Auszug - Flexibilisierung in der Schulanfangsphase  

 
 
3. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Schule
TOP: Ö 2.1
Gremium: Schule Beschlussart: erledigt
Datum: Do, 11.01.2007 Status: öffentlich
Zeit: 17:35 - 20:20 Anlass: ordentlichen Sitzung
 
Wortprotokoll
Beschluss

Der Vorsitzende, Herr Dr

Der Vorsitzende, Herr Dr. Knape, setzte die Sitzung um 18.05 Uhr fort.
Frau Flada berichtete: Die Heinrich-Seidel-Grundschule hat mehrheitlich einen Beschluss auf Abbruch der Altersmischung in der Schulanfangsphase gefasst, weil die Schule nach 2 ½ jähriger Erprobung überzeugt war, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen keine überzeugend gute Arbeit geleistet werden kann. Die Schule weiß aber auch, dass es durchaus Schulen gibt, wo es besser, anders oder auch vielleicht erfolgreicher läuft. Die Schule wendet sich aber nicht gegen die Flexibilisierung der Schulanfangsphase.
Der Schule geht es vor allem um die Mischung der verschiedenen Altersgruppen. Frau Flada begründete dies: Die Schule hat zur Zeit einen Anteil von Schülern/innen nichtdeutscher Herkunftssprache von über 90 %. Es gibt durchaus Klassen, in denen es Kinder mit deutscher Herkunftssprache gibt. Das schulische Umfeld im Brunnenviertel ist geprägt von großen sozialen, wirtschaftlichen und kriminellen Problemen.
Im Schuljahr 2004/2005 unterrichteten die Lehrer/innen der Jahrgänge 0 und 1 jahrgangsübergreifend, weil es ein Zwischenjahr war. Vorklassen wollte man hier für ein Jahr nicht mehr einrichten. Aus Sicht der Kollegen/innen, war es aber eine gute Erfahrung.
Gegenwärtig werden die Kinder durch das Elternhaus oder durch die Kinder der Kitas auf die Schule vorbereitet. Es wurde festgestellt, dass viele Kinder ganz hohe Defizite in fast allen Grundfertigkeiten aufweisen. Frau Flada nennt Beispiele: Wahrnehmungs- und Konzentrationsstörungen, fehlende basale Kenntnis (z. B. Stift halten, An- und Ausziehen, Tasche packen, Regeln einhalten, Zuhören können), die Kinder haben kein Umwelt- und kein Weltwissen und dadurch auch große Sprachdefizite, sie haben kaum noch einen natürlichen Wissensdurst, Wissensdrang. Hinzu kommt noch, dass in den Klassen sogenannte verhaltens- oder lernbehinderte Schüler/innen bis fast zu geistig behinderte Kinder sitzen. Schulärzte untersuchen nur noch, ob das Kind gesund ist, aber eine Schulreife gibt es nicht mehr. Ein Feststellungsverfahren darf nicht eingeleitet werden. Die Pädagogen müssen sich um eine ganze Bandbreite von Kindern kümmern, der Rest fällt irgendwie durch. Die Kinder mit besonderen Auffälligkeiten, benötigen auch eine besondere Aufmerksamkeit.
Die Personalausstattung ist zurzeit unter 100 %. Doppelsteckungen sind wenig möglich und müssten im kognitiven Bereich unbedingt vorhanden sein. Die Vertretungsreserven sind dadurch kaum gegeben, so dass DAZ-Unterricht oder zusätzlicher Verteilungsunterricht wegfallen.
Ein großer Teil der Erzieher/innen (kommen aus dem Kitabereich) sind aus dem Personalüberhang; sie müssen sich zunächst einmal einarbeiten.
In diesen sehr heterogenen Gruppen kommen nun noch die Zweitklässler hinzu. Auch kommen noch die Kinder hinzu, die ein 3. Schuljahr in der Schulanfangsphase verbleiben müssen.
Eine großes Problem stellt die ständig wechselnde Klassengemeinschaft dar. In der Zusammensetzung der neu gebildeten Drittklässler tritt ein großes Problem auf, dass sich die Kinder wieder in eine neue Klassengemeinschaft zum Teil an einen neuen Lehrer/in nach so kurzer Zeit gewöhnen müssen. Frau Flada vertritt immer noch die Meinung, dass neben offenen Formen wie Tages- und –Wochenpläne frontale Phasen mit eingebaut werden müssen, weil die Kinder eine Struktur benötigen, an die sie sich festhalten können. Hinzu kommt, dass die Zweitklässler noch nicht so selbständig sind, wie sich die Schule das eigentlich vorstellt. Die Kinder benötigen selbst noch so viel Hilfe.
Die Schule wendet sich vehement gegen die Behauptung, dass die Lehrer/innen alle unprofessionell sind und ihr Handwerk nicht verstehen. Frau Flada unterstreicht, dass sich ihre Kollegen/innen oft weiter und fort gebildet haben und sie haben oft versucht, sich Hilfen zu holen, die innerhalb des Bezirks organisiert wurden, aber trotzdem sind die Kollegen/innen nicht zufrieden.

