Auszug - "Chancen nutzen! Früherkennung psychischer Erkrankungen bei älteren Menschen" ReferentInnen: Frau Niemann- Mirmehdi, Herr Dr. Dr. Rapp, beide GPZ Informationen zum Thema erhalten Sie unter: http://www.berlin.de/ba-mitte/org/gesplanleit/psk_chancen_nutzen.html  

 
 
34. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Gesundheit
TOP: Ö 1.1
Gremium: Gesundheit Beschlussart: erledigt
Datum: Do, 27.05.2010 Status: öffentlich
Zeit: 17:30 - 18:50 Anlass: ordentlichen Sitzung
 
Wortprotokoll
Beschluss

Frau Niemann-Mirmehdi stellt sich vor, dass sie im St

Frau Niemann-Mirmehdi stellt sich vor, sie erläutert, dass sie im St. Hedwigs-Krankenhaus zuständig für den therapeutischen Dienst sei. Sie stellt anschließend Herrn Rapp, Mediziner, Psychologe, Leiter des gerontopsychiatrischen Zentrums und Oberarzt, vor.
Sie berichtet darüber, dass die Tätigkeit im GPZ die seelische Gesundheit im Alter ein Schwerpunkt sei. Die Zielrichtung aller gerontopsychiatrischen Zentren sei es, dass auch ältere Menschen einen Anspruch auf Diagnostik, Therapie und Rehabilitation haben. Es geht hier primär um Diagnostikund Therapie statt Pflege und Heim. Man versucht, möglichst früh seelische Erkrankungen zu diagnostizieren und zu behandeln, um letztendlich Pflegeabhängigkeit durch eine gezielte Behandlung hinaus zu zögern oder eventuell auch zu verhindern. Es gibt viele bundesweite Studien, die deutlich machen, dass ältere Menschen nicht so vom Gesundheitssystem partizipieren, wie es Jüngere schaffen. Der Anspruch, ambulant vor stationär oder Behandlung vor Pflege ist nicht unbedingt bundesweit umgesetzt. Das sei daran zu erkennen, wenn man sich die Statistik über seelische Erkrankungen im Alter anschaut, dass sich die Anzahl der Menschen, die an eine seelische Erkrankung leiden nicht im Behandlungssystem widerspiegele. Zu den häufigsten seelischen Erkrankungen im Alter gehören die Depression und die Demenz. Weiterhin führt Frau Niemann-Mirmehdi aus, dass es keinerlei Grund gäbe, eine psychotherapeutische oder andere therapeutische Behandlung auch bei alten Menschen zu machen. Gerade auch bei älteren Menschen sind Therapien, z. B. bei Depressionen, sehr nachhaltig und wirksam.
Im Krankenhaus selbst befindet sich eine Tagesklinik mit 15 Behandlungsplätzen, die überwiegende Zahl der Patienten/innen haben Depressionen, Angsterkrankungen und leichte Demenzerkrankungen. Es gibt weiterhin eine gerontopsychiatrische Institutsambulanz, spezialisiert auf Diagnostik und Behandlung. Sie weist auf eine spezielle Gedächtnissprechstunde hin; hier werden Gedächtnisstörungen diagnostiziert. Sie merkt an, dass Gedächtnisstörungen im Alter nicht schicksalsgegeben sind. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, wo die Störungen herkommen. Es gibt dafür eine spezialisierte Gedächtnissprechstunde – Diagnostik und Behandlung -. Weiterhin gibt es eine Beratungsstelle für seelische Gesundheit im Alter. Die ist wichtig, weil die älteren Menschen ohne Überweisung diese Beratungsstelle in Anspruch nehmen können, wenn sie Fragen zur Gesundheit haben. Die Menschen, die sich an diese Beratungsstelle wenden, haben in der Regel auch Grund das zu tun. Jüngere Senioren/innen sind ein wenig offensiver, aber ältere Senioren/innen haben Schwierigkeiten zum Nervenarzt zu gehen. Aber wenn man sie dazu bekommt, unverbindlich in die Beratungsstelle zu gehen, dann sei die erste Hürde genommen. Die älteren Senioren/innen sollen nicht entmündigt  oder in ein Heim eingewiesen werden, sondern es sollen ihnen Hilfen angeboten werden.
Auch betont Frau Niemann-Mirmehdi, dass ältere arme Menschen und Migranten/innen sehr schwer den Weg in ein psychiatrisches Versorgungssystem fänden.
In diesem Jahr wurde eine Aktion gestartet „Chancen nutzen, seelische Erkrankungen im Alter frühzeitig erkennen und behandeln“. Es fanden viele Aktionen statt, um auf zu klären (in Senioreninitiativen, Schulungen der Lotsen). Die Lotsen kommen aus verschiedenen Nationen und helfen, Migranten/innen die richtigen Behandlungs- und Beratungsstellen zu finden.

