Drucksache - DS/0435/VI
Das Bezirksamt wird ersucht der BVV
im III. Quartal 2008 einen Bericht vorzulegen, in dem die Ursachen für
Kinderdelinquenz dargelegt werden. Es sollen Maßnahmen vorgeschlagen werden,
von welchen Stellen, mit welchen Maßnahmen, in welcher Phase der kindlichen
Entwicklung diese Kinder und ihre Familien stärker unterstützt werden können.
In die Erarbeitung ist der Präventionsrat zur Kinder- und Jugenddelinquenz
einzubeziehen. Das Bezirksamt bittet die BVV Folgendes zur Kenntnis zu
nehmen: Kinderdelinquenz: Minderjährige bis zum vollendeten 14. Lebensjahr sind in der
Bundesrepublik für ihre Straftaten nicht verantwortlich (§ 19 StGB). Wenn
Kinder sich abweichend verhalten und gegen das geltende Strafrecht verstoßen,
spricht man daher gewöhnlich nicht von Kriminalität, sondern verwendet den
weniger stigmatisierenden Begriff der Kinderdelinquenz. Gemäß Jugendgerichtsgesetz (JGG) und Kinder- und
Jugendhilfegesetz (SGB VIII) wird auf dem Gebiet der Kinder- und
Jugendkriminalität nach verschiedenen Altersgruppen unter-schieden. Delinquente
Kinder sind Personen unter 14 Jahren, die gemäß § 19 StGB nicht bestraft werden
können. Ab Erreichen des 14. Lebensjahres bis unter 18 Jahren sind die
Jugendlichen bedingt strafmündig und unterliegen dem Jugendgerichtsgesetz
(JGG), d. h. dass Straftaten sowohl zur Anzeige als auch zur Verfolgung kommen.
Heranwachsende im Alter von 18 bis unter 21 Jahren sind prinzipiell
strafmündig. Auf die individuelle Entwicklung der Persönlichkeit wird Rücksicht
genommen. Sie können also wie Erwachsene bestraft werden, aber auch nach dem
JGG. Charakteristika und Formen Während ein Großteil der Erwachsenenkriminalität durch
ökonomische Überlegungen (geringer Aufwand, großer Ertrag) zustande kommt, ist
die Jugenddelinquenz meist ungeplant und weitgehend durch Rollenunsicherheiten
sowie der damit einhergehenden Anerkennungs- und Statusthematik bedingt. 2 Im Kindesalter können gelegentliche delinquente Handlungen
als normal, ja sogar als pädagogisch funktional erachtet werden: durch
entsprechende Zurechtweisungen lernt das Kind die Befolgung und Begründung von
Normen. Die Handlungen entstehen spontan und stehen in einem fließenden
Übergang zum Spiel. Folgende Typologie kindlicher Delinquenz ist in der
Literatur zu finden:
Während der erste Typus bedenkenlos ist und zahlenmäßig die
meisten Kinder umfasst, sind die folgenden drei Muster kindlicher Delinquenz
Ausdruck einer ernstzunehmenden Not, auf die es zu antworten gilt. Statistische Erhebungen Als Hauptdatenquelle dient die Polizeiliche
Kriminalstatistik (PKS). Anhand der PKS-Daten lassen sich einige interessante
Entwicklungen der Kinderdelinquenz aufzeigen. Es muss aber auch erwähnt werden,
dass die PKS lediglich Tatverdächtigenzahlen angibt, also nicht zwangsläufig
auch Zahl und Alter der wahren Täter. Aus den Untersuchungen zwischen 1993 und
2005 lassen sich drei Erkenntnisse ableiten: -
Die
Zahl der Tatverdächtigen geht seit 1999 zurück. -
Die
These von den immer jünger werdenden Tatverdächtigen lässt sich nicht
bestätigen. -
Die
Deliktstruktur ist zum überwiegenden Teil durch Bagatelldelikte geprägt. Paperpress (Jugend- und kommunalpolitischer Pressedienst)
Nr. 431 aus Februar 2008 (S. 6 ff.): „Aktuelle Zahlen zum Ausmaß der Jugendkriminalität
ergeben sich aus der Polizeilichen Kriminalstatistik 2006, die im Mai 2007
vorgelegt wurde. Grundsätzlich ist danach festzustellen, dass die
Jugendkriminalität in Deutschland seit Jahren stetig abnimmt.“ „Die Zahl der Tatverdächtigen hat sich in den vergangenen
Jahren kontinuierlich verringert.
