Drucksache - 1798/V  

 
 
Betreff: Zwischeninformation Verfahrensstand zur Projektstudie "Rechtsemtremismus und demokratiegefährdende Phänomene" (BA-Vorlage Nr. 1221/II)
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BzBmin/BzStRin GesSozPersBzBmin/BzStRin GesSozPers
Verfasser:Dr. Klett, UweKlett, Uwe
Drucksache-Art:Vorlage zur KenntnisnahmeVorlage zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Geschäftliche Mitteilungen der Vorsteherin der BVV Vorberatung
09.02.2005 
Öffentliche Sitzung der Geschäftlichen Mitteilungen der Vorsteherin der BVV erledigt   

Sachverhalt
Anlagen:
1. Vorlage zur Kenntnisnahme PDF-Dokument

Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin

Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin    02.02.2005

 

 

Vorlage zur Kenntnisnahme

 

für die Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am 24.02.2005

 

1. Gegenstand der Vorlage:           Vorlage zur Kenntnisnahme für die BVV

Zwischeninformation Verfahrensstand zur Projektstudie "Rechtsextremismus und demokratiegefährdende Phänomene"

 

 

2. Die BVV wird um Kenntnisnahme gebeten:

 

In der Anlage ist der erreichte Verfahrensstand zur Publizierung der Projektstudie "Rechtsextremismus und demokratiegefährdende Phänomene" dargestellt.

 

 

 

 

 

 

Dr. Klett               

Bezirksbürgermeister             


 

Zwischenstand der Arbeit mit der Kommunalanalyse

“Rechtsextremismus und Demokratie gefährdende Phänomene in Berlin Marzahn-Hellersdorf – Möglichkeiten der demokratischen Intervention”

 

Seit dem Sommer 2003 begleitete das MBT “Ostkreuz” zusammen mit der Netzwerkstelle MITEINANDER die Konzipierung und in der Durchführung der Kommunalanalyse über “Rechtsextremismus und demokratiegefährdenden Phänomenen in Marzahn-Hellersdorf” des Projektbereichs “Community Coaching” im Zentrum Demokratische Kultur (ZDK), die im Frühjahr 2004 fertiggestellt wurde.

 

Seit Sommer 2004 wurde die Kommunalanalyse durch den Kooperationsverbund aus dem MBT “Ostkreuz”, “Community Coaching” (ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH) und der Netzwerkstelle MITEINANDER dem Bezirksamt, der Jugendförderung, den (allen) Sozialraumkonferenzen der Jugendförderung, dem Migrantenbeirat, den Stadtteilzentren, den Schulräten (Schulaufsicht) und den Schulleitern des Bezirkes sowie einzelnen Einrichtungen und Akteuren vorgestellt. Die Präsentation der Studie in bezirklichen Gremien und Netzwerkrunden wurde im Wesentlichen bis Ende 2004 abgeschlossen. Voraussichtlich wird die Analyse aber auch noch 2005 in weiteren Gremien und zivilgesellschaftlichen Gruppen vorgestellt und diskutiert werden.

 

Anknüpfend an diese Präsentationsveranstaltungen strebt das MBT “Ostkreuz” in Zusammenarbeit mit “Community Coaching”, der Netzwerkstelle “Miteinander” und weiteren Akteuren an, regelmäßige Beratungsangebote für den Bereich Schule (in Kooperation mit dem Schulamt), für den Bereich Jugend (in Kooperation mit dem Jugendamt) und für die Stadtteilzentren (in Kooperation mit der Konsultationsstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus) im Bezirk zu implementieren. Im Dezember 2004 wurde im Migrantenbeirat eine AG ins Leben gerufen, die sich 2005 mit der Kommunalanalyse aus Sicht von Migrant/innen befassen und ihre Ergebnisse in den Migrantenbeirat einbringen soll. Außerdem sollen weitere Anstrengungen unternommen werden, Akteure über den bereits sensibilisierten Kreis hinaus zu erreichen.

