Drucksache - 0367/XIX  

 
 
Betreff: Gedenkraum an der Clay-Schule
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:SPDBA/BiSchulKuSport
Verfasser:Scharmberg, PeterRämer, Jan-Christopher
Drucksache-Art:AntragVorlage zur Kenntnisnahme - SB
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
26.09.2012 
11. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin überwiesen   
Ausschuss für Bildung, Schule und Kultur Entscheidung
23.10.2012 
11. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Bildung, Schule und Kultur ohne Änderungen im Ausschuss beschlossen   
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
31.10.2012 
12. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
18.09.2013 
21. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin mit Zwischenbericht zur Kenntnis genommen   
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
06.09.2017 
9. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Beschlussvorschlag
Anlagen:
Antrag
Ausschuss Beschluss
Zwischenbericht
VZK_SB
Schlussbericht

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

Der Ausschuss empfiehlt der Bezirksverordnetenversammlung die Annahme des Antrages in folgender Fassung:

 

Das Bezirksamt wird ersucht,

 

  1.                dafür sorgen zu tragen, dass der Neubau der Clay-Schule am Standort August-Fröhlich-Straße planmäßig durchgeführt wird, und

 

  1.                bei der Planung des Neubaus der Clay-Schule sicherzustellen, dass Bauteile der ehemaligen Zwangsarbeiterlagerbaracke, die sich auf dem Grundstück befinden, in den Schulneubau integriert werden. Dies wäre zum Beispiel durch einen Gedenkraum innerhalb des Schulgebäudes, der durch die historische, zweiteilige Schiebetür der Baracke zu betreten ist vorstellbar. In diesem Gedenkraum soll auch auf weitere Zwangsarbeiterlager in Neukölln hingewiesen werden. So dient der Raum auch zur Beschulung anderer Neuköllner Schülerinnen und Schüler und wird für sie zu einem Teil lebendiger Geschichte.

 

 

 

-Zwischenbericht-

 

Zu 1.:

Das Bezirksamt setzt sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, dass der Neubau der Clay-Schule am Standort Neudecker Weg / August-Fröhlich-Straße planmäßig durchgeführt wird.

 

Zu 2.:

Die auf dem Baugrundstück befindliche über 500 m² große ehemalige Wirtschaftsbaracke des Zwangsarbeiterlagers Rudow I-III wurde auf der Grundlage eines vom Landesdenkmalamt Berlin erstellten Gutachter- und Prüfverfahrens als Baudenkmal mit landesweitem Seltenheitswert in die Landesdenkmalliste aufgenommen.

 

Um Klarheit über die künftige Nutzung des Gebäudes im Einvernehmen mit dem Landesdenkmalamt herzustellen, hat das Bezirksamt im März 2013 ein Ingenieurbüro mit der Untersuchung der Bausubstanz beauftragt. Diese hat ergeben, dass das Gebäude vollständig mit Schadstoffen kontaminiert ist. Als Sofortmaßnahme wurde die Sicherung aller Türen und Fenster veranlasst, eine Begehung ist nur mit einem kompletten Schutzanzug und Atemschutzgerät zulässig.

 

Die bisherige Vorstellung des Landesdenkmalamtes, die mitten im Baugrundstück liegende 500 m² große Baracke zu erhalten und in den Schulneubau komplett zu integrieren, wäre nur durch einen vollständigen Abriss der Baracke unter Berücksichtigung der umfänglichen Kontaminierung und einer sich daran anschließenden Neuerrichtung möglich. Demnach ist die Baracke als zeitgemäßes Bauzeugnis mit ihren jetzigen Original-Bauteilen nicht zu erhalten. Erschwerend käme hinzu, dass der zentrale Standort der Baracke den Neubau der Clay-Schule wertvolle räumliche Ressourcen kosten würde. Daher wurde am 24.07.2013 ein Antrag auf Abriss des eingeschossigen und vollständig unterkellerten Gebäudes mit einer Grundfläche von ca. 45 x 12 m durch das Bezirksamt gestellt.

 

Dem Landesdenkmalamt Berlin liegt das vom Bezirksamt in Auftrag gegebene Gutachten sowie eine dazugehörige Ergänzungsuntersuchung der Kellerräume über die mit Schadstoffen kontaminierte Baracke vor. Das Gutachten wurde von der Abteilung V der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt nochmals gegengelesen, um eine Plausibilitätskontrolle zu gewährleisten. Inzwischen wurde die Plausibilität des Schadtstoffgutachtens bestätigt. Das Landesdenkmalamt beabsichtigt nicht, ein weiteres Gutachten zu beauftragen.

 

 

Mit Datum vom 14.08.2013 wurde der Abrissantrag des Bezirks vom Landesdenkmalamt genehmigt. Der Abriss der Baracke ist dabei umfänglich zu dokumentieren.

