Auszug - "Neighbourhood" - Autonomieerhalt älterer Menschen mit Hilfebedarf in sozial benachteiligten Quartieren und Nachbarschaften im Untersuchungsgebiet Moabit BE: Frau Elke Harms, Sozialplanung, bürgerschaftliches Engagement  

 
 
33. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Soziales und Bürgerdienste
TOP: Ö 2.1
Gremium: Soziales und Bürgerdienste Beschlussart: erledigt
Datum: Di, 08.12.2009 Status: öffentlich
Zeit: 17:30 - 19:47 Anlass: ordentlichen Sitzung
 
Wortprotokoll

Frau Harms dankt für die Einladung und teilt einleitend mit, dass sich unter „Neighbourhood“ viel Informationen verbirgt

Frau Harms dankt für die Einladung und teilt einleitend mit, dass sich unter „Neighbourhood“ viel Informationen verbirgt. Vor zwei Jahren wurde zum ersten Mal die Pläne vorgestellt. Sie stellt Frau Falk vom wissenschaftlichen Zentrum Brandenburg und Frau Dr. Heusinger vom Gerotologischen Forschungszentrum Berlin vor. Sie danken für die Einladung und für die Möglichkeit, erste Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt vorzustellen. Dieses Projekt wird in 3 Gebieten durchgeführt.
Das Forschungsprojekt „Neighbourhood“ ist Teil eines Forschungsverbundes in Berlin, den das Bundesforschungsministerium fördert als einen von sechs Forschungsverbunden in der Bundesrepublik im Rahmen des Programms Gesundheit im Alter. In diesem Programm und im konkreten Verbund in Berlin wird aus verschiedenen Blickwinkeln untersucht, wie ältere Menschen, die mehrfach erkrankt sind, trotz der Einschränkung, die das mit sich bringt, trotz der Multimorbidität ein selbstbestimmtes Leben im Alter zu führen. Der Fokus, der im Forschungsprojekt „Neighbourhood“ gesetzt wurde, hat sich ganz besonders für die  Situation sozial benachteiligter älterer Menschen interessiert (Menschen, die wenig Einkommen zur Verfügung haben, Menschen mit einem geringen formalen Bildungsstand oder Menschen, die im Rahmen ihrer Erwerbsbiografien teilweise große Belastungen erfahren haben, weil das Berufsleben so hart und anstrengend war). Man weiß auch, dass sozial benachteiligte ältere Menschen früher häufiger und schwerer von Erkrankungen betroffen waren und das diese Mehrfacherkrankungen häufig auch einen pflegerischen und einen anderen Hilfe- und Unterstützungsbedarf nach sich ziehen. Gleichzeitig ist es aber so, dass das formelle Hilfesystem (System der pflegerischen Hilfen, der Angebote der Beratungsinstitutionen), welches existiert, diese Menschen schwer erreicht. Deshalb wird in dem Projekt gefragt, wie ältere Menschen, trotzdem selbstbestimmend ihren Alltag organisieren können, wenn sie einen Pflege- und Unterstützungsbedarf haben. Auch interessiert man sich dafür, welche Rolle dabei der Stadtteil spielt, in dem sie leben, welche Rolle spielt die sozialräumliche Umwelt. Man geht davon aus, dass im Alltag der pflegebedürftigen älteren Menschen es eine zentrale Rolle spielt, ob wohnortnahe Angebote erreichbar sind, ob es Infrastruktur gibt, Einkaufsmöglichkeiten gibt, ob Pflegedienste erreichbar sind oder ob es andere Hilfen, um ein möglichst normales Leben zu führen und weiter teil zu haben, gibt. Die Zusammenhänge zwischen der individuellen Situation und im Sozialraum sollen verstanden werden. Es wurden deshalb keine Datenerhebungen mit quanitativen Fragebögen durchgeführt, sondern man hat sich vor Ort umgeschaut. Man hat mit Akteuren gesprochen. Vom Wissenschaftszentrum Berlin wurden Interviews mit Sozialstationen, mit Sozialdiensten im Krankenhaus, mit Anbietern aus dem Bereich der Freizeitgeführt, mit Menschen, die in Beratungsstellen arbeiten, mit Vertreterinnen der kommunalen Seiten geführt. Man hat sich daraus ein Bild geschaffen, wie sich Moabit für ältere Menschen von der Anbieterseite aus darstellt. Die Kolleginnen vom Institut für Gerontologische Forschung haben Interviews mit betroffenen älteren Menschen selbst geführt, die zu großen Teilen aus eher einfachen Milieus, einige aus besseren oder gehobenen Milieus kommen, der Bildungshintergrund variierte, die Einkommenssituation variierte, es variierte, ob die Menschen alleine leben oder ob sie mit Partnern leben oder wie lange sie im Kiez waren. Es wurde versucht, eine große Vielfalt der Lebenssituation abzudecken.