Anschließend weist sie auf die ausgelegten Flyer hin.

 

Auf die Frage von Herrn Rauskolb (CDU) von welcher Alterszahl man ausgehe teilt Frau Niemann-Mirmehdi mit, dass man von 60 Plus ausgehe (bis 70 Jahre zählen die jungen Senioren/innen, danach die Hochbetagten). Weiterhin möchte Herr Rauskolb wissen, ob das Krankheitsbild und die Altersqualifizierung gleichgesetzt sind. Man kann in jungen Jahren erkranken und man kann auch im fortgeschrittenen Alter erkranken. Er würde das zunächst einmal trennen. Frau Niemann-Mirmehdi teilt mit, dass es bei der Demenz eine Ausnahme gäbe, hier könne jemand auch jünger sein.

 

Frau BV David (SPD) möchte wissen, ob man ohne Überweisungsschein die Praxis aufsuchen kann. Frau Niemann-Mirmehdi teilt mit, dass die Patienten/innen von ihren Hausärzten oder niedergelassenen Nervenärzten überwiesen werden. Die Wartezeit beträgt 4 bis 6 Wochen.

Anschließend stell sich Herr Rapp vor. Er stellt anhand einer Powerpoint-Präsentation die Frühdiagnostik und Therapie bei Demenzerkrankungen vor.

Anschließend beantwortet er Fragen der Ausschussmitglieder

 

Herr BV Rauskolb (CDU) möchte wissen, ob ein Schlaganfall auch bei jüngeren Patienten/innen auftreten könne, der auf die Dauer der Einnahme von Medikamenten zurückzuführen sei. Oder haben die älteren Menschen andere Vorbelastungen?. Herr Rapp meint, dass das bei den jüngeren Patienten/innen nicht gut untersucht wurde. Es sei aber so, dass bei jüngeren Patienten/innen häufig Phasen von Niedrigdosierungen, Phasen von höheren Dosierungen mit Neuroleptika ablösen.
Herr Rauskolb fragt anschließend, ob Herr Rapp den Verdacht hege, dass die Dosierungen zu massiv sind. Herr Rapp meint, dass im Projekt die Dosierungen, gemessen an der maximalen Tagesdosis, angeschaut wurden. Bei den älteren Patienten/innen sind das 35 %. Man muss sich aber überlegen, dass es die maximale Tagesdosis sei, die empfohlen ist für einen jungen Patienten, der an einer Schizophrenie erkrankt. Man glaubt, dass die Dosen insgesamt noch deutlich zu hoch sind. Man weiß auch aus einer Reihe von Studien zur Wirksamkeit von Neuroleptika, dass bei einer kurzfristigen Behandlung eine geringe Dosierung häufig gute Effekte zeigt. Während bei höheren Dosierungen das Problem auftritt, dass Wechselwirkungen, Unruhe, Verwirrtheit auftreten.