 

 

Die Analyse

 

Mit Blick auf den sozialwissenschaftlichen Forschungsstand (repräsentative quantitative Studien wie die Berlin-Brandenburg-Studie des Otto-Stammer-Zentrums der FU Berlin oder der Forschungsgruppe um Wilhelm Heitmeyer: GMF-Survey / “Deutsche Zustände”) hat die Kommunalanalyse des ZDK keine völlig überraschenden oder ganz neuen Ergebnisse erbracht. Grundsätzlich bestätigt und präzisiert sie hinsichtlich der Erscheinungsformen von Alltagsrassismus und Defiziten bei der Verankerung menschenrechtlicher Werte in der Alltagskultur auch die Ergebnisse der Befragung von Mitarbeiter/innen der Kommunalverwaltung sowie weiterer Institutionen und Einrichtungen in Marzahn-Hellersdorf aus dem Jahr 2002.

 

Die Kommunalanalyse beleuchtet gezielt den Bezirk und seine unterschiedlichen Sozialräume auf der Basis systematischer Befragungen, die genauere – exemplarische – Problembeschreibungen mit Aussagen von Akteuren vor Ort erlauben als die vorgenannten Untersuchungen. D.h.: die Studie des ZDK lässt diverse Akteure und von Diskriminierung und Bedrohung Betroffene selbst zu Wort kommen und vermittelt so u.a. authentische Eindrücke von Mehrheits- und Minderheitenperspektiven (z.B.: allgemeine “geistige Verrohung” aus Sicht von Angehörigen der Weißen Mehrheitsbevölkerung und Alltagsrassismus aus Sicht von Afro-Deutschen). Durch die Beschreibungen von Akteuren liefert die Kommunalanalyse auch Belege für rassistische und xenophobe Feindbilder, die “das Fremde” Gruppen zuordnen, die vor Ort kaum oder gar nicht präsent sind (z.B.: Roma-Frauen, die als “Türken” beschimpft werden, wobei “Türken” für “Alkoholiker und Verbrecher” steht).


 

Die Kommunalanalyse beleuchtet nicht zuletzt soziokulturelle Entwicklungen und beschreibt einen Rückgang des “klassischen” rechtsextremen Outfits in den vorherrschenden Jugendkulturen und lenkt die Aufmerksamkeit auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Argumentationsmustern, die an tagespolitische Diskurse anknüpfen. Die Studie thematisiert aber nicht nur die zunehmende Kombination von Markenartikeln, die in der rechtsextremen Szene beliebt sind, zu einer Vielfalt modischer Outfits, sondern damit auch diese Marken selbst – von denen die Mehrzahl als Hinweise auf einen potenziellen Diskussionsbedarf und nicht als absolute Repressionsauslöser zu verstehen sind – sowie das sogenannte “Marzahner Outfit” (Bomberjacke, Kurzhaarschnitt etc.) als eine alltagskulturelle Normalität. Diese Aspekte der Alltagsnormalität im Bezirk ist an sich kein Beleg für eine Dominanz rechtsextremer Orientierungen, wirft aber Fragen nach den Besonderheiten dieser Alltagskultur auf. Die Studie macht also auf Besonderheiten einer alltäglichen Normalität aufmerksam, die der allgemeinen Wahrnehmung vieler Akteure (Mitarbeiter/innen von Jugendfreizeiteinrichtungen und Projekten sozialer Arbeit, Lehrer/innen, Jugendgerichtshelfer/innen, Bewährungshelfer/innen, Polizist/innen, Eltern und Großeltern etc.) entgehen, weil sie als “normal” erscheinen – obwohl sie aus der Draufsicht unter dem Gesichtspunkt einer nachhaltigen Rechtsextremismusprävention als Hinweise auf potenziell prekäre Aspekte der Alltagskultur zu einer kritischen Auseinandersetzung Anlass geben sollten. Dies um so mehr, wenn man die Perspektive derer einbezieht, für die kulturelle Ausdrucksformen rechtsextremer Einstellungen (Outfits, Symbole, Codes, Sprüche) Hinweise auf ein reales Bedrohungspotenzial darstellen: Minderheitenfeindlichkeit richtet sich eben vor allem gegen Menschen, die stigmatisierten Minderheiten und nicht der (lokal) vorherrschenden Mehrheit zugeordnet werden – was die Wahrnehmung ambivalenter Erscheinungsformen von Minderheitenfeindlichkeit für Angehörige der dominanten Mehrheitsbevölkerung schwierig, für Angehörige von Minderheiten aber existenziell notwendig macht. Insofern sensibilisiert die Kommunalanalyse dafür, dass die gleiche alltägliche Normalität aus Mehrheits- und Minderheitensicht sehr unterschiedlich aussieht und wirkt.

