Drucksache - 3401/XX  

 
 
Betreff: Beschluss über eine soziale Erhaltungsverordnung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Baugesetzbuches (BauGB) für das Gebiet "Scharnweberstraße/Klixstraße" im Bezirk Reinickendorf von Berlin, Ortsteil Reinickendorf
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Bezirksamt - Abt. Finanzen, Personal, Stadtentwicklung u. Umwelt 
Verfasser:Bezirksamt - Abt. Finanzen, Personal, Stadtentwicklung und Umwelt 
Drucksache-Art: Vorlage zur Beschlussfassung
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf Beratung
11.08.2021 
56. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf überwiesen   
Ausschuss für Stadtplanung, -entwicklung, Denkmalschutz, Umwelt und Natur Beratung
26.08.2021 
44. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung, -entwicklung, Denkmalschutz, Umwelt und Natur ohne Änderungen im Ausschuss beschlossen   
Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf Entscheidung
08.09.2021 
57. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf ohne Änderungen in der BVV beschlossen   

Sachverhalt
Beschlussvorschlag
Finanzielle Auswirkungen
Anlage/n
Anlagen:
Anlage_1_Geltungsbereich
Untersuchung zur Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen einer Sozialen Erhaltungsverordnung für Reinickendorf West
Rechtsverordnung_soz.Erh._Rdf West

Sachverhalt:

Begründung:

 

  1.   Allgemeines

Das Gebiet, bestehend aus 23 Blöcken mit ca. 9.483 Haushalten, soll gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB als neues Erhaltungsgebiet „Scharnweberstraße/Klixstraße“ festgesetzt werden.

Mit Hilfe der Verordnung soll die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung erhalten und der weiteren Verdrängung der bereits gebietsansässigen Wohnbevölkerung entgegengewirkt werden, um negative städtebauliche Auswirkungen zu vermeiden.

 

Die städtebaulichen Ziele sind

  1.                   der Erhalt des bestehenden Wohnungsangebotes mit den aktuell erreichten durchschnittlichen Ausstattungsstandards und
  2.                   der Erhalt der Übereinstimmung von sozialer Infrastruktur, Wohnungsangebot und Zusammensetzung der Gebietsbevölkerung.

 

Grundlage für die Gebietsabgrenzung bildet das 2020 im Auftrag des Bezirksamtes Reinickendorf von dem Berliner Planungsbüro LPG GmbH erstellte Gutachten zur Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass Sozialer Erhaltungsverordnungen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB für das Untersuchungsgebiet Reinickendorf-West im Bezirk Reinickendorf von Berlin.

 

In dem Gutachten wurde nachgewiesen, dass die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Erhaltungsverordnung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB – bestehendes Aufwertungspotenzial, Aufwertungsdruck und Verdrängungsgefahr sowie zu befürchtende negative städtebauliche Folgewirkungen – im Teilbereich 1 „Klixstraße“ sowie im Teilbereich 2 „Scharnweberstraße“ vorliegen.

 

  1.   Ausgangslage

Aufgrund der Schließung des Flughafens Tegel und dessen Entwicklung zu einem hochwertigen Wohn-, Wissenschafts- und Gewerbestandort sind in naher Zukunft entsprechende Ausstrahlungseffekte auf den Wohnungs- und Grundstücksmarkt in den umgebenden Wohnquartieren zu erwarten. Insbesondere im Untersuchungsgebiet „Reinickendorf West“ (Planungsräume Klixstraße 4422 und Scharnweberstraße 4424) sprechen erste wohnungs- und baustrukturelle als auch bevölkerungsstrukturelle Befunde aus dem Grobscreening des Jahres 2016 für aufgeschobene Modernisierungsvorhaben im privatwirtschaftlichen Wohnungsbestand im Gebiet. Die o.g. anstehenden städtebaulichen Veränderungen können einen Impuls für eine zusätzlich steigende Nachfrage nach hochwertigen, gut ausgestatteten Miet- und Eigentumswohnungen und entsprechend höhere Modernisierungs- und Umwandlungsraten geben. Folgen dieser städtebaulichen Entwicklung wären u.a. steigende Mietpreise im Wohnungsbestand, die zu einer Verdrängung von Bevölkerungsteilen führen würden, welche auf preiswerte Mietwohnungen angewiesen sind.