 

Die Vorsitzende, Frau Stein, möchte wissen, ob es bestimmte Programme gibt, ältere Menschen dahingehend heran zu führen, psychiatrische Diagnostik oder Behandlung zu akzeptieren. Gehe man in Einrichtungen, um es bekannt zu machen? Herr Rapp bejaht. Es gibt seit 2 Jahren eine Fortbildungsreihe zusammen mit der Volkshochschule Mitte. Dort werden ähnliche Vorträge zur Frühdiagnostik, zum Nutzen und zu den Chancen und den Behandlungsmöglichkeiten gehalten. Man sei viel im Bezirk in Pflegeheimen und in Stützpunkten unterwegs. Man kooperiert eng mit der Alzheimergesellschaft. Es wird versucht, soweit es die Ressourcen zulassen, die Akzeptanz zu erhöhen. Andererseits besteht aber das Problem, dass dieser Bereich ein Tabubereich sei – Nervenarzt – „ich bin dich nicht verrückt“ -. Man glaubt aber, dass durch die angesprochene Beratungsstelle – Hilfe für seelische Gesundheit im Alter – sehr gut aufgefangen werden kann. Es kommen viele Patienten/innen mit genau diesem Problem – „ich will nicht zum Nervenarzt“ – „ich gehe mal zur Beratungsstelle“ -. Die Arbeit in der Beratungsstelle führt sehr häufig dazu, dass die Patienten/innen dann 14 Tage oder 4 Wochen später einen Termin beim Psychiater erhalten. Diese Stellen werden durch eine gute Aufklärung angenommen.
Frau Niemann-Mirmehdi teilt ergänzend mit, dass in der nächsten Woche in Eva´s Arche Sucht im Alter Thema sein wird.

Herr Rapp teilt zu den vorliegenden Befunden zu Neuroleptika-Therapien mit, dass versucht wurde, mehr in die Heilung hinein zu gehen. Die Heime und die niedergelassenen Ärzte nehmen das sehr gut an, denn es besteht ein hoher Bedarf. Die fachärztliche Versorgung in den Heimen sei nicht gut abgesichert und beansprucht relativ viel Zeit. Ein Vertrag mit der Krankenkasse bestand, in diesem wurde ein Gesamtbudget für die Pharma-Kosten festgelegt. Alternativmedikamente, wie z. B. Antidepressiva oder Medikamente gegen Verhaltensstörungen oder Aggressionen sind etwas teurer. Durch die Präsenz in den Heimen konnte der Einsatz von Neuroleptika deutlich gesenkt werden, Das hat aber auch dazu geführt, dass das Pharmaka-Budget höher wurde. Das hat dazu geführt, dass der Heimträger in Absprache mit den Krankenkassen sich entschieden hat, mit anderen Ärzten zu kooperieren. Herr Rapp denkt, dass man das transparent machen müsse, dass gerade in der optimalen Behandlung von schwerer Demenzerkrankung die beste Variante nicht immer die billigste sei

 

Die Frage von Frau BV David (SPD), ob eine Kooperation zu Hausärzten besteht, wird mit Ja beantwortet. Weiterhin teilt Herr Rapp mit, dass er seit 12 Jahren Kooperationsnetzwerke betreibt. Herr Rapp wünscht sich, Alle zu erreichen. Alle seien aber nicht dazu bereit. Frau David möchte wissen, wie die Politik helfen kann. Gibt es Vorstellungen dazu. Abschließend möchte sie wissen, ob die Charité trotz der Einsparungen und Kürzungen entsprechende Unterstützung gibt? Ist das Budget ausreichend? Herr Rapp teilt mit, dass man nicht direkt von Kürzungen der Charité betroffen sei. Das Gerontopsychiatrische Zentrum konnte in den letzten 2 Jahren ausgebaut werden (personell und in der Anzahl der Patienten/innen, die versorgt werden müssen). Man glaubt, dass diese glückliche Lage der besonderen Situation im Hause beschuldet sei. Die Charité habe wahrgenommen, dass Altersmedizin ein wichtiger Bereich sei.
Weiterhin beantwortet er die Frage wie die Politik helfen könnte, wie folgt: Ein erster Schritt könnte Aufklärung über das Thema sein. Die Notwendigkeit der Behandlung und der daraus resultierenden Situation und der Folgefrage, was das koste, könnte eine Diskussion um die Strukturen anschieben. Er glaubt, das dies auf mehreren Ebenen momentan geschehe. Er ist auch dankbar dafür, was im Bezirk geschieht und dankt für die hier bestehenden Kooperationen. Er glaubt, dass man vieles, ohne Gesetzesänderungen auf Bundesebene und ohne allgemeine Veränderungen in den Ressourcen auch auf lokaler Ebene regeln könnte. Die jetzt vorhandenen Projekte seien ein guter Ansatzpunkt, wenn das im Bezirk Thema wird.