 

Im Unterschied zu vielen anderen Studien stellt die Kommunalanalyse die diversen Erscheinungsformen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und demokratiefeindlicher Orientierungen zur sozialen Entwicklung – d.h.: zu Tendenzen sozialer Desintegration vor allem in den nördlichen Regionen des Bezirks – in Beziehung. Dabei geht es nicht um die simplifizierende Monokausalität einer Argumentation nach dem Motto “Arbeitslosigkeit ist die Ursache des Rechtsextremismus”, sondern um die Berücksichtigung der Angst vor Statusverlust und Marginalisierung als Faktor für die Entfaltung rechtsextremer Dispositionen. Die Entwicklung des Rechtsextremismus wird so in einen weiteren Zusammenhang gesellschaftlicher und politischer Desintegration sowie der verstärkten Ausprägung menschenfeindlicher Dispositionen gestellt, die auch relevante Teile der Mehrheitsbevölkerung unmittelbar betreffen. Dadurch werden nicht nur weitere Wirkungszusammenhänge in die Analyse einbezogen, als es ein engerer Fokus auf den Rechtsextremismus ermöglichen würde; es wird auch der Zugang zur Wahrnehmung von Minderheitenfeindlichkeit für Angehörige der Weißen Mehrheitsbevölkerung erweitert.

 

Schließlich beschränkt sich die Kommunalanalyse auch nicht auf die Beschreibung von Defiziten im Bezirk, sondern versucht auch Ressourcen, Potenziale, Ansätze und Beispiele für “good practice” im Sinne einer menschenrechtsorientierten Demokratieentwicklung zu erfassen.

 

Die Kommunalanalyse beschränkt sich also nicht auf die Beschreibung auffälliger Erscheinungsformen des Rechtsextremismus, sondern beschäftigt sich auch mit ihren Hintergründen und deren Zusammenhang mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen. Deshalb ist sie eine gute Grundlage für weiterführende Diskussionen – und für die fortgesetzte Analyse der Situation, die mit der Vorstellung der Kommunalanalyse nicht abgeschlossen werden sollte: Die Studie macht eine Vielzahl von Sichtweisen auf Marzahn-Hellersdorf deutlich, die es verdienen, wahrgenommen zu werden. Aber sie gibt – was auch immer wieder bei der Diskussion in den unterschiedlichen Gremien und Vernetzungsrunden deutlich wurde – weder ein vollständiges noch ein letztgültiges Bild.


 

Vorstellung und Diskussion

 

Die Kommunalanalyse wurde von einem relativ kleinen Team des ZDK in vergleichsweise kurzer Zeit erstellt. Insofern ist es wenig überraschend, dass sie in einigen Details nicht eingehend und weitreichend genug recherchiert werden konnte und in einzelnen Details Fehler enthält. Auch hinsichtlich des Anspruches, bisher im Kontext der Rechtsextremismusforschung wenig berücksichtigte lokale Akteure und Akteursgruppen zu ermitteln und zu Wort kommen zu lassen, mit Blick auf den Anspruch, alle im Bezirk relevanten Minderheitengruppen zu berücksichtigen, sowie bei der Erfassung der lokalen Ressourcen, Ansätze und beispielhaften Projekte hat die Analyse ihre Ziele nicht vollständig erreicht. Allerdings war es nicht Ziel der Kommunalanalyse eine letztgültige Beschreibung der “objektiven Wahrheit” über Lage in Marzahn-Hellersdorf zu geben. Hauptziel der Studie war vielmehr, aufgrund einer systematischen Sammlung und Auswertung von Informationen eine empirische Grundlage für die weitere Diskussion lokaler Akteure über Phänomene und Dimensionen des Rechtsextremismus im Bezirk zu schaffen, bei der die Erfahrungen und Sichtweisen von potenziellen Opfern rechtsextremer, rassistischer, minderheitenfeindlicher und sozialchauvinistischer Diffamierung, Bedrohung und Gewalt angemessen berücksichtigt würden. Dieses Hauptziel hat die Kommunalanalyse erreicht.

 

Erreicht wurde auch das Ziel, die Kommunalanalyse, die von der Netzwerkstelle MITEINANDER als PDF-Datei zum Download und als Online-Lese-Version im Internet veröffentlicht wurde, in den Gremien des Bezirks (top-down) und einer großen Anzahl lokaler Akteure vorzustellen. Mit Hilfe einer Sonderzuwendung des Beauftragten für Integration und Migration war es darüber hinaus dem MBT “Ostkreuz” möglich, lokalen Akteuren insbesondere aus den Bereichen Schule, Jugendarbeit und Verwaltung (in begrenzter Auflage) eine Print-Version der Kommunalanalyse  zur Verfügung zu stellen.