 

An Herrn Köpnick, Vertreter der Schulaufsicht der Senatsverwaltung, wurde die Frage gerichtet, wie er das dargestellte Problem der Schule sieht.

 

 

Herr Köpnick teilt die Meinung von Frau Flada nicht 100%ig. Er verhehlt nicht, dass es große Problemsituationen in der so strukturierten Anfangsphase gibt und auch in den kommenden Jahren weiterhin geben wird. Er ist aber absolut überzeugt, dass eine Schulanfangsphase überfällig ist. Der Sinn der Schulanfangsphase ist, dass die Kinder dort abgeholt werden, wo sie stehen (es muss eine individuelle Förderung tatsächlich umgesetzt werden). Das kann die Sprachproblematik der Kinder erfassen. Er ist nicht damit einverstanden, dass man sich zunächst einmal zurücklehnt und dass normale Klassen eingerichtet werden. Hier gibt es keine Bewegung in diese Richtung. Wenn alles so belassen wird, kann es auch keinen Fortschritt geben, weil es keine Erkenntnissituation gibt. Die Grundschulverordnung beschreibt das jahrgangsübergreifende Lernen. Das muss ein Grundprinzip der Schulanfangsphase sein. Damit ist aber im Wort selbst nicht die Jahrgangsmischung ausgedrückt. Man kann auch jahrgangsübergreifend in anderen Konstrukten arbeiten, aber der jahrgangsübergreifende Aspekt muss stattfinden. Er kann sich das als Kompromiss vorstellen.
Die Zentralverwaltung versteht das so, dass es eine Jahrgangsmischung der Klassestufe 1 und 2 gibt. Das schafft natürlich immer sehr viel Unruhe, wenn fast die Hälfte der Klasse die Klasse verlässt und neue Kinder nachrücken. Eine Dreierteilung wäre durchaus zielführender. Die Stammgruppe ist konstanter. Die Kinder der Jahrgangsstufe 3 sind sehr viel älter und damit auch fähig andere, die neu hinzu kommen, anregen zu können. Momentan ist es aber so, dass die 2 Gruppen der Schulanfangsphase vom Potenzial her noch nicht so weit sind.

Herr Köpnick stimmt Frau Flada dahingehend zu, dass die extreme Heterogenität dessen, was die Kinder können oder noch nicht können so dimens ist, dass man mit Lernansätzen große Schwierigkeiten hat. Herr Köpnick meint, dass diese Schwierigkeiten zu meistern seien, wenn es folgende Bedingungen gibt:

  1. Personal (es müssen durchgehend 2 Lehrkräfte in der Schulanfangsphase etabliert werden)
  2. Lehrkräfte, die in der Schulanfangsphase tätig sind, müssen das Unterrichten beherrschen.

Herr Köpnick weiß aus den Berichten, dass die individuelle Förderung und die Differenzierung das große Manko an allen Schulen ist. Dieses ist so seit Jahren. Das ist zurückzuführen, dass der Lehrer/in im frontaler Unterrichtsmanie den Unterrichtsstoff an die Kinder vermittelt. Das ist nicht mehr gesellschaftsfähig und nicht mehr zukunftsfähig. Zukunftsfähig ist das Denken. Ein lebenlanges Lernen muss gelernt werden, d. h., die größte Aufgabe der Grundschule besteht darin, den Kindern genau diesen Punkt beizubringen, sich Wissen selbst zu erarbeiten.
Die Handlungskompetenzen, die die Kinder beherrschen müssen, müssen in den Vordergrund gestellt werden. An dieser Stelle ist der Lehrer nicht mehr der frontale Wissensvermittler, sondern er ist ein Mentor, der Begleiter, der Moderator von Lernprozessen, die er im Vorfeld organisiert. Dieser Transfer fällt vielen Kollegen/innen sehr schwer.
Weiterhin ist Herr Köpnick der Meinung, dass es sehr viele Kollegen/innen gibt, die in der Vergangenheit nicht hinreichend ihre Professionalität so weit entwickelt haben und auch die Schulleiter/innen nicht hinreichend darauf geachtet haben, dass ihre Professionalität soweit hinreichend entwickelt wurde, dass sie dies mühelos schultern können. Die jungen eingestellten Kollegen/innen können dies und beherrschen dies auch.
Nirgendwo steht geschrieben, dass diejenigen, die im Lebensalter weiter fortgeschritten sind, sich zurücklehnen können. Sie müssen sich auch bewegen.

