Auszug - Besichtigung der Einrichtung mit anschließender Diskussion zur Situation der Wohnungslosenarbeit im Bezirk  

 
 
24. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit
TOP: Ö 1
Gremium: Soziales u. Gesundheit Beschlussart: vertagt
Datum: Do, 27.11.2003 Status: öffentlich
Zeit: 19:30 Anlass: ordentlichen Sitzung
 
Wortprotokoll

Der Projektleiter, Herr Neugebauer, begrüßte die Anwesenden

Der Projektleiter, Herr Neugebauer, begrüßte die Anwesenden. Er berichtete, die Anzahl der Besucher der Einrichtung nehme stetig zu. Seit der Öffnung am 1. November 2003 seien es schon über 1.700 gewesen. Im Gegensatz zum letzten Jahr habe man nunmehr Schlafräume im Keller des Jugendgästehauses im Nachbargebäude zur Verfügung gestellt. Allabendlich warteten gegen 20.30 Uhr schon zwischen 30 und 50 Menschen vor der Tür; geöffnet werde um 21.00 Uhr. Am 26. November 2003 hätten insgesamt 85 Menschen in den Räumlichkeiten übernachtet.

Seit dem 1. November 2003 stehe auch eine Ärztin zur Verfügung. Jeder Eintretende müsse sich zuerst einer ärztlichen Kontrolle unterziehen, so dass die Gefahr einer Vermischung zwischen Kranken und Gesunden bzw. einer Ansteckung minimiert werde. Manche wollten sich nicht untersuchen lassen. Dazu werde auch keiner gezwungen, müsse dann aber in Kauf nehmen, die Nach nicht im Schlafsaal, sondern im Nachtcafé zu verbringen.

Es gebe insgesamt 65 Schlafplätze; alle weiteren Personen müssten die Nacht im Nachtcafé verbingen. Dort sei es nicht erlaubt, zu schlafen. Manche legten sich trotzdem auf den Betonfußboden und schliefen dort.

Des nachts seien 4 Mitarbeiter anwesend; ab 6.00 Uhr bis mittags sei ein Sozialarbeiter für Beratungen und evtl. für die Vermittlung an weiterführende Institutionen anwesend. So sei zum Beispiel ein Mensch erstmalig in der Einrichtung erschienen; dieser habe sofort in ein Wohnprojekt vermittelt werden können. Die Menschen würden auch immer wieder auf besser ausgestattete Notübernachtungen hingewiesen; diese Angebote würden aber kaum wahrgenommen.

Auf Nachfragen von Herrn BD Böttrich (Grüne) erklärte Herr Neugebauer, obligatorische Kontrollen (z. B. nach Waffen, Alkohol und Drogen) fänden am Eingang statt. Die auf Honorarbasis arbeitende Ärztin sei an fünf Tagen in der Woche anwesend. Nach der ärztlichen Kontrolle erfolge bei Bedarf die Überweisung in die Krankenstation auf dem gleichen Gelände.

Herr Block, ein Sozialarbeiter dieser Krankenstation, erklärte auf Befragen, dass es dort 4 Stellen zur Krankenversorgung und 3 Sozialarbeiter gebe. Diese leisteten u. a. Hilfe beid er Grundlagenerarbeitung, so z. B. bei der polizeilichen Anmeldung und/oder der Antragstellung beim Sozialamt.

Auf Nachfragen von Frau BV Heider (Grüne) an Herrn Block, ob die Praxis, bei der – ausschließlich für Männer zuständigen –Krankenstation als Spenden abgegebene Frauenbekleidung nicht weiterzugeben, eine Veränderung erfahren habe und ob es inzwischen eine Zusammenarbeit hinsichtlich des Austauschs gebe, erklärten sowohl Herr Block als auch Her Neugebauer, dass sie sehr viele Bekleidungsspenden, und zwar überwiegend Frauenbekleidung, bekämen. Ein Austausch oder eine Zusammenarbeit finde nicht statt. Herr Neugebauer erklärte, dass Mangel lediglich hinsichtlich Herrensocken und –unterwäsche bestehe, weil dies kaum abgegeben werde.