Das für die Erhaltung vorgesehene Gebiet „Scharnweberstraße/Klixstraße“ befindet sich im Westen des Ortsteils Reinickendorf und grenzt im Westen an das Flughafengelände „Tegel“ sowie den Ortsteil Wedding im Bezirk Mitte. Durch die Nähe sowohl zur City West als auch City Ost sowie die bestehenden Anbindungen an die U-Bahnlinie 6 und diverse Buslinien handelt es sich um ein lagegünstiges, zentrales und gut erschlossenes Wohngebiet. Unmittelbar angrenzend befindet sich der im November 2020 geschlossene Flughafen Tegel. Das Gelände des Flughafens wird mittelfristig zu einem Wohn- und Gewerbequartier entwickelt.

Im Untersuchungsgebiet leben 19.057 Einwohner*innen in 9.483 Haushalten (Stand 31.12.2019). Einzelhandel und Dienstleistungsangebote für den täglichen Bedarf befinden sich vor allem entlang der Scharnweberstraße in den Erdgeschossbereichen. Das Angebot an sozialer Infrastruktur erstreckt sich entlang der Auguste-Viktoria-Allee.

Der Bereich stellt insgesamt ein städtebaulich heterogenes Gebiet dar. Neben noch erhaltener gründerzeitlicher Blockrandbebauung gibt es auch zusammenhängende Siedlungsbereiche aus den 1920/30er Jahren sowie aus den 1950-70er Jahren. Vereinzelt wurden ab den 1980er Jahren bis heute Baulücken geschlossen. Des Weiteren sind auch Blöcke vorzufinden, die sich durch eine – sowohl die Nutzung als auch das Baualter und die Dichte betreffend – sehr heterogene durchmischte Struktur kennzeichnen.

In der Gesamtbetrachtung sind etwa 86% des Gebäudebestands Mehrfamilienhäuser und 17% der Wohngebäude gründerzeitlicher Altbau. Weitere 32% wurden in den 1920er- und 30er-Jahren errichtet und 42% sind Wohnungsbau aus der Nachkriegszeit bis 1990. Im Gebiet gibt es nur wenige Gebäude, die nach 1990 erstellt wurden. Die Eigentümerstruktur des Gebiets "Scharnweberstraße/Klixstraße“ ist, entsprechend den städtebaulichen Strukturen überwiegend durch Einzeleigentum geprägt.

Durch die Haushaltsbefragung im Oktober 2020 wurde erhoben, dass sich der Anteil der privatwirtschaftlichen Eigentumsformen insgesamt auf 60 % des Wohnungsbestands im gesamten Untersuchungsgebiet beläuft. 36 % der Wohnungen befinden sich im Eigentum von privaten Hauseigentümer*innen, weitere 24 % im Eigentum von privaten Wohnungsunternehmen. Diese privaten Eigentumsformen bieten ein hohes Potenzial für die derzeit renditereiche Bildung von Teileigentum und somit auch für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Bei der Aufteilung in Einzeleigentum wird dem Wohnungsmarkt häufig Mietwohnraum entzogen, sodass es zu einer langfristigen Veränderung der Eigentumsverhältnisse in einem Gebiet kommen kann. Da Eigentumswohnungen in der Regel durch eine andere Bevölkerungsgruppe bewohnt werden als Mietwohnungen, kann die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in großem Umfang eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur in einem Gebiet nach sich ziehen. Entsprechend der Haushaltsbefragung wurden bisher nur 13 % des Wohnungsbestands im Untersuchungsgebiet in Wohnungs- und Teileigentum umgewandelt, sodass sich das Umwandlungspotenzial auf 55 % des Wohnungsbestands beläuft. Der Anteil an Sozialwohnungen liegt mit 9,1% im Teilgebiet Klixstraße und 5,5% im Teilgebiet Scharnweberstraße über dem gesamtstädtischen Anteil von 5,1%.

Das Untersuchungsgebiet ist durch einen vielfältigen Wohnungsschlüssel gekennzeichnet, der Wohnraum für verschiedene Haushaltsgrößen bereitstellt. 68 % aller Wohnungen im Untersuchungsgebiet sind bedarfsgerecht belegt und somit entsprechend schützenswert. Knapp ein Drittel des Wohnungsbestands im Untersuchungsgebiet wird durch Kleinraumwohnungen mit einer Größe von bis zu 60 qm abgebildet. Diese Wohnungsgröße bietet ein hohes Potenzial für Wohnungszusammenlegungen. Etwa 15% der Wohnungen haben eine Größe von mehr als 90 qm, die wiederum Potenzial für Wohnungsteilungen bieten. Die Haushalte des Untersuchungsgebiets sind mit einem durchschnittlichen Wohnflächenverbrauch von 34 m² pro Person und einem Anteil von ca. 30% an fehlbelegten Wohnungen unter quantitativen Aspekten gut mit Wohnraum versorgt.