 

Für Marzahner/innen und Hellersdorfer/innen mit Migrationshintergrund oder bi-ethnischer Herkunft, die in Gremien, Initiativen und Projekten engagiert sind, bot die Präsentation der Kommunalanalyse einen Anlass, eine Grundlage und einen Rahmen, persönliche Erfahrungen mit alltäglicher rassistischer Diskriminierung offen anzusprechen – was selbst in Gremien wie dem Migrantenbeirat des Bezirks durchaus nicht selbstverständlich ist: Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf, der in den letzten Jahren mit einer Reihe von Stigmatisierungen und Vorurteilen zu kämpfen hatten, vermengt sich seitens der Mehrheitsbevölkerung nicht selten eine Gewöhnung an – für die Mehrheit der örtlichen Bevölkerung – “harmlose” und “unproblematische” Erscheinungsformen rechter Subkulturen mit einer gleichsam “kollektiven Selbstverteidigung” gegen diskriminierende Stereotype und verallgemeinernde Klischees über Ostdeutsche bzw. über Marzahn-Hellersdorf. Die Tendenz, die örtliche Gemeinschaft gegen Anwürfe von außen zu schützen und “Nestbeschmutzungen” zu vermeiden, wirkt sich auch auf die Atmosphäre in Gremien und Netzwerkrunden aus, die sich explizit mit der sozialen Arbeit mit Migrant/innen sowie dem Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft beschäftigen – und in denen wiederum (durchaus engagierte) Menschen ohne Migrationshintergrund in der Mehrheit sind. Insofern ist es für potenzielle Opfer rassistischer Diskriminierung und Gewalt auch in solchen Gremien oft schwierig, ihr Erleben von prekären Normalitäten im Bezirk “ungefiltert” gegenüber Mitbürger/innen zu artikulieren, die sich aktiv für die Verbesserung der Lebenssituation von Minderheiten einsetzen, aber ihren Bezirk, ihren Kiez und ihre Einrichtung nicht aus einer Minderheitenperspektive wahrnehmen und sich von der Fremdwahrnehmung ihres Bezirks als Tatort alltäglicher rassistischer Diskriminierung angegriffen fühlen. In dieser Gemengelage bestärkt Kommunalanalyse Angehörige von diskriminierten Minderheiten darin, dass sie mit ihrem Erleben von Minderheitenfeindlichkeit nicht ganz alleine sind und nicht als Frage der subjektiven Wahrnehmung der Betroffenen, sondern als Tatsache ernst zu nehmen ist. Ob und in wie weit sich diese Wirkung der Kommunalanalyse weiter fortsetzt und ob sie nachhaltig dazu beiträgt, den öffentlichen Diskurs im Bezirk zu verändern, wird sich nicht zuletzt in der Arbeit der Arbeitsgruppe erweisen, die der bezirkliche Migrantenbeirat für eine intensivere Auseinandersetzung mit der ZDK-Studie im Dezember 2004 eingesetzt hat.

 

In den politischen Gremien des Bezirks – namentlich im Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf – hat die Kommunalanalyse, deren Erarbeitung vom Bezirksbürgermeister von Beginn an ausdrücklich begrüßt wurde, die Auseinandersetzung mit dem Thema “Rechtsextremismus, Minderheitenfeindlichkeit und Rassismus” (die nach einem ersten Anlauf zu einem bezirklichen Konzept gegen Rechtsextremismus im Jahr 2002 zwischenzeitlich an Intensität nachgelassen hatte) deutlich gefördert. Bei der Erarbeitung und Präsentation der Studie war auch die Schulaufsicht im Bezirk ein offener Kooperationspartner. Schwieriger wurde die Präsentation und Diskussion der Kommunalanalyse auf den nachgeordneten Ebenen, wo sie nicht selten als “von oben” oktroyiert, potenzielle Zusatzarbeit oder/und potenziell rufschädigende Belastung im Wettbewerb um knapper werdende öffentliche Mittel wahrgenommen wurde. Dabei stieß die Präsentation der Kommunalanalyse in Sozialraumkonferenzen der Jugendförderung, beim Treffen der Stadtteilzentren usw. in der Regel aber auf relativ wenig offenen Widerspruch (und noch seltener auf eine inhaltlich fundierte Kritik in der Sache). Vielmehr ging es eher darum, dass aus Sicht vieler der versammelten Akteure andere Themen dringlicher zu behandeln gewesen wären (neue Strukturen in ihrem jeweiligen Arbeitsgebiet, Mittelkürzungen, Zusammenlegung von Schulen etc.) als das (“heikle”) Thema “Rechtsextremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit”.

