Auszug - Betreuung psychisch kranker Menschen in Mitte  

 
 
14. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Gesundheit
TOP: Ö 1.1
Gremium: Gesundheit Beschlussart: erledigt
Datum: Do, 27.03.2008 Status: öffentlich
Zeit: 17:35 - 19:00 Anlass: ordentlichen Sitzung
 
Wortprotokoll
Beschluss

Die Vorsitzende, Frau Stein, begrüßt Frau Schouler-Ozak, Oberäztin im St

Die Vorsitzende, Frau Stein, begrüßt Frau Schouler-Ocak, Oberäztin im St. Hedwigs-Krankenhaus.

Frau Schouler-Ozak dankt für die Einladung und berichtet, dass sie Psychiaterin, Neurologin und Psychotherapeutin ist. Sie leitet in der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwigs-Krankenhaus die Institutsambulanz für den Bereich Wedding und Tiergarten. Sie leitet auch die allgemeinpsychiatrische Tagesklinik für den Bereich Wedding in der Müllerstraße. Sie hat einen Migrationshintergrund und ist Türkin. Aufgrund des eigenen Migrationshintergrundes ist die Schwelle von Migranten sie zu erreichen automatisch ein stückweit gesenkt. In der Institutsambulanz sind sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund in Behandlung. Es wurde festgestellt, dass 35 bis 45 % Patienten mit Migrationshintergrund (Türken, Araber, Russen etc.) sind. Es wird das gesamte Spektrum der psychiatrischen Erkrankungen behandelt. Diese Patienten erfüllen PISA-Kriterien, gesetzliche Rahmenbedingungen, die erfüllt werden müssen. Frau Schouler-Ocak teilt weiter mit, dass die Anfrage der Patieten sehr groß sei. In Berlin gibt es beispielsweise nur zwei niedergelassene türkische Kollegen/innen. Viele Patienten/innen versuchen, aus anderen Bezirken zu kommen, um Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber die gesetzlichen Rahmenbedingungen lassen das nicht zu. Es wird sehr viel mit Dolmetschern/innen im Campus Mitte gearbeitet. Zu den psychischen Erkrankungen teilt Frau Schouler-Ocak mit, dass viele Patienten/innen über das Berliner Bündnis gegen Depression aqueriert werden. Das Bündnisprojekt, welches Frau Schouler-Ocak leitet, unter Schirmherrschaft von Frau Ria Süssmuth und dem türkischen Generalkonsul, dient zur Prävention, zur Information, zur vorbeugenden Informationsvermittlung. Dazu gibt es auch eine Begleitevaluation. Die Anfragen kommen nicht nur aus Berlin, sondern bundesweit. Mittlerweile gibt es zum Bündnisprojekt 6 verschiedene Flyer in verschiedenen Sprachen.
Frau Schouler-Ocak informiert anschließend darüber, dass es bundesweit verschiedene Arbeitsgruppen gibt. U.a. gibt es eine Arbeitsgruppe für Psychiatrie und Migration der Bundesdirektorenkonferenz. In diesem Gremium treffen sich leitende Ärzte/innen aus psychiatrischen Kliniken. Es wurden einige Untersuchungen durchgeführt, inwieweit Patienten/innen mit Migrationshintergrund in den stationären Einrichtungen letztendlich eine Behandlung gefunden haben. Wie ist die Inanspruchnahme. Es wurde festgestellt im Vergleich zu den anderen Versorgungs- und Forschungsdaten, dass diese Patienten/innen langsam doch entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil je nach Region auch mit großen regionalen Unterschieden im Durchschnitt in den Krankenhäusern angekommen sind. 350 Einrichtungen wurden angeschrieben und befragt. 17 % der Patienten/innen haben einen Migrationshintergrund. Der Anteil an älteren Menschen mit Migrationshintergrund war sehr niedrig. Das hat damit zu tun, dass die Arbeitsmigranten/innen jetzt langsam in das Alter kommen und Erkrankungen aus dem Alter festgestellt und bemerkt werden bzw. auch auffällig werden. Bundesweit gibt es hier verschiedenste Projekte. Auch wird in Berlin ein Projekt für ältere Menschen geplant. In Kreuzberg gibt es das erste türkische Seniorenpflegeheim. Frau Schouler-Ocak versorgt dieses Heim mit.
Zu den anderen Arbeitsgruppen meint Frau Schouler-Ocak, dass es eine Deutsch-Türkische Psychiatriegesellschaft gibt. Hier soll die Versorgung der Menschen nicht nur in Berlin, sondern auch bundesweit erfolgen.
Zur Behandlungssituation im ambulanten Bereich teilt sie mit, dass es ein sehr großes Defizit dahingehend gibt, dass die Dolmetscher-/Übersetzerkosten nicht finanziert werden. Ganz viele Patienten/innen, die ihre behandelnde Ärzte aufsuchen, können mit denen nicht kommunizieren. Vieles bleibt auf der Strecke. Die Diagnostik wird nicht richtig gemacht. Man möchte sich absichern und es erfolgen dann sehr viele technische, teure Maßnahmen. Oft passiert das Phänomen des Einverständnisses in Missverständnisse. Wenn man hier eine Lösung im ambulanten Bereich finden würde, könnte man z. B. die Kostenübernahme von Dolmetschern, Kultur- und Sprachmittlern übernehmen, wäre das ein großer Fortschritt.