Der gebietstypische Ausstattungsstandard des Wohnungsbestands im Untersuchungs-gebiet ist durch eine Toilette innerhalb der Wohnung, ein Badezimmer mit Dusche oder Badewanne sowie die Beheizung der Wohnung über Heizkörper und eine Gegensprechanlage ohne Kamera gekennzeichnet. Ebenso verfügen zwei Drittel der Wohnungen im Teilgebiet Scharnweberstraße über Wärmeschutzverglasung und knapp zwei Drittel der Wohnungen im gesamten Untersuchungsgebiet über eine Zentralheizung.

Im Untersuchungsgebiet liegt das Bestandsmietniveau im Mittel bei 6,90 Euro/qm nettokalt und befindet sich damit noch deutlich unter dem durchschnittlichen Angebotsmietniveau von 8,75 Euro/qm. Im Teilgebiet Klixstraße liegt das Bestandsmietniveau bei 7,41 Euro/qm, im Teilgebiet Scharnweberstraße mit 6,72 Euro/qm etwas darunter. Mehr als ein Drittel der Wohnungen im Untersuchungsgebiet weisen niedrige Mieten von 6,00 Euro/qm auf, wobei dies im Teilgebiet Klixstraße auf rund ein Viertel und im Teilgebiet Scharnweberstraße auf ca. 40 % zutrifft. Beide Teilgebiete übernehmen somit eine wichtige Versorgungsfunktion mit bezahlbarem Wohnraum. Für etwa die Hälfte der Wohnungen liegen Mieten im mittleren Segment zwischen 6,00 und 9,00 Euro/qm vor. 17 % der Wohnungen im Teilgebiet Klixstraße werden für mehr als 9,00 Euro/qm vermietet, im Teilgebiet Scharnweberstraße sind es 10% der Wohnungen.

Bei etwas mehr als der Hälfte der Haushalte im Untersuchungsgebiet Reinickendorf-West erfolgte in den letzten sechs Jahren eine Erhöhung der Netto-Kaltmiete, 55 % im Teilgebiet Klixstraße und 51 % im Teilgebiet Scharnweberstraße. Während es sich bei rund 20 % der Mieterhöhungen nur um eine geringe Anpassung von unter 5 % des Mietpreises handelte, lagen im Teilgebiet Scharnweberstraße ein Viertel und im Teilgebiet Klixstraße ein Drittel der Mieterhöhungen mit 15 und mehr Prozent im besonders hohen Bereich.

Seit 2017 ist das Quartiersmanagement (QM) Auguste-Viktoria-Allee im Gebiet im Rahmen des Städtebauförderungsprogramms „Soziale Stadt“ aktiv, um die soziale Struktur des Quartiers zu stabilisieren und durch vielfältige Aktivitäten negative Folgen von gesellschaftlicher Benachteiligung abzumildern. Das QM Auguste-Viktoria-Allee spielt eine wichtige Rolle als Anlauf- und Beratungsstelle. Es vernetzt und fördert die verschiedenen sozialen Einrichtungen und Bildungsangebote sowie das zivilgesellschaftliche Engagement und die Nachbarschaftsstruktur. Die Arbeit des QMs orientiert sich dabei stark an den Bedürfnissen der ansässigen Bewohnerschaft. Ein wichtiges Ziel ist es, mit den Quartiersbewohner*innen gemeinsam den Prozess der Stärkung des Kiezes voranzutreiben. Damit hat sich das QM als unterstützende Infrastruktureinrichtung etabliert, die in hohem Maße mit der Wohnbevölkerung auf Augenhöhe zusammenarbeitet.

Das Erhaltungsgebiet weist insgesamt ein besonderes soziales Gefüge mit einer sozialstrukturell gemischten Wohnbevölkerung und einem durchschnittlichen Anteil an Haushalten mit Kindern auf. Das Infrastrukturangebot des Gebiets, insbesondere die Grundschulversorgung und die Kindertagesbetreuung, sind auf die spezifische Bedarfslage der derzeitigen Bevölkerung abgestellt. Die Wohnbevölkerung findet in der momentanen demografischen und sozialen Zusammensetzung in dem Gebiet einen bezüglich des Wohnungsspiegels, der Ausstattung und des Mietpreises bedarfsgerechten Wohnungsbestand.