Moabit hat man gezielt als Gebiet ausgewählt, weil es räumlich eingegrenzt ist. In Moabit beträgt der Anteil der Menschen über 65 Jahren 13 %. Der Anteil der Menschen NDH über 65 Jahre beträgt 16 %. Der Anteil wird in den nächsten Jahren stark zunehmen, wenn die jetzt 45 bis 55-jährigen nach und nach älter werden. In Moabit ist die ökonomische Situation der älteren Menschen im Berliner Vergleich sehr schlecht. Es gibt einen überdurchschnittlichen Anteil an Bezieher/innen von Grundsicherung im Alter. In einigen Planungsräumen liegt er dort bei 16 %; woanders bei 5 %.

Anschließend wird darüber Auskunft gegeben, dass es in Moabit durchaus erreichbare Einkaufsmöglichkeiten gibt, werden aber durchaus als verbesserungsfähig eingeschätzt. Aufgefallen ist, dass es hilfreiche Angebote gibt, z. B. Mittagstisch (Rathauskantine und zwei weitere Mittagstische) gibt.

 

Bei den Nachbarschaftskontakten konnte man feststellen, dass sie unterstützen und helfen, aber in dem Moment, wo Mobilitätseinbußen zu verzeichnen sind oder man ist in seiner Mobilität eingeschränkt, ist es schwieriger, in der Nachbarschaft eingebunden zu bleiben, Kontakte zu halten und schwieriger das Positive, was die Nachbarschaft bringt, dort heraus zu ziehen. Festzustellen ist, dass in den ehemaligen Seniorenwohnhäusern eine sehr intensive Nachbarschaftshilfe besteht und gepflegt wird. Mieter/innen helfen sich untereinander und unternehmen auch etwas.

 

Anschließend wird die Broschüre „Wir in Mitte“ angesprochen. Viele ältere Menschen lesen die Broschüre nicht, auch sei es schwierig herauszulesen, an welche Stellen sie sich wenden müssen.

Dann wird die Mobilität angesprochen, die ganz wichtig ist für die soziale Teilhabe. Die Mobilität erweist sich als wichtige Ressource für den Erhalt für Selbstbestimmungschancen. Oft fehlt Mobilität bei den älteren Menschen. Fehlende Mobilität isoliert, macht einsam und erschwert den Zugang zur weiteren Unterstützung. Die Menschen können selber nicht mehr ohne weiteres räumlich bestimmte Hilfen und Angebote aufsuchen. In Moabit im typischen Altbauquartier gibt es eine Vielzahl baulicher Barrieren. Die U-Bahnhöfe sind nach wie vor nicht barrierefrei zugänglich. Es gibt viele Treppen und Schwellen, es gibt, selbst in den ehemaligen Seniorenwohnhäusern Treppen und Schwellen. Menschen mit Rollatoren tun sich hier schwer. Auch das Bus fahren wird von älteren Menschen mit Rollatoren als sehr unangenehm empfunden. Auch wird betont, dass sich auf der Ebene des Sozialraumes von den professionellen Akteuren niemand dafür zuständig fühlt, daran etwas zu ändern. Es gibt Pflegedienste, die das wahr nehmen und meinen, dass die älteren Menschen aus dem 4. Stock z. B. im Altbau nicht mehr die Wohnung verlassen können. Sie würden zwar noch auf die Straße kommen, wenn man ihnen helfen würde. In diesem Zusammenhang wird der Mobilitätsdienst angesprochen. Für 20,00 € kann man im Quartal sich ein Mal wöchentlich eine Begleitung organisieren, die hilft vor die Tür zu kommen, man kann spazieren gehen und man kann den Facharzt aufsuchen. Allerdings meinen viele ältere Menschen, dass sie ihn noch nicht genutzt haben.