Anschließend beantwortet sie Fragen der Ausschussmitglieder.

 

Herr BV Allendorf (SPD) bezieht sich auf den Migrationshintergrund und meint, dass sich dieser nicht nur auf türkische Mitbürger/innen beziehe. Er meint, dass Frau Schouler-Ocak sehr viel von türkischen Mitbürger/innen gesprochen hat. Er fragt, ob es hier noch andere Gruppen gibt, die vertreten werden.

Frau Schouler-Ocak dankt für die Klarstellung und teilt mit, dass es sehr viel russische, arabische und serbisch-kroatische Patienten/innen oder aus anderen Regionen gibt, die auch das St. Hedwigs-Krankenhaus aufsuchen. Sie werden dort auch behandelt, wenn es aber nicht geht, wird mit Dolmetschern/innen gearbeitet.

 

Frau BV Schauer-Oldenburg (Grüne) bezieht sich auf die Kommunikation in der ambulanten Versorgung, die sehr schwierig sei und dass es zu wenig Dolmetscher/innen gibt, egal, welcher Sprache, die fachbezogen mit den niedergelassenen Ärzten besprechen könnten. Frau Schauer-Oldenburg fragt, ob sie das so richtig verstanden hat.
Frau Schouler-Ocak antwortet: Professionelle Dolmetscher/innen in Berlin gibt es genug. Nur die Kosten für den Einsatz werden nicht übernommen.
Zu den Verständigungsproblemen (sprachlicher und kultureller Art) meint sie, dass hier bundesweit eine Befragung durchgeführt wurde. Es wurden Mitarbeiter/innen von Krankenhäusern gefragt, wie viel Prozent ihrer Patienten/innen Verständigungsprobleme hätten. Jeder Vierte hat gesagt, dass es sprachliche Verständigungsprobleme gibt, aber über 40 % haben gesagt, dass es kulturgebundene Verständigungsprobleme gibt. Die befragten Mitarbeiter/innen im Gesundheitsdienst haben gesagt, dass es bei fast jedem zweiten Patienten mit Migrationshintergrund Verständigungsprobleme gibt. Im ambulanten Bereich ist das nicht anders.

 

Die Vorsitzende, Frau Stein, meint, dass das für den Bereich Psychiatrie, Neurologie einen bedeutenden Stellenwert habe. Sie fragt, auch wenn ein/e Dolmetscher/in vorhanden ist, wie das überhaupt gehandhabt wird, wenn spezielle intime Dinge mitgeteilt werden. Wie gehen die Patienten/innen damit um. Frau Schouler-Ocak meint, dass es hier verschiedene Anleitungen und Informationen, wie man im Gespräch mit einem/einer Dolmetscher/in umgeht, gibt. Wo soll sie/er sitzen: wie soll sie/er übersetzen (simultan, konsekutiv). Hier gibt es bestimmte Empfehlungen. Psychotherapiegespräch mit Dolmetscher/in sieht anders aus als ein Beratungs- oder Aufklärungsgespräch. Ganz wichtig ist, dass die/der Dolmetscher/in von Anfang an stückweit je nach Situation um was es geht, stückweit auch das Geschlecht passen sollte. Viele Frauen mögen in Gegenwart eines fremden Mannes, unabhängig von der Person des Arztes oder der Ärztin, sich nicht öffnen. Das muss man versuchen, schon ein bisschen anzupassen und ganz klar auch darauf hinweisen, dass der/die Dolmetscher/in genauso unter Schweigepflicht steht wie die/der Arzt/Ärztin. Bekannt ist auch, dass in Dolmetschergesprächen oft bestimmte Dinge einfach nicht angesprochen werden. Die Muttersprache spielt eine bestimmte Rolle bei bestimmten scharmbesetzten Themen oder bei emotionalen besetzten Themen. Partner oder Kinder können keine Übersetzungen vornehmen, dass ist nicht zulässig.

