Auszug - Frau Dr. Grafe zu: Biodiversität in der Großstadt  

 
 
11. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Umweltschutz
TOP: Ö 3.1
Gremium: Bildung, Kultur und Umweltschutz Beschlussart: erledigt
Datum: Mi, 12.09.2012 Status: öffentlich
Zeit: 18:05 - 20:30 Anlass: ordentlichen Sitzung
Raum: Sitzungsraum 121
Ort: Karl-Marx-Allee 31, 10178 Berlin
 
Wortprotokoll

Frau Dr

Das Umwelt- und Naturschutzamt widmet sich auch in einem so hochverdichteten Innenstadtbezirk ernsthaft der Problematik erhalt und Entwicklung der Biodiversität.

Was ist Biodiversität und welche Rolle spielt sie in biologischen Systemen?

Dabei sei angemerkt, dass der Mensch ein kleiner Baustein im biologischen System der Lebewesen ist. Biologische Systeme sind außerordentlich fragil. Fehlt ein Baustein im System ist dieses nachhaltig gestört. D.h. auch, dass alle anderen Bausteine früher oder später der Vernichtung anheim fallen werden.

Derzeit wird davon ausgegangen, dass alle drei Sekunden eine biologische Art ausstirbt, weil biologische Systeme gestört werden. Dieser Umstand hat bewirkt, dass auf internationaler und auf nationaler, aber insbesondere auch auf kommunaler Ebene versucht wird, strategische Konzepte zu entwickeln, die diesem Prozess der nachhaltigen Störung von biologischen resp. ökologischen Systemen entgegenwirken. Diesem Prozess hat sich auch der Bezirk Mitte gestellt.

Im Zuge von CountDown 2010, einem internationalen Artenschutzprogramm zur Erhaltung und Entwicklung der Biodiversität, hat der Bezirk sich mit einem Projekt beworben und ist Mitglied des CountDown 2010 geworden. Dieses Projekt wurde in einer Gemeinschaftsarbeit mit dem heutigen Tiefbau- und Landschaftsplanungsamt auf den Weg gebracht. Es wurde im Großen Tiergarten ein Insektenhotel installiert, das von einer Einrichtung mit behinderten Kindern gebaut wurde; das damalige Straßen- und Grünflächenamt hat die Fläche für das Nahrungshabitat zur Verfügung gestellt, und die Deutsche Postbank hat das Projekt mit 5000,00 ? unterstützt.

Was war zu tun? Die Nahrungsfläche musste hergestellt werden. Dazu wurde die Wiese im sog. Engländer Camp als Schwadenwiese hergerichtet, d.h. zwischen den Schwaden, auf denen das Saatgut für Nahrungsfindung für die Insekten ausgebracht wurde, wurden reine Erdschwaden gepflügt. Diese hatten die Funktion, das Regenwasser gut aufzunehmen und gleichzeitig für die Ansiedlung von Bodenorganismen zu sorgen, die auch als Nahrung für die im Großen Tiergarten lebenden Vögel und Kleinsäuger dienen. Diese Schwaden haben auch die Nutzung als Liegewiese für Menschen weitgehend verhindert, was durchaus gewollt war, um das sich entwickelnde Biotop nicht zu gefährden. Die Schwaden mussten eine Breite von kleiner/gleich 60cm haben. Das ist für die meisten Insekten die Strecke, die sie ohne größere Energieverluste überwinden können. Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass die Zahl der verschiedenen Insekten durch diese Maßnahme im Areal und darüber hinaus zugenommen hat und damit auch die Vielfalt an Gräsern und Blühpflanzen in Folge der mit der Nahrungsaufnahme einhergehenden Bestäubung des aufgegangenen Saatgutes.

Das Saatgut war auf die Besonderheiten des Nahrungsangebotes für die Bestäubungsinsekten abgestimmt. Der Beleg für die Entwicklung von diversen Insektenarten in Folge des Projektes wurde durch eine Kartierung erbracht. An der Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass das Vorhandensein vieler und unterschiedlicher Insekten wiederum das Nahrungsangebot für Vögel darstellt, denn nicht alle Vögel ernähren sich von den gleichen Insekten. Die Nahrungsauswahl ist spezifisch. (Siehe PP-Präsentation Protokollanhang 2).