Von Herrn BD Böttrich (Grüne) auf die Besucherstruktur der Besucher angesprochen, erklärte Herr Neugebauer, diese seien im Alter von unter 20 bis über 60 Jahre und zum größten Teil deutscher Nationalität. Im vergangenen Jahr seien viele Polen dagewesen, die zum Teil schon ihre Hausschuhe vor die Schlafstätten gestellt hätten. Durch eine polnische Mitarbeiterin sei aufgedeckt worden, dass diese Polen in ihren Heimstätten für die Unterkunft gezahlt hätten, die ihnen als eine Art “Pension” dargestellt worden sei. Etliche Menschen kenne man schon seit Jahren; man merke, dass es ihnen gesundheitlich immer schlechter gehe.

Auf weitere Nachfragen von Herrn BD Böttrich: “Reservierungsmöglichkeiten” zur Sicherung der Schlafdecke der vorangegangenen Nacht gebe es nicht mehr; falls jemand jedoch früh genug komme, bestehe die Chance, den gleichen Schlafplatz zw. Die gleiche Decke noch einmal zu erhalten. Es werde jeder Mensch aufgenommen, der um eine Übernachtung nachsuche.

Auf Nachfragen von Frau BV Hoff (PDS): Bis 7.30 Uhr könne jeder erscheinen; allerdings sei dann das Frühstück beendet. Die Lebensmittel für das Frühstück reichten aus, auch wenn wesentlich mehr Leute als geplant dort übernachtet hätten. Tiere seien erlaubt. Jeder könne duschen.

Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Stadtmission, Frau Bartholomäus, berichtete, sie sei bei einem Besuch in Berlin so beeindruckt gewesen von der Arbeit der Stadtmission in diesem Bereich, dass sie sich spontan entschlossen habe, für einige Zeit ehrenamtlich mitzuarbeiten.

Die Örtlichkeiten, beginnend mit dem Eingang zum Nachtcafé, wurden in Augenschein gegeben. Herr Neugebauer verwies auf die drei Fluchtausgänge (vorgeschrieben sind zwei) und die Notbeleuchtung.

Auf Bitten von Herrn BV Mahr (SPD) führte Herr Neugebauer exemplarisch mit ersterem eine Körperkontrolle (nach Waffen, Drogen etc.), wie sie üblicherweise an den Besuchern vorgenommen wird, durch. Er bemerkte, dies sei zwar eigentlich nicht erlaubt, stelle aber immer noch das kleinere Übel gegenüber einem Gewaltausbruch dar und diene auch der Sicherheit der Mitarbeiter/innen. Die hauptamtlichen Mitarbeiter/innen könnten ein Hausverbot verhängen, wenn jemand bedroht werde. Er verwies in diesem Zusammenhang auf einen Vorfall im vergangenen Jahr, wo der Hund eines Besuchers eine Mitarbeiter angefallen hatte, der noch immer an  den Folgen leidet. Dieser Besucher habe ein generelles Hausverbot. In diesem Jahr habe es noch kein Hausverbot gegeben. Zur Betreuung, zum gegenseitigen Austausch und Aufbau sowie zur Weiterschulung gebe es dreimal in der Woche einen Mitarbeiterabend.

Die Besucher könnten zu jeder Zeit (bis spätestens 7.30 Uhr) kommen und gehen; jedoch könnte jemand, der das Haus verlasse, es in dieser Nach nicht wieder betreten (um sicherzustellen, dass dieser Mensch z. B. nicht an der nächsten Tankstelle Alkohol trinke und dann wiedee zurückkomme).