… Die Zahl tatverdächtiger Kinder ist seit 1999 bis 2006 um 34,2 % gesunken.“ „…Von großer Bedeutung sind beim Entstehen von
Jugendkriminalität das sozial-ökonomische Umfeld der jungen Menschen (z. B.
Armut), die Familiensituation (z. B. Vernachlässigung, Missbrauchserfahrungen)
und persönliche, psychologische Faktoren (v. a. psychische Erkrankungen,
Selbstbewusstsein, soziale Kompetenzen der Jugendlichen).“ Die Polizei ist verpflichtet, Straftaten von Kindern an die
örtlich zuständigen Jugendämter zu melden. Vorerst kann nur auf diese Meldungen
an die Regionaldienste zugegriffen werden, die zwar hinsichtlich der Anzahl der
Straftaten relevant sind, aber keine Rückschlüsse auf die Art der Delikte
(Rohheitsdelikte, Diebstahl, Einbrüche, Sachbeschädigung, Brandstiftungen,
Erschleichen von Leistungen, Rauschgiftdelikte) zulassen. Aktuelle Daten aus
polizeilichen Statistiken liegen nicht vor. 3 Eine Abfrage der Meldungen im Jugendamt Lichtenberg Ende
Dezember 2007 ergab folgende Zahlenwerte:
Von Seiten des Landeskriminalamtes liegt die schriftliche
Bestätigung vor, dass für den Bezirk Lichtenberg kein kindlicher Intensivtäter
registriert ist. Das vorliegende Zahlenmaterial aus den Regionalen Diensten
lässt erkennen, dass in den räumlich großen Regionen 1 und 4 weniger Meldungen
vorliegen als in den räumlich kleineren. Wir gehen davon aus, dass es
Schwerpunktgebiete gibt, in denen es zu delinquenten Handlungen von Kindern
kommt. Die Kriminalitätsbelastung delinquenter Kinder im Alter unter 14 Jahren
liegt im Bezirk deutlich unter dem Berliner Durchschnitt. Diese Zahl muss
aufmerksam machen, ist aber nicht besorgniserregend. Reaktionen in Berlin auf das Thema Kinderdelinquenz: Bereits 2004 wurde mit einem Rundschreiben der
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport darauf aufmerksam gemacht, dass
dieses Thema im Interesse aller Eltern und Fachleute eine Vernetzung der
Bereiche braucht. Das RS Jug Nr. 3/2004 - Aufgaben der Jugendhilfe im Rahmen
der Prävention krimineller Karrieren und beim sachgerechten Umgang mit jungen
Intensivtätern gibt dazu Hinweise und Anregungen für Maßnahmen. Im August 2007 wurde in der Senatsverwaltung für Bildung,
Wissenschaft und Forschung in der Abteilung III - Jugend - das Referat III G
Kinder- und Jugenddelinquenz geschaffen. Seit April 2008 ist der Bereich
„Gewaltprävention und Krisenintervention an Schulen“ nun
Bestandteil dieses Referates (Bericht aus umsichten/ SPI). Maßnahmen des Jugendamtes Lichtenberg: Aus dem Rundschreiben Jug Nr. 3/2004 wurden folgende
Anregungen übernommen: Das Jugendamt organisiert einen regelmäßigen Informations-
und Erfahrungsaustausch über die Kinder- und Jugenddelinquenz in seinem Bezirk
mit dem Ziel einer regelmäßigen gemeinsamen Lagebeurteilung zur Kinder- und
Jugenddelinquenz. Ø Im Jahr 2005 wurde der Lichtenberger
Präventionsrat zur Kinder- und Jugenddelinquenz gegründet, der seither zweimal
jährlich zu bestimmten Schwerpunktthemen tagt. Ø Anregungen zur Kooperation zwischen
Jugendhilfe und Polizei finden sowohl im Rahmen des Kinderschutzes über die
Regionalleiterinnen und die im Jugendamt 4 tätigen
Kinderschutzkoordinatorinnen wie auch mit den SozialarbeiterInnen der
Jugendgerichtshilfe statt. Ø Das im RS erwähnte Projekt
„Fallschirm“ für nicht strafmündige Intensiv- und Mehrfachtäter
wird in Einzelfällen genutzt. Ø Die Kooperation zwischen den
Bereichen Jugendhilfe und Schule hat sich intensiviert und wurde insbesondere
im Vorgehen bei Schuldistanz und Kindeswohl-gefährdungen mit regional
abgeschlossenen Vereinbarungen untersetzt, die in der Folgezeit für alle Schultypen
erweitert werden. Ø Die Empfehlung für die Erprobung
sozialräumlich orientierter Modellprojekte an der Schnittstelle zwischen
offener Jugendarbeit und HzE wurde in Lichtenberg durch die Installation der
sog. PAZI-Projekte (Präventive Angebote zur Integration von jungen Menschen und
ihren Familien in Vorfeld von formalen Hilfen zur Erziehung) seit 2006
umgesetzt. Ø Eine bezirksbezogene Auswertung der
Polizeilichen Kriminalstatistik jeweils täter- und tatortbezogen soll künftig
über die Jugendhilfeplanung im Bedarf konkretisiert werden. Ø Die Leitlinien für
Familienunterstützende Hilfen (DS/1596/V aus 8/2006) treffen wesentliche
Aussagen zur Prävention unter den Aspekten Stärkung von jungen Menschen, von
Familien und von sozialer Nachbarschaft sowie zur Kooperation mit der Schule.