 

Die – durch die westdeutschen Sozialwissenschaften – geprägte Begrifflichkeit und Sprache, mit der die Kommunalanalyse arbeitet, war häufig ein weiteres Hindernis für den Zugang der Diskussionspartner/innen zu den inhaltlichen Aussagen der Studie. In der Tat besteht in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in Ostdeutschland offenbar ein gewisser Nachholbedarf bei der Einbeziehung anderer – nicht-westdeutscher – Begriffsauffassungen, Wahrnehmungsmuster und begriffsprägender Diskurse in die Definition der begrifflichen Arbeitsinstrumente sozialwissenschaftlicher Forschung. “Rechtsextremismus” bzw. “Faschismus” wird im allgemeinen Sprachgebrauch zumeist eher mit Gewaltstraftaten, organisierten Strukturen und gefestigten ideologischen Weltanschauungen als mit allgemein verbreiteten Denk-, Wahrnehmungs- und Verhaltenmustern assoziiert. Die gesellschaftspolitische Problematik wird im vorherrschenden öffentlichen Diskurs (d.h.: außerhalb fachlich orientierter Diskussionszusammenhänge) vor allem an manifesten Erscheinungsformen wie Straftatbeständen, dissozialen Verhaltenauffälligkeiten, Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien und weniger an Hintergründen, Motiven und Entwicklungsbedingungen rechtsextremer Tendenzen, Strömungen und Erscheinungsformen festgemacht. Soweit Besonderheiten der Situation in Ostdeutschland thematisiert und hinterfragt werden, überwiegt eine Problemwahrnehmung und Kategorisierung  nach Maßgabe von Begriffen, die (wie “Totalitarismus”, “[völkischer] Nationalismus”, “’Volksgemeinschafts’-Ideologie”, “[klassischer] Antisemitismus”, “Rassismus”, “Autoritarismus”, “Antipluralismus”, “Verfassungsfeindlichkeit”, “Extremismus”, “Populismus” etc.) in Westdeutschland bzw. in westlichen Diskursen geprägt und deren inhaltliche Bedeutung, theoretischen Vorannahmen und Implikationen bislang kaum “auf gleicher Augenhöhe” mit gesellschaftlichen und politischen Akteuren in Ostdeutschland hinterfragt, diskutiert und verhandelt wurden. Dieses allgemeine Defizit gehörte zu den Ausgangsbedingungen der Erarbeitung der Kommunalanalyse – und konnte (natürlich!) im Rahmen der Kommunalanalyse höchstens ansatzweise angegangen werden. Im Ergebnis steht die Nachbereitung der Kommunalanalyse immer wieder vor der Herausforderung, zwischen unterschiedlichen Begriffsauffassungen und Sprachkulturen zu vermitteln, um eine Basis zur inhaltlichen Verständigung zwischen Akteuren verschiedener Herkunft und mit unterschiedlichen Arbeitsbereichen zu schaffen.

 