 

  1. Erwartete städtebauliche Entwicklung

In der Zukunft sind aufgrund der gutachterlichen Feststellungen ohne die geplante Erhaltungsverordnung erhebliche Aufwertungen des vorhandenen Wohnungsbestandes zu erwarten.

Die sich aus dem Aufwertungspotenzial und dem Aufwertungsdruck in dem Gebiet ergebende Verdrängungsgefahr ist für Teile der Gebietsbevölkerung erheblich und geeignet, ohne den Erlass der Erhaltungsverordnung Veränderungen der Bevölkerungsstruktur und negative städtebaulichen Folgen im Geltungsbereich der geplanten Erhaltungsverordnung zu bewirken.

Aufwertungspotenziale im Wohnungsbestand

Umfangreiches bauliches und energetisches Aufwertungs- sowie Umwandlungspotenzial und Potenzial für Zusammenlegungen von Wohnungen im Untersuchungsgebiet sind vorhanden, da

  • ein hoher Anteil an Wohnbebauung festzustellen ist, der vor 1949 errichtet wurde und grundsätzlich umfangreiche bauliche Aufwertungspotenziale bietet wie die Erneuerung von Ausstattungsmerkmalen, den An- und Einbau von zusätzlichen Ausstattungsmerkmalen und die energetische Modernisierung,
  • knapp ein Drittel des Wohnungsbestands im Untersuchungsgebiet Kleinraum-wohnungen mit unter 60 qm sind und diese Wohnungsgröße ein hohes Potenzial für Wohnungszusammenlegungen bietet,
  • private Eigentumsformen das Untersuchungsgebiet – insbesondere das Teilgebiet Klixstraße – dominieren und diese aufgrund lukrativer Veräußerungsmöglichkeiten einen Anreiz für die Bildung von Wohnungs- und Teileigentum bieten, wodurch das Potenzial für die Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen genutzt werden kann,
  • der Modernisierungs- und Sanierungszustand der Gebäude im Untersuchungsgebiet ein umfangreiches Aufwertungspotenzial für energetische Modernisierungen wie eine Dämmung der Fassade, aber auch für eine bauliche Aufwertung durch eine Fassadensanierung, den Anbau von Balkonen oder den Dachgeschossausbau bietet,
  • die Ausstattung in den Wohnungen ein nachholendes Sanierungspotenzial aufgrund nachweisbarer Substandards sowie ein hohes Potenzial für den An- bzw. Einbau wohnwerterhöhender Ausstattungsmerkmale wie einer Fußbodenheizung, eines Aufzugs oder eines Badezimmers mit getrennter Dusche und Badewanne bietet.

Da Eigentumswohnungen sowie Wohnungen im Eigentum privater Wohnungs-unternehmen einen deutlich höheren Ausstattungszustand in den Wohnungen aufweisen, ist unter Berücksichtigung des hohen Umwandlungspotenzials von Miet- in Eigentumswohnungen mit einer baulichen Aufwertung und einer Anhebung des Ausstattungsstandards zu rechnen, wenn die Wohnungen umgewandelt werden.

Aufwertungsdruck auf das Gebiet

Ein hoher Aufwertungsdruck ist im Untersuchungsgebiet begründet in:

  • steigenden Angebotsmieten, die hinsichtlich deutlich höherer Angebotsmieten der Stadt Berlin und anstehender Entwicklungen auf dem angrenzenden ehemaligen Flughafengelände Tegel noch weiteres Steigerungspotenzial und Spielraum nach oben bieten,
  • einem kontinuierlichen Anstieg des Bestandsmietniveaus – bereits 10 % der Netto-Kaltmieten betragen über 10 Euro/qm, überdurchschnittlich hohe Netto-Kaltmieten insbesondere bei privaten Wohnungsunternehmen und im Teilgebiet Klixstraße,
  • einer zunehmenden Anzahl von Haushalten, die von Mietsteigerungen innerhalb der vergangenen sechs Jahre betroffen waren – zuletzt war jeder zweite Haushalt von einer Mieterhöhung betroffen, diese erfolgen zumeist auf Grundlage des Berliner Mietspiegels → höchste Mieterhöhungen jedoch durch Modernisierungsumlagen,
  • einer steigenden Dynamik von durchgeführten baulichen Maßnahmen und Modernisierungen, bei mehr als einem Drittel der Haushalte im Untersuchungsgebiet, Konzentration auf energetische Modernisierungsmaßnahmen sowie weitere Umbaumaßnahmen → identifiziertes Aufwertungspotenzial lässt steigende Modernisierungsaktivitäten und Umlage auf Mieten erwarten,
  • einer steigenden Anzahl von Grundbuchumschreibungen bei gleichzeitig sinkenden Verkaufszahlen, diese verweisen auf Spekulationsabsichten der Eigentümer*innen – auch hohe Leerstände in Bestandsimmobilien sind ein Indikator für gesteigerte Renditeabsichten.

