Drucksache - 0129/XVIII  

 
 
Betreff: Erziehungsauftrag annehmen oder Leistungen streichen
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:CDUBA/Jug
Verfasser:Liecke, FalkoVonnekold, Gabriele
Drucksache-Art:AntragVorlage zur Kenntnisnahme - SB
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
28.02.2007 
5. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin vertagt   
28.03.2007 
6. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
19.09.2007 
10. öffentlichen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Beschlussvorschlag
Anlagen:
Antrag
Änderungsantrag SPD
Änderungsantrag Linke.PDS
Änderungsantrag SPD und Linke.PDS
VzK - Schlussbericht

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

Entsprechend dem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung vom 18.04.2007 hat die Abteilung Jugend den Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Herrn Prof. Dr. Zöllner, angeschrieben und ihn um Prüfung der rechtlichen Möglichkeiten gebeten.

 

In diesem Zusammenhang übersendet Staatssekretär Schlemm mit Schreiben vom 11.07.2007 das Ergebnis seiner Prüfung.

 

Bei der Beantwortung der Frage, inwieweit „Eltern, die ihrem Erziehungsauftrag nicht nachkommen (dazu gehören vor allem Verwahrlosung der Kinder, Nichteinhaltung der Schulpflicht), mit staatlichen Sanktionen belegt werden können“, muss zunächst zwischen den Bereichen Schule und Schulpflicht sowie dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe unterschieden werden.

 

Nach § 44 des Berliner Schulgesetzes haben die Erziehungsberechtigten die regelmäßige Teilnahme der oder des Schulpflichtigen am Unterricht und an den sonstigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule zu verantworten. Wenn sie – vorsätzlich oder fahrlässig – den Bestimmungen über die Schulpflicht zuwiderhandeln, begehen sie eine Ordnungswidrigkeit. Diese kann mit einer Geldbuße bis zu 2.500 Euro geahndet werden. Zuständig ist das Bezirksamt oder die für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung jeweils für die von ihnen verwalteten Schulen (§ 126 des Berliner Schulgesetzes). Im Bereich der Schulpflicht gibt es also die Möglichkeit einer Sanktion gegenüber den Erziehungsberechtigten durch Verhängung eines Bußgeldes.

 

Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gibt es diese Möglichkeit der Verhängung eines Bußgeldes nicht. Es gibt dafür verschiedene Gründe. Zunächst einmal müsste ein solcher Bußgeldtatbestand aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit präzise gefasst sein. Die „Nichteinhaltung der Schlupflicht“ ist ein objektiv feststellbarer Tatbestand, das sonstige im Beschluss sogenannte Nicht-Nachkommen des Erziehungsauftrags ist hingegen sehr vielfältig und hat viele Abstufungen, die definiert werden müssten und die auch nicht alle “bußgeldwürdig“ sind.

 

Wie Sie wissen, gibt es für schwerwiegende Fälle mehrere strafrechtliche Sanktionen, z. B. § 225 StGB (Misshandlung von Schutzbefohlenen: dieser Tatbestand wird erfüllt durch Quälen, rohes Misshandeln, aber auch durch Gesundheitsschädigung durch böswillige Vernachlässigung der Pflicht, für das Kind zu sorgen) oder auch § 221 StGB (Schwere Gesundheitsschädigung durch Aussetzung oder Im-Stich-Lassen in hilfloser Lage).

 

Als weitere Sanktionsmöglichkeit wurde in der öffentlichen Diskussion erörtert, Erziehungsversagen der Eltern durch den Entzug staatlicher Leistungen zu bestrafen, z. B. durch Streichung oder Kürzung des Kindergeldes. Doch dürfte dies schon an rechtlichen Hürden scheitern. Das Kindergeld bzw. die teilweise damit verknüpfte steuerlichen Freibeträge sind Leistungen des Bundes im Rahmen des sogenannten Familienleistungsausgleichs. Die entsprechenden Ansprüche der Eltern haben Verfassungsrang, soweit das Kindergeld der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums dient, wie das Bundesverfassungsgericht am 10.11.1998 (NJW 1999,557) festgestellt hat. Es ist auch zu berücksichtigen, dass das Kindergeld zwar formell dem bezugsberechtigten Elternteil zusteht, aber faktisch dem Unterhalt des Kindes zugute kommen soll. Eine Streichung bzw. Kürzung des Kindergeldes würde immer auch das Kind betreffen.

 

In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob Sanktionen gegenüber den Eltern den betroffenen Kindern helfen, oder ob es nicht besser ist, auf Unterstützungsleistungen durch die Jugendämter zu setzen, die ein vielfältiges Hilfsangebot nach dem SGB VIII bereithalten. Auch in Fällen mangelnder Kooperationsbereitschaft der Eltern ist das Jugendamt keineswegs hilflos. Das Jugendamt hat nach § 8 a SGB VIII einen Schutzauftrag. Werden ihm gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt, hat es im Zusammenwirken mit den Personenberechtigten das Gefährdungsrisiko abzuschätzen. Weigern sich diese, hierbei mitzuwirken, hat das Jugendamt das Familiengericht anzurufen.

 

Nach § 1666 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche oder seelische Wohl des Kindes durch bestimmte Verhaltensweisen der Eltern gefährdet wird. Ultima ratio ist die Herausnahme des Kindes aus der Familie bzw. die Entziehung des Sorgerechts; die ist zwar nicht als Sanktion gegen die Eltern, sondern als Schutzmaßnahme für das Kind gedacht, wird aber doch wohl von vielen Eltern als faktische Sanktion befürchtet und empfunden.

 

Das Zusammenwirken von Jugendämtern und Familiengerichten zum Schutz der Kinder ist bereits ausgebaut und wird noch verfeinert. Es gibt den Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz), der entsprechende Ergebnisse einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe umsetzt. Vorgesehen ist u. a. die Erweiterung des § 1666 BGB um konkrete gerichtliche Maßnahmen, zu denen u. a. auch die Gebote an die Eltern gehören, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder– und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge anzunehmen und für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Ferner sind in dem Referentenentwurf gerichtsverfahrensrechtliche Änderungen enthalten, die bereits in den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz) eingearbeitet wurden, der bereits im Bundesrat (Drs. 309/07) beraten wird.

 

§ 157 FamFG-E (FGG-Reformgesetz) beinhaltet die Erörterung der Kindeswohlgefährdung: das Gericht soll mit den Eltern und in geeigneten Fällen auch mit dem Kind erörtern, wie einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls, insbesondere durch öffentliche Hilfen, begegnet werden und welche Folgen die Nichtannahme notwendiger Hilfen haben kann (Hinweis auf § 1666 BGB). So kann das Jugendamt bereits in der „Grauzone“ auch unterhalb der Schwelle der Kindeswohlgefährdung das Familiengericht einschalten. Diese Möglichkeit gibt es zwar auch schon jetzt, doch wurde sie bislang in der Praxis selten genutzt. Durch die ausdrückliche Aufnahme dieser Möglichkeit in das Gesetz soll das Augenmerk sowohl der Jugendämter als auch der Richter verstärkt auf dieses Instrument gelenkt werden. Ein weiteres Kernstück der Reform ist das sogenannte Vorrang- und Beschleunigungsgebot für bestimmte Kindschaftssachen, zu denen auch die Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls gehören, notfalls auf Kosten anderer anhängiger Sachen.

 

Der Gesetzentwurf wird von der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung unterstützt.

 

Das Bezirksamt sieht damit den Beschluss als erledigt an.

 

 
 

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