 

In Moabit fehlt es an zugehende und wohnortberatende Angebote für die Situation älterer Menschen. Es gibt einige Beratungsangebote, die sich an andere Situationen richten, aber die Koordinierungsstelle ist im Wedding und das sei nicht wohnortnahe. Auch wird angesprochen, dass der neue Pflegestützpunkt nicht in Moabit sei und deshalb nicht erreichbar sei. Weiterhin bestehen Schnittstellenprobleme beim Übergang vom Krankenhaus in die Häuslichkeit. Es kommt vor, dass ältere Menschen Freitagnachmittag aus dem Krankenhaus entlassen werden, vor ihrer Haustür stehen und dann stellt sich die Frage: sind Medikamente vorhanden, ist Essen im Kühlschrank, hat jemand in der Zwischenzeit den Briefkasten geleert und was passiert bis Montag. Zum Teil improvisieren alle Beteiligten mit viel Engagement, zum Teil führt es aber zur erneuten Klinikeinweisung am Freitagnachmittag oder am Samstag.

 

Weiterhin wird mitgeteilt, wenn es einen Pflegedienst gibt, zu denen ein sozialer Kontakt besteht, das Bedürfnis nicht in der Weise abgedeckt werden kann, wie es von den Betroffenen und vom Pflegedienst zum Teil gewünscht wird.

In Moabit wurden sehr wenig Angebote für eine alltagsgestaltende Aktivität und Geselligkeit vorgefunden. Insgesamt konnten 14 Angebote gezählt werden für ca. 9.000 Menschen im Gebiet Moabit. Davon finden 2 Angebote mehrmals in der Woche statt. 6 Angebote finden ein Mal in der Woche statt. Die anderen 6 Angebote finden selten statt. Es gibt kein flächendeckendes, wohnortnahes Angebote. Die Angebote, die es gibt, werden häufig unter sehr unsicheren, finanziellen und personellen Bedingungen geführt. Kontinuität und Verlässlichkeit ist für die Nutzerinnen und Nutzer sehr wichtig. Hervorgehoben wird die Heilandsgemeinde, die an verschiedenen Tagen Angebote unterschiedliche Zielgruppen ansprechen.
Man hat auch feststellen können, dass es für die sozial benachteiligten älteren Menschen ein Mangel an Angeboten gibt. Der Sozialraumbezug ist gering ausgeprägt. Die Akteure sind nicht auf das Gebiet bezogen und kooperieren nicht miteinander. Weiterhin gibt es Schnittstellenproblematiken, auch gibt es kaum Vernetzungen zwischen Pflegediensten und Freizeitanbietern, auch ist der Mobilitätshilfedienst nicht selbstverständlich. Hier wird nicht systematisch vermittelt. Insgesamt ist die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen mit den besonderen Bedarfen stark erschwert. Wichtig sei hier darauf hinzuweisen, dass diese mangelnde Ermöglichung sozialer Teilhabe für die Menschen ein ganz konkretes Problem darstellt. Auch wäre es für die Gesundheit der Menschen wichtig sozial teilhaben zu können.

 

Die Frage von Frau BV Fried (SPD), wo Flyer der Mobilitätshilfe noch ausgelegt sind, kann nicht beantwortet werden.

 

Frau BV Schauer-Oldenburg (Grüne) fragt, ob man davon ausgehen kann, dass die Situation der älteren Menschen in diesen Regionen, die nach der Sozialstruktur ähnlich sind, auch ähnlich sind oder gerade genauso sind. Frau Dr. Heisinger teilt mit, dass es bestimmte Problemlagen gibt, die stark Sozialraum begründet sind. Sie kann nicht sagen, ob sich das in Wedding ähnlich darstellt oder nicht. Die Mobilitätshindernisse und Barrieren sind frappierend. Die Frage stellt sich, welche Menschen zu welchen Informationsangebote auf welche Weise Zugang haben. Wie ist die Situation der Migranten/innen, wie sieht es aus, wenn man keine finanziellen Ressourcen hat, um sich Hilfen zu kaufen und dann Schwierigkeiten hat zu wissen, dass man sich im Zweifel Hilfe finanzieren lassen kann.

