Drucksache - DS/0242/IX  

 
 
Betreff: Kriterien für die Genehmigung von Wohnungskäufen nach § 172 Abs. 4 Satz 4 BauGB in den Gebieten mit Verordnungen zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Baugesetzbuchs ("Milieuschutzgebiete") imBezirk Lichtenberg
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BezirksamtBezirksamt
Verfasser:stellv. BzBm/BzStRStadtBüDArb 
Drucksache-Art:Vorlage zur KenntnisnahmeVorlage zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin Entscheidung
19.05.2022 
7. Sitzung in der IX. Wahlperiode der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin überwiesen   
Ökologische Stadtentwicklung, Mieter:innenschutz und Facility Management Entscheidung
23.06.2022 
11. Sitzung in der IX. Wahlperiode des Ausschusses Ökologische Stadtentwicklung, Mieter:innenschutz und Facility Management zur Kenntnis genommen (Beratungsfolge beendet)   

Sachverhalt
Anlagen:
VzK PDF-Dokument

Das Bezirksamt bittet die BVV, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen:

 

Das Bezirksamt hat beschlossen:

 

a)        in den drei festgelegten sozialen Erhaltungsgebieten nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB „Kaskelstraße“, „Weitlingstraße“ und „Fanningerstraße“ in Lichtenberg unterliegt die Teilung von Mietwohngebäuden zum Zwecke der Begründung von Wohnungseigentum gemäß § 172 Abs. 4 Satz 4 BauGB der erhaltungsrechtlichen Genehmigungspflicht. Eine Voraussetzung der Genehmigung stellt hierfür, gemäß § 172 Absatz 4 Satz 3 Nummer 6 BauGB, die Verpflichtung des Antragstellers dar, ab der Begründung von Wohnungseigentum, Wohnungen innerhalb von sieben Jahren nur an die jeweiligen Mieter:innen zu veräußern. Diese Verpflichtung durch den/die Antragsteller:in/Eigentümer:in wird, als Voraussetzung einer Genehmigung, per Grundbucheintrag dinglich gesichert.

Zur Veräußerung von Wohneinheiten vor Ablauf der besagten Frist von sieben Jahren, bedarf es der Erbringung von Nachweisen durch den/die Antragsteller:in, dass es sich bei dem/der Käufer:in gleichzeitig um den entsprechenden Bestandsmieter handelt. Ein geschlossenes Mietverhältnis, welches ausschließlich zum Zwecke der vermeintlichen Legitimation der Veräußerung der Wohneinheit geschlossen wurde („Reservierungsmietvertrag“) ist dabei gemäß Urteil des BVerwG vom 30.06.2004 (4 C 1/03) unzulässig. In einem solchen Falle ist nicht davon auszugehen, dass es sich um die durch die sozialen Erhaltungsverordnungen adressierten Bestandsmieter handelt.

Als Voraussetzung, dass es sich um einen Bestandsmieter und damit legitimen Käufer/Käuferin einer Wohneinheit vor Ablauf der besagten Frist von sieben Jahren handelt, gilt daher im Bezirk Lichtenberg, wenn:

 

  •    Wohnungskäufer seit mindestens zwei Jahren ein Mietverhältnis in dem Objekt begründet und dort ihren Lebensmittelpunkt (Hauptwohnsitz) verankert haben.

 

  •    Als Nachweis dieser Voraussetzung sind ein Mietvertrag nebst Mietzahlungsnach-
    weisen der letzten zwei Jahre, eine Meldebescheinigung sowie mindestens eine jährliche Betriebskostenabrechnung vorzulegen.

 

b) die Vorlage in der beiliegenden Fassung der BVV zur Kenntnis zu geben.

 

 

Anlage: Begründung der Kriterien für die Genehmigung von Wohnungskäufen nach § 172 Abs. 4 Satz 4 BauGB in den Gebieten mit Verordnungen zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Baugesetzbuchs („Milieuschutzgebiete“) im Bezirk Lichtenberg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anlage

 

Begründung für die Ausübung des Vorkaufsrechts
in sozialen Erhaltungsbieten

 

Mit der am 04. Februar 2020 in Kraft getretenen Umwandlungsverordnung steht in allen derzeitigen und zukünftigen sozialen Erhaltungsgebieten Berlins die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt. Damit soll die Mieterschaft geschützt und zugleich die Rechte der Eigentümer:innen berücksichtigt werden. Das Baugesetzbuch benennt im § 172 Abs. 4 die Fälle, in denen eine Genehmigung zu erteilen ist. Im Regelfall machen die Eigentümer:innen vom Ausnahmetatbestand des § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 BauGB Gebrauch. Dieser besagt, dass eine Genehmigung zu erteilen ist, wenn Eigentümer:innen sich verpflichten, „innerhalb von sieben Jahren ab der Begründung von Wohnungseigentum Wohnungen nur an die Mieter:innen zu veräußern“. Das Bezirksamt Lichtenberg lässt im Falle der Genehmigung nach der § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 BauGB obligatorisch eine Verfügungsbeschränkung in das Grundbuch eintragen und behält sich die Genehmigung für spätere Wohnungsverkäufe nach § 172 Abs. 4 Satz 3 BauGB vor.