 

Anschließend stellte sich Herr Dr. Leb, Schulleiter der Brüder-Grimm-Grundschule, vor.
Probleme, die Frau Flada vorstellte gibt es an seiner Schule auch.
Die Schule hat vor 10 Jahren angefangen, die Probleme so zu erkennen, wie sie beschrieben wurden. Schlussfolgerung war, dass die Schule jahrgangsübergreifend arbeiten muss. In jeder Regelklasse sind 3 Jahrgänge. Herr Dr. Leb ist der Meinung, man muss akzeptieren, dass die Kinder so sind, wie sie sind. Wenn das so ist, muss man sich darauf einstellen.
Herr Dr. Leb ist davon überzeugt, dass die Lösung dessen, was jetzt als Schulanfangsphase diskutiert wird, das eher behindert. Er meint weiter, dass eine Mischung eher von 1,2,3 gemischt werden muss. Das ist jahrgangsübergreifendes Lernen. Die Schule machte 7 Jahre einen Schulversuch mit. Die Kollegen/innen an seiner Schule, die das mitmachten, jammern nicht. Die Kollegen/innen, die das jetzt aus dem Stand heraus machen müssen, jammern. Das hat Gründe, die Herr Köpnick andeutete. Man muss daran arbeiten. Herr Dr. Leb glaubt, dass die Konstruktion 1,2 schief läuft, weil die Stufe 2 nicht stark genug ist, alles zu tragen. Die Zweitklässler sind nicht in der Lage (Lesefähigkeit und Mathematik) selbständig zu arbeiten. Dazu braucht man die Drittklässler.

 

Frau BD Stöcker (Die Linke) meint, dass es für die Schulen sehr wichtig ist, dass grundlegende materielle Voraussetzung vorhanden sein müssen, damit man arbeiten kann und das grundlegende bauliche Voraussetzungen notwendig sind, damit die Schulen ihre inhaltliche Arbeit machen können.

 

Frau BD Porzelt (Grüne) meint, dass Herr Köpnick die Verantwortung wieder von sich weist, denn die Ausbildung eines Lehrers an der Universität ist Sache des Senators. Frau Porzelt meint, dass man sehr wohl etwas machen kann und findet es nicht korrekt zu sagen, dafür können wir nichts. Herr Köpnick soll nicht immer die Verantwortung an die Schulen schieben, dass diese alles machen und für alles sorgen sollen.

 

Herr Köpnick meint darauf hin, dass er in seiner langen Tätigkeit noch nie eine Verantwortung irgendwie abgewälzt hat. Er sei eigentlich dafür bekannt, dass er auch mal gegen den Strich schwimmt und gegen seine eigenen Verwaltung handele. Er ist der Meinung, dass die Universität ein Lehr- und Lernmonopol hat, was sie selbst zu verantworten hat. Sie Senatsverwaltung hat in den Kommissionen neu verhandelt. Dort hat Herr Köpnick immer wieder zu verstehen gegeben, dass die Schulen einen besonderen Stellenwert haben muss, denn der Student muss wissen, ob er überhaupt eine Eignung für den Lehrernberuf hat. Die Seminare werden bewertet, das Praktikum aber nicht. Das sind ganz besonders eklatante Defizite, da kommt Herr Köpnick nicht ran.
Inhaltlich stimmt Herr Köpnick zu, dass die Methodik und Didaktik ganz vehement an den Univ ersitäten unterrichtet werden sollte, aber sie können mit den dort stattfindenden Seminaren theoretisieren. Bestimmte Sachen muss man durchleben und kann sie nicht aus Büchern erlernen.

 

Frau Flada teilt abschließend mit: Der Antrag auf Abbruch oder Ausnahmegenehmigung hat eigentlich die Diskussion möglich gemacht und auch, dass sich Herr Köpnick noch intensiver damit auseinander setzt, dass eine Schule sagt, mit diesen Bedingungen kommt sie nicht weiter. Sie meint, dass ihre Schule damit leben kann, dass zwei Klassen gemischt werden können. Aber dieser Gedankengang hatte die Schule vor dem Beschluss nicht, weil nicht klar war, dass so etwas überhaupt möglich ist. Insofern war dieser Beschluss und diese Diskussion

sehr sinnvoll und dass sich Herr Köpnick so praxisnahe in eine Schule gegibt und die Probleme anhört und sich damit auseinandersetzt findet Frau Flada sehr schön und dafür möchte sie ihm danken.


 

 
 

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