 

Darüber hinaus hat unter Federführung des Umwelt- und Naturschutzamtes eine umfassende Renaturierung der Uferzonen am Plötzensee stattgefunden. Der Plötzensee ist einer der am meisten oder höchsten übernutzen Binnengewässer der Stadt. Übernutzung bedeutet immer erhöhten Energieeintrag in ein Gewässer. Diese Energie

stammt von sog. Energieübertragermolekülen, wissenschaftlich ausgedrückt vom ATP/ADP (Adenosintriphosphat/Adenosindiphosphat). Wo sind diese Moleküle und wie kommen diese ins Gewässer?

Dafür sind eine Vielzahl von Emittenten verantwortlich. Am Plötzensee sind es die Menschen und Tiere, die im See baden und Fäkalien im weitesten Sinne in ihm belassen (Urin/Hundekot/Entenkot etc), dazu kommen die Blätter der Bäume und Sträucher, das Anfüttern von Enten und Fischen usw.

Der Plötzensee hat einen sehr geringen Zulauf an Frischwasser aus den oberen Grundwasserschichten und so gut wie keinen Ablauf. In heißen Sommern verdunstet ein großer Teil des Wassers, ohne dass dieses durch Zulauf ausgeglichen werden könnte, d.h. der Energiegehalt an Phosphaten (ATP/ADP) steigt. Die Folge davon ist, dass der See ein überproportionales Algenwachstum entwickelt. Er beginnt in Folge komplizierter biochemischer Prozesse vom Grunde her zu verfaulen. Im Ergebnis steigen kleine Gasblasen auf, Schwefelwasserstoff, der von Bakterien, die sich angesiedelt haben, produziert wird. Der See kippt! Wenn ein See kippt und dieser der Bevölkerung als Naherholungsgebiet erhalten werden soll/muss, muss er saniert erden. Dies geschah am Plötzensee im Zeitraum von 1999 bis 2002. Der See wurde entphosphatiert. Das hatte einen fiskalischen Aufwand von 220.000,00 DM zur Folge.

Um diesen Prozess zu unterbinden, wurde die Uferzone zu etwa zwei Drittel mit Schilf bepflanzt. Schilf hat die Eigenschaft, Phosphat zu binden und so einem "Kippen" vorzubeugen. Um das Schilf vor unachtsamer Zerstörung zu schützen, wurde am Westufer des See ein Schutzzaun gezogen, was zu großem Unverständnis in der Bevölkerung führte. Mit Hilfe von Informationstafeln über Sinn und Zweck dieser Renaturierungsmaßnahme konnte dem dann begegnet werden. Das Problem besteht auch weiterhin am Plötzensee. Sollte nicht darauf geachtet werden, dass ein stabiler Schilfgürtel den See sozusagen selbst reinigt, wird dieser in wenigen Jahren nicht mehr als Badesee nutzbar sein und eine siedlungsnahe Erholungsfläche wegfallen.

 

Die zur Verfügung stehende Zeit innerhalb dieses Ausschusses reicht leider nicht aus, um alle Projekte mit den systemischen Verknüpfungen zum Erhalt der Biodiversität unter den Bedingungen einer Großstadt und den eines innerstädtischen Verdichtungsgebietes vorstellen zu können. Deshalb seien hier abschließend noch einige Schlagworte genannt:

  • Gebäudebrüterschutz (Nisthilfen für Mauersegler u.a.)
  • Fledermausprojekt
  • Renaturierung Kappweg
  • Fischtreppengestaltung Panke
  • Lichtreduktion am Reichstag
  • Interkulturelle Gärten
  • Biotopflächenfaktor im Baugenehmigungsverfahren
  • Biotopgestaltung im Schul-Umwelt-Zentrum
  • Insektenbiotop bei der Neugestaltung des Nauener Platzes
  • Exkursionen zu Biodiversitätsstrategie des Senats im Rahmen der Bildungsarbeit des Umweltladens
  • Maßnahmen im Rahmen des Fachplan Grün des Bezirkes
  • Biodiversitätsansatz im Rahmen der Bezirksregionenprofile - hier Parkviertel mit Grünstreifen in der Togostr.
  • Biodiversität und Umweltgerechtigkeit - eine Senatsstrategie (angelehnt an die Bundesstrategie)

 

Frau Hoff dankt Frau Dr. Grafe für den außerordentlich anschaulichen und interessanten Einblick in die Thematik.
Da Frau Dr. Grafe mit Ablauf des Monats September das Bezirksamt verlassen wird und es demzufolge ihre letzte Teilnahme im Fachausschuss ist, verabschiedet der Ausschuss Frau Dr. Grafe mit Dank und besten Wünschen und einem Blumenstrauß.

 
 

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