Herr Neugebauer zeigte einen Eimer mit Nummernschilder an Wäscheklammern. Diese dienten als eine Art Garderobennummer für die abgegebenen Sachen, die anschließend in einer verschlossenen Kammer bis zum nächsten Tage aufgehoben würden. Es liege eine Gästeliste aus, in die sich (als Beleg für das Bezirksamt) jeder eintragen müsse und in der die  “Garderobennummer” vermerkt werde. Es habe auch schon Polizeikontrollen gegeben.

Während der Besichtigung der Räumlichkeiten im Keller des Jugendgästehauses, in der die Obdachlosen nachts eine Unterkunft finden können, erklärte Herr Neugebauer, dass ständige Gäste die Möglichkeit hätten, ihre Hygieneartikel zu lagern. Nachts werde Wäsche gewaschen. Es gebe die Möglichkeit, sich vom Nachtdienst morgens wecken zu lassen. Es gebe Extra-Zimmer für Menschen mit Hunden, die im gleichen Zimmer schliefen. Des weiteren gebe es extra ein Zimmer für Frauen. Aufgrund schlechter Erfahrungen (Streitereien, Prüfelleien) sei es generell nicht erlaubt, das Pärchen zusammen übernachteten. Sollte die Ärztin einmal nicht anwesend sein, müssten alle “Neuen” erst in ein Extra-Zimmer (Ansteckungsgefahr).

Auf den Einwand von Frau BV Galland (CDU), dass die Schlafgelegenheiten (eine bezogene Schaumstoff- oder Iso-Matte sowie ein dünnes Kissen (?) und eine dünne Decke, alles direkt auf dem Fußboden nebeneinander liegend) doch sehr dicht beieinander lägen; es also sehr eng wirke, erwiderte Herr Neugebauer, dass jeder, der es zu unbequem finde, gerne auf die anderen –bequemeren – Einrichtungen verwiesen werde.

Auf die Nachfrage der stellv. Vorsitzenden, Frau Schauer-Oldenburg betreffend der Kostenübernahme der ärztlichen Behandlung z. B. in Krankenhäusern erklärte die inzwischen anwesende Ärztin, Frau Dr. Hoth(? – konnte den Namen nicht lesen), wenn ein Patient in ein Krankenhaus überwiesen werden müsse, werde sich dort als erstes nach der Kostenübernahme erkundigt. Erführen die Krankenhäuser dass dies in einigen Fällen erst später geklärt werden könne, seien sie plötzlich voll belegt. Einzig das St.-Josephs-Krankenhaus habe Patienten ohne langes Hin und Her aufgenommen; es hänge eben auch sehr vom Aufnahmearzt ab. Die Patienten würden teils  einfach nicht behandelt –oder aber auch von vielen Ärzten direkt abgewiesen bzw. nicht ausreichend behandelt. Teils habe man die Polizei eingeschaltet, um eine Aufnahme in einem Krankenhaus zu gewährleisten; aber auch dies habe nicht immer geklappt.

Herr BzStR Dr. Hanke erklärte auf Nachfrage zur Kostenübernahme bzw. dem Verfahren, es müsse erst geprüft werden, ob z. B. die Operation notwendig gewesen sei oder eventuell ein anderer Träger zur Kostenübernahme (Krankenversicherung etc.) verpflichtet sei. Die Krankenhäuser müssten erst Rücksprache mit dem Sozialamt halten, aber in Einzelfällen, so z. B. bei lebensbedrohlichen Zuständen des nachts, sei die Operation auch ohne vorherige Rücksprache in Ordnung. Die Kostenerstattung erfolge nur in der Höhe der auch üblicherweise von den Krankenkassen bewilligten Leistungen.

Die Ärztin erklärte auf Nachfrage von Frau BV Heider (Grüne), dass noch nicht abgelaufene Medikamente auch weiterhin abgegeben werden könnte. Langfristig einzunehmende Mittel, bei  denen es z. B. auch auf die Regelmäßigkeit der Einnahme ankomme, um richtig zu wirken,  werde sie jedoch weiterreichen, da sie dies nicht kontrollieren könne.