Verdrängungsgefährdung der Wohnbevölkerung

Ein Verdrängungspotenzial wurde im Untersuchungsgebiet nachgewiesen, da

  • mit 47 % knapp die Hälfte der Haushalte bereits eine hohe Warmmietbelastung von über 30 % ihres monatlichen Netto-Haushaltseinkommens hat, von welcher eine erhöhte Verdrängungsgefährdung ausgehen kann → insbesondere Allein-erziehende, Alleinlebende über 65 Jahre sowie Haushalte mit weniger als 1.500 Euro Netto-Haushaltseinkommen haben bereits eine hohe Warmmietbelastung,
  • die Gebietsbevölkerung im Vergleich zum Land Berlin über ein unterdurchschnittliches Netto-Haushaltseinkommen verfügt und nahezu alle größeren Haushalte, wie Familien mit Kindern und Wohngemeinschaften, von Einkommensarmut betroffen und daher besonders auf preisgünstigen Wohnraum angewiesen sind und
  • bis zu einem Drittel der Bewohnerschaft seit über 20 Jahren im Untersuchungs-gebiet lebt und eng mit der Nachbarschaft verbunden ist.

Die anstehende Entwicklung des Flughafengeländes Tegel lässt befürchten, dass die Schließung des Flughafens Tegel im November 2020 als „Gentrifizierungs-Treiber“ funktionieren könnte und angekündigte Nachnutzungen und bauliche Veränderungen auch in der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung strukturelle Veränderungen hervorrufen – die Untersuchung bestätigt erste Tendenzen eines verstärkten Zuzugs einkommensstärkerer Paare sowohl mit Kindern als auch ohne Kinder, die entsprechende Verdrängungsprozesse befördern könnten.

Städtebauliche Folgen der Veränderung der sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und Festlegungserfordernisse

Ersatzinvestitionen durch Minderauslastung der Gebietsinfrastruktur

Die im Gebiet vorhandene Infrastruktur dient der Bedarfslage der Wohnbevölkerung in der derzeitigen Zusammensetzung. Insbesondere die Schulen, die vielen sozialen Einrichtungen, die öffentlichen Spielplätze und das Quartiersmanagement in unmittelbarer Umgebung decken die spezifische quartiersbezogene Nachfrage. Eine mit der Gebietsaufwertung einhergehende wesentliche Änderung der sozialen und demografischen Zusammensetzung der Bevölkerung würde eine Anpassung der sozialen Infrastruktur notwendig machen. Zur Vermeidung der dann erforderlichen Anpassungskosten sowie von Ersatzinvestitionen in anderen Quartieren Berlins für die abgewanderte Bevölkerung ist der Schutz der derzeitigen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung geboten.

Verlust preiswerten Wohnraums

Aufgrund des sich auf allen Wohnungsteilmärkten Berlins reduzierenden Angebots an preiswerten Mietwohnungen hat der Berliner Senat am 28. April 2015 mit der Verordnung zur zulässigen Miethöhe bei Mietbeginn gemäß § 556d Absatz 2 BGB (Mietenbegrenzungsverordnung) die Gesamtstadt zum Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt bestimmt. Zur Vermeidung bzw. Minderung öffentlicher Investitionen in preiswerten Ersatzwohnraum ist es daher im Interesse der Versorgung einkommensschwacher Haushalte mit angemessenem Wohnraum geboten, baurechtliche Instrumente zum Erhalt vorhandenen preiswerten Wohnraums einzusetzen.