 

Herr BzBm Dr. Hanke meint, dass man aufpassen muss, dass man Kinder nicht traumatisiert. In den 70er Jahren war das üblich, dass Kinder bei Ärzten übersetzt haben. Weiterhin meint Herr Dr. Hanke, dass die eingesetzte/n Gemeindedolmetscher eine besondere Qualifikation haben müssen. Er fragt Frau Schouler-Ocak, ob sie für den Ausschuss die kulturellen Differenzen aus der praktischen Arbeit darstellen könnte, damit man eine Vorstellung gewinnt, wie wichtig Muttersprachler sind und wie wichtig es ist, dass im gesamten ärztlichen und psychiatrischen System mehr Muttersprachler zur Verfügung stehen.
Frau Schouler-Ocak meint, dass das ein sehr komplexes Thema sei. Zur Ausbildung der Dolmetscher kann sie nur sagen, dass man beide Sprachen sehr gut beherrschen muss. Man muss nicht nur die Sprache, sondern die Therminologie der entsprechenden Fächer beherrschen. Während der Ausbildung findet eine Überprüfung statt.
Frau BV Bölter (SPD) fragt, ob Frau Schouler-Ocak Zahlen bekannt seien bezüglich niedergelassener Ärzte, die nicht türkischem Ursprungs sind, sondern russisch, portugiesisch, polnisch oder einen anderen heimatlichen Hintergrund haben. Weiterhin möchte sie die Höhe der Dolmetscherkosten wissen. Frau Schouler-Ocak hat zu den niedergelassenen Ärzten keine Information. Es gibt, unabhängig von Ärzten, kaum Möglichkeiten, einen Patieten psychotherapeutisch muttersprachlich unter zu bringen. Zu den Kosten teilt sie mit: Gemeindedolmetscher 25, 00 € pro Stunde + Mehraufwand von ca. 12.00 €.

 

Frau BV Schauer-Oldenburg (Grüne) fragt und bezieht sich auf den stationären Bereich, wo es Patienten mit den kulturgegebenen Syndromen gibt, inwieweit das Pflegepersonal in der Lage ist, das zu bewältigen. Wird das Personal extra geschult und wie ist es hier mit der Kommunikation.
Frau Schouler-Ocak kann nur Auskunft von ihrem Krankenhaus geben. Ihr ist bekannt, dass auch einzelne andere Krankenhäuser intern interkulturelles Kompetenztraining für alle Berufsgruppen haben. Ihr ist auch bekannt, dass es in einigen Bundesländern interessante Weiterbildungen für Mitarbeiter/innen gibt. 2001 fand eine große Tagung im St. Andreas-Sonnenberg statt. Hier hat die Deutsch-Türkische Psychiatriegesellschaft das Referat der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie/Psychotherapie und Nervenheilkunde getagt. Dort wurden die Sonnenberger Leitlinien verabschiedet. Die 12 Leitlinien haben u. a. zum Ziel, dass nicht nur therapeutisches Personal, sondern alle im Gesundheitswesen Tätigen mit Interkulturalität, interkulturelle Öffnung, Kompetenz etc. in ihren Ausbildungsgängen etc. kompetent gemacht werden. Sie merkt an, dass es leider nicht flächendeckend in der Bundesrepublik ist.

Frau BV Schauer-Oldenburg fragt dazu und meint, dass hier ein Ansatzpunkt die Krankenpflegeschulen wären, wo die jungen Menschen, die in den Beruf gehen, hier schon mit den interkulturellen Dingen als Lehrauftrag erhalten.
Frau Schouler-Ozak kann nicht sagen, inwieweit das in anderen Krankenhäusern läuft. Sie weiß nur, dass das regional in einigen Krankenhäusern läuft. Auch wie das bundesweit läuft, kann sie nicht beantworten.

 

Herr BV Pawlowski (FDP) fragt, ob in bestimmten Kulturkreisen und bestimmten Ländern die Hemmschwelle einen Psychiater oder Psychotherapeuten aufzusuchen wesentlich höher ist, als in Deutschland. Er könnte sich vorstellen, dass das in einigen Familien Schwierigkeiten bereiten könnte. Frau Schouler-Ocak bejaht das. Die Diskriminierung von psychisch Kranken ist nicht nur hier in Deutschland, sondern auch in europäischen Kulturkreisen vorhanden. Man möchte nicht psychiatrisiert werden, auch nicht psychisch krank sein und aufgrund dessen geht man wahrscheinlich in bestimmten Zusammenhängen auch seltener zum Psychiater. Aber dafür werden wesentlich häufiger traditionelle Heilverfahren (Hodcher) aufgesucht. Zur Psychotherapie meint sie, dass dies der westlichen Welt zugesprochen wird.