Als Problem erwies sich auch immer wieder die fehlende Bereitschaft von Teilen der Diskussionspartner/innen (die in der Regel zur lokalen Mehrheitsbevölkerung gehörten), eine Wahrnehmung und Beschreibung als gleichberechtigt anzuerkennen, die der eigenen widersprach. So gelang es nur selten, eine Mehrheit der Diskussionspartner für einen Perspektivwechsel zu gewinnen und die Situation in ihrem Sozialraum, ihrem Kiez oder ihrer Einrichtung aus der Perspektive von Menschen zu betrachten, die als “nicht dazugehörig” (“fremd”, “unnormal” etc.) gelten. In der Tat hörten einige Diskussionsteilnehmer/innen schon die Beschreibung der Situation aus einer “fremden” bzw. Minderheitenperspektive als moralisierenden Pauschalvorwurf, den sie ebenso pauschal (wie sie ihn hörten) als unberechtigt abtaten. So empfand ein Teil der Akteure in den Diskussionsrunden, in denen die Analyse vorgestellt wurde, seine Klientel oder sich selbst durch Hinweise auf  problematische Verhältnisse und Entwicklungen im Bezirk, in einem Sozialraum oder einer Einrichtung ungenau oder unzutreffend beschrieben bzw. diffamiert. Dabei wurde vor allem auf Einzelheiten von Beschreibungen Bezug genommen, in denen die Kommunalanalyse in der Tat ungenau oder fehlerhaft war, die aber für die Beschreibung des Gesamtzusammenhangs nicht wesentlich waren. Immer wieder kamen in den Diskussionsrunden auch Argumentationsmuster zum Vorschein, die jegliche Diskriminierung, Ausgrenzung, Bedrohung und Gewalt gegen Minderheiten bestritten – bzw. als ein Wahrnehmungsproblem, Überempfindlichkeit oder Diffamierung seitens der Opfer erklärten. Mehr als einmal äußerten Teilnehmer/innen der Diskussionsrunden, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit könne es in Marzahn-Hellersdorf gar nicht geben, weil hier kaum Ausländer lebten (Rassismus könne es also eigentlich nur in Kreuzberg geben).

 

Im Ergebnis der bisherigen Diskussionsrunden wurde also ein durchaus erheblicher Klärungsbedarf hinsichtlich der Problemwahrnehmung deutlich – von Grundlagen wie Begrifflichkeiten und Informationen über Erscheinungsformen des Rechtsextremismus (Outfits, Marken, Codes und Symbole) über die Einbeziehung “fremder” Perspektiven, Perspektivwechsel und Empathie sowie die Reflexion eigener Sichtweisen, Haltungen und Standpunkte bis zur Verständigung über positive Leitbilder, Ziele und Bewertungskriterien. Deutlich wurde auch, dass in der Kommunalanalyse die im Bezirk vorhandenen Akteure, Ansätze und Handlungskonzepte nicht vollständig erfasst sind und dass die systematische Beschreibung der Problemlagen, Ressourcen, Potenziale und Aktivitäten eine bleibende Herausforderung für die weitere Arbeit ist, für die die Kommunalanalyse eine wichtige Grundlage, aber keine abschließenden Antworten bietet. Die Entwicklung und Koordination von Maßnahmen zur gesellschaftspolitischen, sozialpädagogischen und zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit rechtsextremen Tendenzen und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kann nachhaltig nicht ohne eine aktive Einbeziehung (bottom-up) der Akteure in den verschiedenen Dienststellen, Einrichtungen, Schulen, Teams, Projekten, Vereinen, Initiativen und Gremien gelingen. In welchen Strukturen der notwendige, von den kommunalen und zivilgesellschaftlichen Akteuren selbst getragene, kooperative und kontinuierliche Kommunikations-, Reflexions- und Arbeitsprozess (top-down – bottom-up) zu organisieren ist, bleibt zunächst noch eine offene Frage. Da aber – tatsächlich und potenziell – leistungsfähige Strukturen im Bezirk existieren, in deren unter anderem auch Zuständigkeiten für die Prävention und Intervention von Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit fallen, sollte die Vernetzung und Koordination an diesen Strukturen ansetzen. Dazu zählen unter anderem der Jugendhilfeausschuss der BVV, die Strukturen der Jugendförderung (Regionalrunden und Regionalbeauftragte), die Stadtteilzentren und die geplante Konsultationsstelle für interkulturelle Arbeit – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, die Arbeitsgremien der Schulaufsicht und ihre Kooperationsstrukturen mit der Polizei und der Jugendförderung, der Migrantenbeirat des Bezirksamtes und der BVV-Ausschuss für Migrantenangelegenheiten, der Migrationssozialdienst, die Netzwerkstelle MITEINANDER (FiPP e.V.), die “Initiativgruppe Qualitätsentwicklung interkulturelle Arbeit in Marzahn-Hellersdorf” sowie – zur fachlichen Begleitung und Unterstützung – das MBT “Ostkreuz” der Stiftung SPI. Einbezogen werden sollten aber auch die ASFH und – als zivilgesellschaftliches Potenzial – die Kooperationsstrukturen zwischen Studierenden der ASFH und Nutzer/innen von lokalen Jugendfreizeiteinrichtungen sowie weitere zivilgesellschaftliche Akteure, die sich als ausdrückliche Gegner des Rechtsextremismus verstehen.