 

Darüber hinaus wurde das Gelände des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers als archäologisches Verdachtsgebiet ausgewiesen. Im Boden des Baugrundes werden archäologische Hinterlassenschaften vermutet, die neue Erkenntnisse über die Herkunftsländer und die Lebensverhältnisse der Insassen bringen könnten. Vorbehaltlich einer Klärung der Schadstoffe im Boden, wird das weitere Vorgehen erst nach den archäologischen Untersuchungen geklärt werden können. Mit allen beteiligten Akteuren besteht Einvernehmen, dass die Geschichte des Zwangsarbeiterlagers auf dem Baugrundstück zukünftig eine besondere Form der Würdigung erfahren soll. Mit welchem Konzept über die Geschichte dieses Ortes aufgeklärt werden soll, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht festgelegt werden.

 

Sowohl für die Finanzierung des Abrisses der Baracke und die Schadstoffuntersuchungen im Boden als auch für die Finanzierung der archäologischen Untersuchungen hat der Bezirk als Bauherr der Schule und damit als Verursacher aufzukommen.

Das Museum Neukölln der Abteilung Bildung, Schule, Kultur und Sport wurde mit der Federführung der Abrissdokumentation der Baracke beauftragt.

 

Das Bezirksamt wird zu gegebener Zeit über den jeweiligen aktuellen Sachstand berichten.

 

 

 

 

-Schlussbericht-

 

Zur Einleitung

 

In Berlin als Reichshauptstadt und bedeutender Rüstungsmetropole existierten zwischen 1939-1945 vermutlich mehrere tausend Lager mit über einer Million ausländischer Zwangsarbeiter*innen. Genauere Zahlen konnten bis heute nicht ermittelt werden. Die Lager waren im gesamten Stadtraum verteilt und fassten von einigen wenigen bis über tausend Personen. Eines der größeren Lager war das Barackenlager der Arbeitsgemeinschaft Rudow in der Köpenicker Straße 39-45. Zwischen 1941-1942 entstanden hier drei Lagerbereiche (Lager I-III), die zusammen über eine Kapazität von 1.047 Personen verfügten. Schätzungen zufolge waren jedoch bis zur Ankunft der Sowjetarmee am 26. April 1945 insgesamt mehr als 2.000 Zwangsarbeiter*innen (Männer, Frauen, Kinder) auf dem Gelände untergebracht, mehrheitlich polnische Zivilist*innen und Sowjetbürger*innen (sogenannte „Ostarbeiter*innen“). Das Gelände des Lagers in der Köpenicker Straße wurde von der Deutsche-Asbest-Zement-AG (DAZAG, später Eternit AG) an die Arbeitsgemeinschaft verpachtet. Weitere Betreiberfirmen waren u.a. Wintershall/Fusor, Krone, Ehrich & Graetz, Flugzeugwerk Johannisthal, Flugzeugreparaturwerk Rudow GmbH und die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL). Die Nutzung in der direkten Nachkriegszeit ist nicht eindeutig geklärt, wahrscheinlich wurden die Baracken zunächst als Flüchtlingslager weitergenutzt und bald danach abgerissen und die Rohstoffe anderweitig verbaut. Allein die Wirtschaftsbaracke (Lager III) blieb erhalten und wurde in den 1950er Jahren von der Firma Thiemann als Sitz ihres Hoch- und Tiefbaubetriebs umgebaut und weitergenutzt. 1957 erwarb die Eternit AG das Gelände, welche ihren Betrieb nach Süden vergrößerte. In der ehemaligen Wirtschaftsbaracke entstand zunächst eine Farbenfabrik, die ab 1968 der Abteilung Chemie-Forschung weichen musste.

 

 

Abriss der ehemaligen Wirtschaftsbaracke

 

Die detaillierte Dokumentation des Abrisses der Wirtschaftsbaracke und die Durchführung von Grabungen auf dem Gelände wurden zur Auflage für die Abrissgenehmigung durch das Landesdenkmalamt. Das Museum Neukölln wurde mit der Ausschreibung für die Dokumentation und die Grabungen sowie der Koordination der weiteren Maßnahmen zur Einrichtung eines Informations- und Gedenkortes für die Zwangsarbeit in Rudow (IGZR) beauftragt. Im Juni und Juli 2014 erfolgte schließlich der Abriss des schadstoffbelasteten Gebäudes.