 

Anschließend teilt Herr BzStR von Dassel zum Mobilitätsdienst mit, dass es auch andere gibt (VBB). Das BA sieht hier ein Defizit. Im Rahmen der Maßnahmenauswahl des JobCenters im Jahre 2010 hat man einen Träger gesucht, der noch einmal für 25 Personen Mobilitätshelfer, Begleitservice und Schiebeservice anbietet und dieses Angebot ausweitet.
Zu den Seniorenfreizeitstätten teilt er mit, dass sie in der Regel Bringe- und Abholservice bieten. Weiterhin spricht er die Sozialkommissionen an, die sich momentan als Geburtstagskommission sehen. Das BA würde dieses gerne ändern und erweitern wollen, denn das BA meint, zum Geburtstag zu gratulieren sei sehr schön, aber es wäre besser wenn man mit diesen Menschen zu einer kulturellen Veranstaltung mitgehen würde. Mit den Wochenzeitungen wurde auf die ehrenamtliche Möglichkeit hingewiesen.

 

Frau BV Schauer-Oldenburg (Grüne) möchte wissen, was die Bezirksverordneten tun könnten, um eine gewisse soziale Integration umsetzen zu können. Der Sozialbereich hat 350 Tsd. € aus einer Erbschaft erhalten, was man hätte gut einsetzen können. Sie bemerkt, dass das Geld leider in eine Stiftung geflossen ist. Frau Dr. Heisinger teilt mit, dass der Mobilitätsdienst VBB eine sinnvolle Initiative sei. Auch sei es sinnvoll, solche JobCentermaßnahmen zusätzlich dazu zu nehmen. Es stellt sich aber auch die Frage, wie man quartiersbezogen eine bessere Vernetzung herstellen kann. Wie kann man die Kommunikation über dieses Angebot, und auch JobCentermaßnahmen sind befristet, regeln, wer ist zuständig dafür, das zu gewährleisten, wie kann man hier voran kommen. Unter den Anbietern gibt es auch Kommunikationsprobleme. Dazu trägt bei, dass es in Moabit keine Seniorenbegegnungsstätte gibt. Für die älteren Menschen ist die Einrichtung in der Grünthaler Straße von der Huttenstraße aus betrachtet, weit weg. Es gibt wenig kommunale Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, weil es dort kein entsprechendes Zentrum gibt.

 

Frau BV Dr. Reuter (Die Linke) meint, dass man schauen muss, welche Angebote in den Kiezen vorhanden sind, die sich für andere Zielgruppen öffnen müssen.
Auf die Frage, um wie viele ältere Menschen es sind in Moabit handelt, wird mit 9.000 geantwortet.

 

Frau BD Westphal (CDU) bittet, keinen Unterschied zwischen älteren deutschen Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund zu machen. Sie teilt die Auffassung, dass die wenigen kommunalen Einrichtungen ihrer Ansprechbarkeit breiter werden müssen. Sie könnte sich vorstellen, dass die in den Bezirken befindlichen Behindertenbeauftragte, Seniorenbeauftragte Informationen weiter geben.

 

Frau BV Schulz (CDU) regt an, die Präsentation zur Verfügung zu stellen. Das wird so zugesagt.

 

Frau BV Schauer-Oldenburg (Grüne) bezieht sich auf einen Antrag für eine zeitgemäße Seniorenpolitik. Herr BzStR von Dassel teilt mit, dass der Termin für eine Auftaktveranstaltung Mitte Januar stattfinden wird. Die Einladung dazu wird demnächst verschickt.

 

Der Vorsitzende, Herr Allendorf, möchte abschließend wissen, ob in der Studie Vorschläge enthalten sind. Frau Dr. Berlinger teilt mit, dass momentan eine zweite Phase geplant sei. Man möchte in Moabit weiter machen und schauen, wie man mit den älteren Menschen und mit den vorhandenen Akteuren gemeinsam konkretere Maßnahmen entwickeln kann und schauen kann, was wirkt.

 
 

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