 

Herr BV Rauskolb (CDU) fragt nach der Schlussfolgerung und ob diese Therapie bei demenzkranken alten Menschen noch auf Dauer angewandt werden sollte oder sollte man sie lieber durch eine andere ersetzen? Herr Rapp könnte sich vorstellen, dass es weniger Einzelfälle gibt, bei denen eine Dauerbehandlung notwendig sein könnte. In den jetzt neu erschienen Leitlinien der Fachgesellschaft für Psychiatrie zur Demenzversorgung in Deutschland ist klar zu lesen, dass die Kurzzeitbehandlung unter 6 Monate weiterhin wichtig sein kann. Darüber hinaus sollte je nach Einzelfall eine Risiko-Nutzen-Abschätzung erfolgen. Herr Rapp meint, dass die Daten, die erhoben wurden, nicht für Einzelfälle sprechen. Das seien über 50 %, von denen über 30 % über ein Jahr behandelt wurden. Die Langzeittherapie stellt er sich viel seltener vor, als es in der Tat momentan der Fall sei.
Auf die Frage von Herrn Rauskolb, wodurch sich diese Einzelfälle auszeichnen, teilt Herr Rapp mit, dass es viele Ursachen gäbe. Depressionen kann eine Ursache von Aggressivität sein. Schaut man sich alle Ursachen an, bei denen Diagnostik gemacht, andere medikamentöse Verfahren ausprobiert hat und alles hat nichts geholfen, die/der Patient/in hat immer noch seine massive Aggressivität, die dazu führt, dass eine Selbstgefährdung und eine Gefährdung aus anderen Gründen wahrscheinlich ist, dann wäre der Einzelfall vorhanden. Man muss dann aber immer noch darüber diskutieren, ob man das erhöhte Risiko in Kauf nimmt. Das sei eine Einzelfalldiskussion.

 

Zu den therapeutischen Maßnahmen teilt Herr Rapp mit, dass im Projekt mehrere nichtmedikamtöse Therapieverfahren erprobt wurden, die alle wirksam waren – z. B. Ergotherapie – Er bemerkt, dass es viele Verfahren gäbe, die man einsetzen könne, bevor man zur Pille greife. Er sieht bei der Ergotherapie in den Pflegeheimen keine großen Probleme. Im Bereich Biographiearbeit in den Heimen sieht er relativ große Probleme. Einige Heime haben das gut angenommen. Andere Heime tun sich schwer damit, Biographiebögen zu erheben, das hat etwas mit den Personalressourcen zu tun.

 

Herr BD von Bock (CDU) kann nicht verstehen, warum manche Heime solche Biographiebögen nicht führen. Herr Rapp meint dazu, dass es sehr schwer sei, eine Biographie aufzustellen, wenn ein an Demenz Erkrankter in ein Heim eingewiesen wird und keine Angehörigen mehr hat.

 

Herr BV Rauskolb (CDU) möchte wissen, ob Alzheimerkrankheit eine besondere Form der Demenz sei. Herr Rapp teilt mit, dass Alzheimer eine Form sei, die die häufigste Erkrankung der Demenz sei. Sie ist die stärkste Krankheit, die den Altersgang hat und tritt mit dem Älterwerden am häufigsten auf.

 

Die Vorsitzende, Frau Stein, dankt für die Ausführungen und für die Beantwortung der gestellten Fragen. 


 

 
 

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