Herr BD Böttrich (Grüne) erkundigte sich nach den Feldbetten, die früher in den Räumlichkeiten unter einem anderen Träger den Obdachlosen als Betten dienten.
Herr Neugebauer verwies diese als nicht zweckdienlich, da diese Wäsche teils eingekotet werde und die Feldbetten nicht waschbar und somit nicht mehr weiter verwendbar seien Die Bettwäsche könne gewaschen; die Isomatten desinfiziert werden. Außerdem handele es sich um  ein niederschwelliges Angebot. Ein Grundsatz sei, dass keiner frieren und hungern solle und die Menschenwürde geachtet werde. Manche Menschen fühlten sich zu einsam, um alleine in Wohnungen zu übernachten und könnten deshalb nicht vermittelt werden. Dafür nehmen sie eben die Isomatte in Kauf. Er berichtete beispielhaft von einigen Personen, denen eine Wohnung vermittelt wurde, die aber das Angebot wegen Einsamkeit nicht wahrnahmen.
Er erklärte auf Nachfrage, dass es insgesamt 4 Duschen gibt.

Herr BD Böttrich (Grüne) merkte an, dass die Räumlichkeiten bzw. die Atmosphäre nach der Renovierung (Anstrich mit hellgelber Farbe) viel freundlicher wirke, und erkundigte sich nach dem Personalschlüssel.

Herr Neugebauer erklärte, dass es vier hauptamtliche Angestellte, davon 2 Sozialarbeiter und 2 berufsfremde Personen, sowie eine Reinigungskraft, etliche Praktikanten sowie 38 studentische Honorarkräfte gebe.

Herr BV Ziermann (PDS) regte an, das Thema der Nichtaufnahme bzw. die Abweisung obdachloser Patienten in Krankenhäusern in der nächsten Sitzung des bezirklichen Krankenhausbeirates zu behandeln.

Auf Nachfrage von Frau BV Heider (Grüne), wie man die Einrichtung durch sinnvolle Spenden unterstützen könne, erklärte Herr Neugebauer, es würden immer Socken und Schuhe sowie insgesamt Männerwäsche gebraucht.



Frau BV Schauer-Oldenburg (SPD) dankte den Mitarbeiter/innen der Stadtmission und teilte dem Ausschuss mit, dass die kleine Aufmerksamkeit (60 von ihr selbst gefertigte Päckchen miit Süßigkeiten und einem Tannenzweig) am 1. Advent unter den Besuchern der Einrichtung verteilt wird.

Herr Neugebauer betonte abschließend, dass er sehr dankbar sei, dass in diesem Jahr die ärztliche Versorgung von Anfang an gesichert gewesen sei. Dies mache sich auch in wenigen Fällen von z. B. Krätze bemerkbar.

Aufgrund der Uhrzeit (kurz vor der Öffnungszeit der Einrichtung für die Besucher; der Ablauf sollte nicht gestört werden) regte die stellv. Vorsitzende, Frau Schauer-Oldenburg, an die restlichen Tagesordnungspunkte zu verschieben, was allgemeine Zustimmung fand.

Herr BzStR Dr. Hanke verwies auf die “AG Förderformel”, die Anfang Dezember 2003 entscheide; das Ergebnis sollte ursprünglich im nächsten Ausschuss für Gesundheit und Soziales besprochen werden. Im Dezember 2003 finde jedoch keine mehr statt und die Bescheide müssten spätestens in zwei Wochen ergehen.

Nach kurzer Diskussion einigten sich die Ausschussmitglieder darauf, dass im Vertrauen auf eine richtige Entscheidung der AG Förderformel eine Sondersitzung des Ausschusses entfallen könne.

Die stellv. Vorsitzende, Frau Schauer-Oldenburg bekankte sich bei den Anwesenden und schloss die Sitzung um 21.10 Uhr.

 
 

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