 

Die Präsentation und Diskussion der Kommunalanalyse wird 2005 nicht zuletzt mit Blick auf die letztgenannten zivilgesellschaftlichen Akteure sowie auf die breitere Einbeziehung von Marzahner/innen und Hellersdorfer/innen mit Migrationshintergrund fortzusetzen sein.

 



                                                                                                                                                                                                                                                               

Übersicht

zum Stand der Auseinandersetzung mit der Kommunalstudie "Rechtsextremismus und Demokratie gefährdende Phänomene in Berlin Marzahn-Hellersdorf" innerhalb den  Zuständigkeitsbereichen der Fachabteilungen 

des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf

gemäß der Zuarbeiten aus den einzelnen Fachabteilungen

 

Fachabteilung

Stand der Auseinandersetzung

Abgeleitete Maßnahmen

Zusätzliches und

Empfehlungen

Infos Dritter

(unvollständig)

 

BildKultSport

·            Mai 2004: Gespräch mit den Verfasser/innen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

·            August 2004: Gespräch mit der Schulaufsicht und den Verfassern der Studie - Vorstellung und Diskussion zum weiteren Vorgehen

·            Anfertigung von schul- und bildungsrelevanten Auszügen

·            Entwicklung von Vorstellungen zum weiteren Umgang mit der Studie

·            Weiterleitung dieser Unterlagen an die Schulaufsicht

 

 

 

 

·            Die Verfasser/innen der Studien erhielten die Möglichkeit, die Ergebnisse der Studie den Schuleiter/innen vorzustellen

·            November 2004: Schulleiterberatung zur Vorstellung der Studie; Erteilung von Vorschlägen Handlungsoptionen für Lehrer/innen durch Stiftung SPI

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Siehe dazu Zwischenbericht und Einschätzung der Diskussionen des MBT Ostkreuz

 

Angebote in Schulen

 

·            NWS MITEINANDER: 

        Anti- Bias-Training

        Projekttage

 

·            BABEL e.V. Interkulturelles Schulprojekt,

Ländervorstellungen

        Projekttage

 

·            urban-consult gGmbH:

Projekt: ”Mobile interkulturelle Bildungs- und Aufklärungs-angebote (Lesungen,

        Ländervorstellungen,

        Projekttage)

 

·            MBT Ostkreuz:

        Best-Praxis-Beispiele

JugFam

·            August 2004: Vorstellung der Studie durch die Verfasser/innen im Jugendamt

·            Diskussion dazu mit dem Ziel, eine wirksame und zielorientier-te Auseinandersetzung mit dieser Problematik zu führen,

schwerpunktmäßig zur Fortsetzung des Sensibilisierungsprozesses auf der Alltagsebene, den Potenzen, die im Freizeitbereich liegen sowie zur Organisation erfahrungsorientiertem Lernen

 

·            Aktionsplan, Teil I:

-          Vorstellung der Kommunalanalyse in den Vernetzungsrunden der Regionen

-          Diskussion dazu in den Regionalteams des ASPD und der Jugendgerichtshilfe im FB 4, familienunterstüt-zende Hilfen

 

·            Bekanntmachung über die Vernetzungsrunden  eines von SPI erstellten Fortbildungska-lenders zu Themen, die im täglichen Umgang mit rechtsorientierten Jugendlichen in den Einrichtungen eine Rolle spielen

 

·            Vorstellung der Kommunalanalyse und Diskussion dazu Aug. –Sept.  in den Vernetzungsrunden der Regionen M-N, M-M, M-S, H-N, H-S, H-O unter Beteiligung der Vertreter aus dem FB 4

 

·            Verständigung mit dem MBT Ostkreuz zu weiteren Themendiskussionen, Team-auswertungsgesprächen, Fortbildungsveranstaltungen

 

·            Diskussion der Gruppenleiter der regionalen Sozialdienste

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

·             Weitere Schritte:

-          Auswertende Abschlußrunde

-          Planung eines Klausurtages

-          Antrag auf Vorstellung der Kommunalanalyse im Jugendhilfeausschuss

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

- Stärkere Konzentration auf die konkrete Problemwahrneh-mung vor Ort und Agieren in Abstimmung mit den Kooperationspartnern

Schule;

-  Präventionsbeauftragte der  Polizei, kommunale und freie Träger sind hier vorrangig einzubeziehen;

- Fortbildungen zur wirksamerer Argumentation;

