsfamilien. In der Kosten- und Leistungsrechnung gibt es noch keine Produkte hier­r, eine Refinanzierung ist zurzeit nicht möglich. Es wird allerdings erwartet, dass diese Kosten von der Senatsverwaltung für Finanzen in der Zukunft abgefedert werden.

 

Frau Lehmann zieht folgendes Fazit: Die Entscheidungen zur Optimierung der HzE im Bezirk brauchen eine Weile bis sie eine wirksame Entwicklung aufzeigen. Zusätzlich beeinflusst die prekäre Personalsituation die Hilfeplanung.

 

Des Weiteren erörtert sie, dass das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf in Bezug auf die Vormund­schaften für die unbegleiteten minderjährigen Ausländer, für die eine gesamtstädtische Zustän­digkeit besteht, große Personalnot hat. Es ist gesetzlich geregelt, dass ein Amtsvormund 50 Mündel betreuen darf. Zurzeit gibt es aber wegen der Menge des Zulaufes von jungen Men­schen dieser Zielgruppe eine gerichtliche Bestallung für deutlich mehr Vormünder bei weiterhin steigender Tendenz. Nun wurden von der Senatsverwaltung für Finanzen drei neue Vormund­schaftsstellen zugesprochen, die jetzt ausgeschrieben werden können. Alle Ausschreibungen sowohl für Sozialarbeiter_innen als auch für Vormünder und Verwaltungskräfte werden nicht un­bedingt zum Erfolg führen, weil die bezirkliche Konkurrenz zurzeit sehr hoch ist, da andere Be­zirke ebenfalls ausschreiben und die Marktlage auf diesem Feld insgesamt eingeschränkt ist. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist können die Bewerbungsunterlagen gesichtet werden. Im An­schluss durchlaufen die Ausgewählten die Gremien, um die Stellen besetzten zu können. Des­halb kann nach Beendigung des Auswahlverfahrens bis zu sechs Monate dauern, bis die Stel­len besetzt sind. Bereits Ende September werden voraussichtlich weitere Vormundschaftsstel­len benötigt.

 

Frau Markl-Vieto sagt zum Abschluss des Tagesordnungspunktes, dass die aus dem Ruder ge­ratenen gesellschaftlichen Schwierigkeiten und die Entwicklung in den Familien auch zu den ho­hen HzE Zahlen beitragen. Diese Probleme wird die Jugendhilfe nicht lösen können. Man kann und darf nicht alles beim Psychologischen Dienst und bei der Jugendhilfe abladen. Sie sind nicht in der Lage alle Probleme der Gesellschaft aufzufangen bzw. zu lösen.

 
 

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