 

 

Die Dokumentation des Gebäudes wurde durch die Firma Schulz und Drieschner im Mai 2014 vorgenommen. Der Abschlussbericht lag zum 30.11.2016 vor. Ein Wandstück der Wirtschaftsbaracke wurde als Teil der originalen Holzbaracke herausgetrennt und eingelagert und ist somit ein historisches Monument des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers. Als Kernstück des Lagerlebens und zentrales Objekt des Gedenkortes in dem Neubau der Clay-Oberschule erinnert es stellvertretend an den Alltag und die Lebensumstände der Zwangsarbeiter*innen.

 

 

Die archäologischen Grabungen

 

Bei der ersten Ausgrabung auf dem Gelände durch die Firma archaeofakt vom 20.08.2014 bis 17.10.2014 wurden über 1.000 Objekte und Fragmente aus dem Lageralltag und dem Privatbesitz der Lagerbewohner*innen gefunden. Die zum Teil im sogenannten Splittergraben und überwiegend in den Abfallgruben des Lagers gefundenen Objekte sind authentische Zeugnisse des Alltagslebens der Zwangsarbeiter*innen. Die Reste des Splittergrabens, die gesichert werden konnten, zeigen die ständige Bedrohung durch den Krieg und die Luftangriffe der Alliierten und den meist nur unzureichenden Schutz, den die Zwangsarbeiter*innen erhielten. Eine erste Auswertung ergab, dass sich die Zeugnisse des Lagers in der Köpenicker Straße in besonderer Weise zur Einrichtung eines Informations- und Gedenkortes zur Zwangsarbeit in den zukünftigen Räumlichkeiten der Clay-Oberschule eignen. Neben den Funden aus der Lagerzeit wurden auch zahlreiche Funde aus der Römischen Kaiserzeit und davor gemacht. Das  Landesdenkmalamt verfügte daraufhin, dass eine zweite Grabung zur Sicherung der frühgeschichtlichen Siedlungsfunde durchgeführt wird.

 

Im Rahmen der zweiten Grabung, die von der Firma archaeofakt nach einer erneuten Ausschreibung vom 19.10.2015 bis zum 04.03.2016 durchgeführt wurde, sind umfangreiche Funde gemacht worden, die auf eine hohe Besiedlungsdichte des Gebietes schließen lassen. Einzelne Fundstücke weisen bis in die Steinzeit zurück. Ein ausführlicher Grabungsbericht liegt mittlerweile vor. Einige der Ergebnisse wurden im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung an der Clay-Oberschule präsentiert. Dabei wurden auch die Schülergruppen miteinbezogen, die unter Aufsicht der Archäologen an den Grabungen in Rudow mitwirken konnten.

 

 

Der Informations- und Gedenkort zur Zwangsarbeit in Rudow (IGZR)

 

Die Anforderungen an das IGZR für die Ausschreibungsunterlagen des Architekturwettbewerbs  für den Neubau der Clay-Oberschule wurden vom Museum Neukölln gemeinsam mit der Clay-Oberschule formuliert und abgestimmt. Die durch den Wettbewerbssieger Staab Architekten vorgeschlagene Einrichtung des IGZR in Form eines Geschichtslabors im Eingangsbereich der Schule wurde von Museum und Schule als zweckmäßig und sinnvoll erachtet. In insgesamt drei Workshops von Mai bis Juni 2016 wurden die Gestaltungsideen für die Vorplanungsunterlage (VPU) konkretisiert und in einem Gestaltungsentwurf vorgelegt. Aktuell wird die Bauplanungsunterlage (BPU) erstellt. Für die inhaltliche Erarbeitung einer Konzeption und zur Kuratierung des Geschichtslabors hat das Museum Neukölln eine Historikerin beauftragt. Sie wird die Konzeption in enger Abstimmung mit Lehrer*innen der Clay-Oberschule erarbeiten, um alle erforderlichen pädagogischen und didaktischen Aspekte zu berücksichtigen.

 

Durch das Geschichtslabor soll vornehmlich Schüler*innen der Clay-Oberschule, aber auch externen Besucher*innen am authentischen Ort die Möglichkeit zum forschenden Lernen über dieses wichtige Kapitel der Geschichte des Nationalsozialismus gegeben werden. Zugleich wird den Zwangsarbeiter*innen dieses für lange Zeit vergessenen Lagers eine Stimme gegeben und ihr Schicksal anhand von Dokumenten und Objekten erfahrbar gemacht. Auch im Hinblick auf die multikulturelle Einwanderungsgesellschaft in Berlin und die aktuelle Flüchtlingskrise ist die Geschichte der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus ein wichtiger Anknüpfungspunkt für Diskussionen und Gespräche.

 

Das Bezirksamt sieht den BVV-Beschluss damit als erledigt an.

 

 

Berlin-Neukölln,

 

 

 

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BezirksbürgermeisterinBezirksstadtrat

Dr. Franziska GiffeyJan-Christopher Rämer

 
 

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