- die Beteiligten bringen Anregungen aus der Diskussion in die Vernetzungsrunden

 

 

 

 

Siehe dazu Zwischenbericht und Einschätzung zu den Diskussionen des MBT Ostkreuz - dies betriff die Diskussionen in allen Bereichen:

- erheblicher Klärungsbedarf

  zur Problemwahrnehmung

-  Bedarf der Entwicklung einer

   Perspektivwechselfähigkeit

- Bedarf der Entwicklung einer

   Reflexionsfähigkeit

- Bedarf der Einbindung der

  Migrantenperspektive

-  Bedarf zur bereichs-                   

   bezogenen Fortschreibung

   der Handlungsempfehlungen

-  Bedarf einer ressortüber-

   greifenden Vernetzung von

   leistungsfähigen Strukturen

   in den unterschiedlichen

   Bereichen -

   Selbstschreibendes 

   Handlungskonzept -

   Bedarf der Zusammen-

   führung und Koordination

 

WirtSozGes

 

(Ges: Fehlmeldung)

WirtSoz:

 

August 2004: Beratung und Diskussion zur Kommunalanalyse von Vertretern des DPW, der Stadtteilzentren und der Verfasser/innen

 

 

·            Implizierung der Inhalte und Handlungsempfehlungen als immanenter Bestandteil der täglichen Stadtteilarbeit

 

·            Spezielle Aktionen sind dabei nur bei aktuellen Anlässen vorgesehen.

 

·            Das Angebot des ZDK, die Studie auch in anderen Runden vorzustellen und zu diskutieren wurde in den Stadtteilzentren bekannt gemacht

·             

 

 

 

 

·            Zusammenwirken aller demokratischer Parteien, Vereine, Verbände, Institutionen und demokratischer Initiativen

 

·            Bekenntnis der BVV

·            Leitbild zur bezirklichen Demokratieentwicklung (Lokale Agenda 21)

·            Querschnittsaufgabe für das Bezirksamt

·            Nutzung bestehender bezirklicher Strukturen zur Förderung der demokratischen Entwicklung

 

·            Ziel: bezirklicher Aktionsplan gegen Demokratiegefährdung und Rechtextremismus

 

·            Vorschulbereich: Vermittlung demokratischer Werte entspr. des Bildungsverständnisses des Berliner Bildungsprogramms

 

·            Schulischer Bereich:

        Systematische Fortset-

        zung gem. Auftrag des

        Berliner Schulgesetzes;

        Demokratiestärkende

        Umsetzung im jeweiligen

        Schulprogramm

 

·            Jugendarbeit

Politische Bildung als integraler Bestandteil von offener Kinder- und Jugendarbeit

 

·            Nutzung der Angebote von ZDK und MBT Ostkreuz auch in anderen Bereichen

 

 

ÖkStadt

Bezugnehmend auf Aussagen der Studie zu Grün- und Freiflächen Mitteilung über die Schnittstellen der Fachabteilung mit der Thematik und den Aufgaben für Revierarbeits-kräfte, Friedhofsgärtner.

Unterstützung durch NatUm einer Jugendinitiative, die auch von Bezirksverordneten unterstützt wird,  zur Pflege und Wiederherstellung nach wiederholter Zerstörung durch rechtsextreme Jugendliche des Peacezeichens  im Jelena-Santic'-Friedenspark , Realisierung einer stabileren baulichen Lösung.

 

 

 

WohnBau

BürgOrd

Mitteilung, dass die Thematik

keinen direkten Bezug zu den Belangen der Abt. WohnBauBürgOrd hat.

 

 

 

 

BzBm

 

Migranten-bereich

 

 

 

August 2004: Vorstellung der Studie und Diskussion dazu im Beirat für Migrant/innenangelegenheiten

 

 

 

·            Bildung einer AG des Beirates zur Erarbeitung eines Inputs zur Studie aus der Migrant/innenperspektive

 

·            Schaffung eines Arbeitskreises

"Initiative Qualität interkultureller  Arbeit"  als ein wichtiges Handlungsfeld gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus

 

 

 

Entwicklung eines bereichübergreifenden Verständnisses zur interkulturellen Arbeit als Handlungsfeld der Demokratieentwicklung

 

 

 

 
 

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Büro der Bezirksverordnetenversammlung

Leiterin:
Anne Nentwich, BVV L

Postanschrift:
12591 Berlin