Verstärkung von Segregationsprozessen

Die Gebietsaufwertung und die nachfolgende Verteuerung von Wohnraum lassen eine Verdrängung insbesondere der einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen mit geringer Mietzahlungsfähigkeit und damit beschleunigte Segregationsprozesse befürchten. Im turnusmäßigen „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen ist nachgewiesen, dass gesamtstädtisch Segregationsprozesse zu beobachten sind, die durch die zunehmende Konzentration von Wohnbevölkerung mit multiplen sozialen Problemlagen zu einer besonderen sozialen Belastung einzelner Wohnquartiere führen und öffentliche Investitionen erfordern.

Die in den Teilgebieten „Scharnweberstraße“ und „Klixstraße“ zu befürchtende Verdrängung von Teilen der Wohnbevölkerung lässt eine Belebung der Wohnungs-nachfrage in anderen Quartieren der Stadt, insbesondere aber der näheren Umgebung des Gebiets und somit vor allem im übrigen Untersuchungsgebiet erwarten. Hierdurch können Segregationsprozesse verstärkt werden, die diese Quartiere wiederum sozial überfordern und Folgekosten verursachen.

Veränderung nachbarschaftlicher Strukturen

Durch das Quartiermanagement sind bereits viele Netzwerke und Strukturen im Gebiet initiiert und unterstützt worden, die auch auf Quartiersebene zur positiven Entwicklung des Stadtteils beitragen. Die Auflösung derartiger Strukturen durch Veränderungen in der Bevölkerungszusammensetzung kann sich nicht nur negativ auf die soziale Stabilität, sondern auch auf die städtebauliche Entwicklung auswirken.

Auf der Grundlage der vorstehend zusammengefassten Untersuchungsergebnisse ist daher der Einsatz des städtebaulichen Instruments einer Erhaltungsverordnung nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB zum Erhalt der sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in dem Gebiet „Scharnweberstraße/Klixstraße“ ein geeignetes und zulässiges Mittel, um sonst notwendig werdende städtebauliche Folgeinvestitionen andernorts zu vermeiden.

 

  1. Räumliche Abgrenzung des Erhaltungsgebiets

Die Untersuchung hat keine Anhaltspunkte für eine verkleinerte räumliche Abgrenzung ergeben, so dass das künftige Erhaltungsgebiet in der räumlichen Abgrenzung des untersuchten Teilgebietes Klixstraße und des Teilgebietes Scharweberstraße festgelegt werden sollte.

Das Erhaltungsgebiet nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB wird begrenzt durch die Kienhorststraße, den Eichborndamm, die Auguste-Viktoria-Allee, die Hechtstraße, die Scharnweberstraße, die Klixstraße sowie den Bahndamm der U-Bahnlinie 6.

 

 


Beschlussentwurf:

Die Bezirksverordnetenversammlung beschließt:

 

I. Der Entwurf einer sozialen Erhaltungsverordnung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 BauGB für den Bereich „Scharnweberstraße/Klixstraße in Berlin-Reinickendorf, Ortsteil Reinickendorf, wird beschlossen.

II. Der Entwurf der Rechtsverordnung zur sozialen Erhaltungsverordnung gemäß
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB für das Gebiet „Scharnweberstraße/Klixstraße“ in Berlin-Reinickendorf, Ortsteil Reinickendorf wird beschlossen.

 

 

Finanzielle Auswirkungen:

Rechtsgrundlagen

  • § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Baugesetzbuch (BauGB)
  • § 12 Abs. 2 Ziff. 4 Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG)
  • § 30 Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuches (AGBauGB)

 

Haushaltsmäßige Auswirkungen

 

Für die Mieterberatung wird ein jährliches Budget von circa 35.000 Euro aus Haushaltsmitteln benötigt. Eine entsprechende Erhöhung des Titels 54010, Kapitel 4200 („Dienstleistungen“) im Fachbereich Stadtplanung und Denkmalschutz wurde für das Haushaltsjahr 2022/2023 beantragt.

 

Gleichstellungs- und gleichbehandlungsrelevante Auswirkungen

 

keine

 

Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung

 

keine

 

Kinder- und Familienverträglichkeit

 

entfällt

 

 

 

Frank Balzer

Bezirksbürgermeister

 

 

 

Anlage/n:

Anlagen:

 

Anlage 1: Karte des Geltungsbereiches der Erhaltungsverordnung „Scharnweberstraße/Klixstraße“

Anlage 2: Vertiefende Untersuchung Scharnweberstraße/Klixstraße (beauftragtes Büro: LPG GmbH)

Anlage 3: Entwurf der Rechtsverordnung

 

 

 
 

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