Ziel des § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 BauGB ist, zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Verdrängung, der vorhandenen Mieterschaft eine Möglichkeit zum Verbleib in der Wohnung durch Erwerb einzuräumen. Unzweifelhaft sind daher Verkäufe an Bestandsmieter im Falle von Altmietverträgen zu genehmigen. Dagegen werfen später eingegangene Mietverhältnisse die Frage auf, ob und ab wann Bestandsmieter „Mieter:innen“ im Sinne des § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 BauGB sind.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat diese Frage bisher nur zum Teil entschieden. Hinsichtlich der Frage nach dem „Ob“ stellt es in seinem Urteil vom 30.06.2004 (4 C 1/03) zunächst klar, dass § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 BauGB auch zum Zeitpunkt der Erteilung der Umwandlungsgenehmigung leerstehende Wohnungen und später leerstehende Wohnungen durch Mieterwechsel erfasst. Eine präzise Festlegung der Mietdauer und weiterer Umstände erfolgte jedoch nicht.

Ohne eine abschließende Definition vorzunehmen, stellt das BVerwG fest, dass der Mieter-begriff des § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 BauGB nicht mit dem zivilrechtlichen Mieterbegriff des BGB gleichzusetzen ist. Die Regelung ergänze vielmehr die zivilrechtlichen Regelungen zum Mieterschutz: Ihre Zielrichtung bleibe jedoch städtebaulicher Natur, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu schützen. Der/die Mieter:in müsse Teil des zu schützenden Milieus sein. Das BVerwG stellt in dem genannten Urteil auch klar, dass nicht als Mieter:in im Sinne des § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 BauGB solche Personen anzusehen sind, „die die betreffende Wohnung zwar tatsächlich bewohnen, diese Nutzung aber mit Blick auf die in § 172 IV 3 Nr. 6 BauGB genannten Voraussetzungen nur aufgenommen haben, weil sie von vornherein einen käuflichen Erwerb der Wohnung beabsichtigten“. Da dies nicht entscheidungserheblich war, definierte das Gericht die weiteren Kriterien hierfür nicht näher.

Somit stellt sich für die Genehmigungspraxis die Frage, ab wann Mieter:innen als Teil des geschützten Milieus gelten können. Zum Schutz des Erhalts der Wohnbevölkerung muss dabei handlungsleitend im Sinne des § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 BauGB sein, der vorhandenen Mieterschaft, die im Milieuschutzgebiet heimisch ist, eine Möglichkeit zum Verbleib in der Wohnung durch Erwerb einzuräumen. Dabei gilt es auch zu verhindern, dass Mietverträge nur zum Schein abgeschlossen werden mit dem Ziel, die Wohnung zu einem späteren Zeitpunkt zu erwerben.

Ein wichtiges Element bei der Festlegung sozialer Erhaltungsverordnungen und der diesen vorausgegangenen Voruntersuchungen ist, dass eine zu schützende Wohnbevölkerung eine Bindung an das Quartier ausgeprägt hat (z.B. in sozialen Beziehungen untereinander und bezüglich der erforderlichen Infrastruktur). Hierbei kann grundsätzlich jeder neue Mieter und jede neue Mieterin Teil dieser Struktur werden. Mieter-Fluktuationen sind also möglich. Sie sind aber explizit nicht vom Schutz der Erhaltungsverordnung erfasst. Eine Bindung an das Quartier kann daher nicht allein durch einen Mietvertrag spontan erzeugt werden, sondern erfordert, dass man eine auf Dauer angelegte Nutzungsbeziehung aufgebaut hat. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn man einen relevanten Zeitraum selbst im Quartier mit Hauptwohnsitz gewohnt und im Laufe der Zeit entsprechende Beziehungen und Bindungen entwickelt hat. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist das erst nach zwei Jahren der Fall. Nach Ablauf dieses Zeitraumes lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen, dass man im Quartier verwurzelt ist und auch bleiben möchte, auch wenn es immer Lebensumstände wie z.B. der Verlust eines Arbeitsplatzes oder eine Familiengründung geben wird, die dazu führen können, die Wohnung wieder aufgeben zu müssen. Kürzere Verweildauern im jeweiligen Mietobjekt sind ein Anhaltspunkt dafür, dass man – wie es die moderne Arbeitswelt mitunter häufig erfordert – den Wohnsitz eher als Zwischenaufenthalt nutzt, was die Fluktuation im Quartier fördert, nicht jedoch dem Erhalt der Wohnbevölkerung zuträglich ist.

Im Interesse der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns erscheint daher die im Beschlusstext formulierte Festlegung als Ausfüllung des § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 und Satz 4 BauGB nach einzelnen Vorgaben des BVerwG geboten.

 

Anlage – Seite 1

 
 

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