 

Die Vorsitzende, Frau Stein, fragt, wie die Verteilung von psychiatrischen Erkrankungen zwischen Männer und Frauen unter den Migranten/innen sei. Gibt es hier Häufungen. Es gibt Untersuchungen, die völlig unabhängig vom Migrationshintergrund sind, wesentlich häufiger bei Frauen vorkommen. Das ist bei Migrantinnen genauso. Inzwischen ist aus verschiedenen Untersuchungen bekannt, dass Migraten/innen mit Migrationshintergrund wesentlich häufiger an psychiatrischen Erkrankungen erkranken.

 

Herr Kolodziejczak ergänzt und knüpft an die niedergelassenen Ärzte an, dass im Psychiatriebeirat Vertreter der kassenärztlichen Vereinigung anwesend waren, die sagen, man solle beruhigt sein, Mitte geht es gut. Situation ist aber, dass ein schwer chronisch kranker Mensch in Wedding und Tiergarten sehr schwer einen Nervenarzt findet. Herr Kolodziejczak meint, dass es generell schon schwierig sei, einen niedergelassenen Psychiater zu finden, der die Fremdsprache spricht und einen kulturellen Hintergrund hat. Die Arbeit der Institutsambulanz ist von daher für den Bezirk von sehr großer Bedeutung. Auch ist Mitte froh, dass man hier mit Frau Schouler-Ocak auf einer Welle schwimmt. Es wurde auch festgestellt, dass viele Krankheiten nicht bekannt seien. Die meisten Migranten/innen kennen die Hilfen einer gereontopsychiatrischen Tagespflegestätte nicht.
Mitte hat die ambulanten Träger vor einigen Jahren angeschrieben und angefragt, welche Fremdsprachen und welchen kulturellen Hintergrund die Mitarbeiter/innen haben. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Schweden, Finnen und die Ungarn sehr gut in Mitte versorgt waren. Aber die Sprache, die eigentlich benötigt wird wie: türkisch, arabisch, russisch, polnisch waren kaum vorhanden. Man ist deshalb darauf bedacht, Mitarbeiter/innen aus diesem Kulturkreis einzustellen.
Herr Kolodziejczak verteilt anschließend ein Papier der Senatsverwaltung „Versorgung der psychisch kranken älteren Migranten/innen“. Hier hat sich der Bezirk Mitte mit eingebracht.
Abschließend berichtet Herr Kolodziejczak von der Kontakt- und Beratungsstelle (KBS), Träger für Mitte, dass die dort tätigen Mitarbeiter/innen alle Feste und Feiertage aufgelistet haben und durch das Essen Zugang vermittelten. Effekt ist hier, dass es in dieser Tagesstätte weit über 50 % Migranten/innen inzwischen gibt.
Die Senatsverwaltung hat jetzt bestätigt, dass der Bezirk Mitte im Bereich der Eingliederungshilfe (Psychiatrieentwicklungsprogramm) die meiste ambulante Versorgung hat.

Abschließend verweist Frau Schouler-Ocak auf ein paar mitgebrachte Flyer. Sie regt an, wenn die Ausschussmitglieder neue Ideen haben, werden diese selbstverständlich aufgegriffen.

 

Herr BzBm Dr. Hanke fragt abschließend, ob es international Hinweise gibt, wie traditionelle Einwanderergesellschaften, wie z. B. die USA, mit diesem Thema umgehen. Gibt es hier schon spezielle Ausbildungswege oder –module, die Ärzte oder Pflegepersonal lernen, oder ist das international in solchen traditionellen Einwandergesellschaften auch kein Thema.

Frau Schouler-Ocak meint, dass es international unterschiedliche Vorgehensweisen gibt. In den USA ist ein Baustein im Ausbildungssystem in allen Berufsgruppen enthalten. In den skandinavischen Ländern muss der Arzt dafür sorgen, dass er seine Patienten/innen verstehen muss. Das ist gesetzlich so geregelt. In den Niederlanden gibt es ein zentrales Dolmetschersystem per Telefon.

 

Die Vorsitzende, Frau Stein, dankt Frau Schouler-Ocak für die Ausführungen und für die Beantwortung der gestellten Fragen.

 


 

 
 

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