In den Kernaussagen ging es dabei um Achtung der Persönlichkeit von Kindern;
Kooperation und Vernetzung z. B. bei Familienbildung im Vorfeld von HzE; stärkere
Nutzung sozialräumlicher Potentiale zur Unterstützung von Familien und Schaffung
lokaler Netzwerke. Ø Teilprojekt Kinder- und
Jugenddelinquenz im Jugendamt Lichtenberg im 1. Halbjahr 2007: Bedingt durch die Zuordnung der
Jugendgerichtshilfe zu den einzelnen Regionaldiensten wurde in gemeinsamer
Beratung von Vertretern des Regionalen Sozialdienste und der
Jugendgerichtshilfe über die Schnittstellen der beiden Arbeitsbereiche
entschieden. Vorteile der Zusammenlegung sind der intensivere Austausch von
Informationen und das bessere Kennenlernen der Aufgaben der einzelnen Mitarbeiterinnen
wie auch die Verbesserungen in der Absprache zur Kooperation im Einzelfall.
Regionaldienste und Jugendgerichtshilfe kooperieren bei Anzeichen von
Gefährdung und insbesondere im Übergang in die Strafmündigkeit. Ø Runder Tisch zur Suchtprävention
Lichtenberg im April 2008 unter dem Thema: Auffällige Jugendgruppen im
öffentlichen Raum Dabei gab es Hinweise zu konkreten Treffpunkten
von Kindern in der Altersgruppe 10 bis 13 Jahre und beobachtetem Alkoholkonsum
von Kindern bereits ab dem 11. Lebensjahr, teilweise in Begleitung der Eltern.
Folgende Strategien wurden beraten: aktive Arbeit der Straßensozialarbeiter; Workshops
zur Suchtprävention bereits in Grundschulen; Meldungen alkoholisierter Kinder
und Jugendlicher durch Polizei oder Ordnungsamt an das Jugendamt. Fortbildungen
für Lehrer und Erzieher; Suchtprävention als Thema für Elternabende; Auswertung
der Strategie am Nöldnerplatz aus dem Sommer 2007 und Prüfung der Anwendung in
anderen Bereichen. Ø Elternbriefe an bei riskantem
Alkoholverhalten von Kindern und Jugendlichen Seit 2007 werden Eltern über
polizeiliche Meldungen zu alkoholisierten Kindern oder Jugendlichen durch das
Jugendamt mit einem Brief informiert und erhalten zugleich Beratungsangebote;
Kopie geht an die regional zuständigen SozialarbeiterInnen zur Prüfung von
möglichen Gefährdungsmomenten. Arbeitsweise des Jugendamtes bei Meldung durch die
Polizei: Im Jugendamt Lichtenberg gehen Meldungen der Polizei zu
deliktischen Handlungen von Strafunmündigen generell in den Regionaldiensten
ein. Die SozialarbeiterInnen prüfen in 5 ihrer regionalen Zuständigkeit im Einzelfall, ob ein
Beratungsangebot für die Eltern, eine Hilfe zur Erziehung in bereits bekannten
Familien oder eine Abprüfung möglicher Kindeswohlgefährdung zu realisieren sind.
Die neue Struktur der Regionalen Dienste erlaubt einen effektiveren fachlich- inhaltlichen
Austausch zwischen regional zuständigen SachbearbeiterInnen, den SozialarbeiterInnen
der Jugendgerichtshilfe und den Stadtteil-koordinatorinnen. Dadurch entsteht
ein deutlicheres Bild sowohl zu den Erscheinungen der Kinderdelinquenz wie auch
zu möglichen Präventionsstrategien. Beteiligung des Präventionsrates an den Erhebungen
zum Thema: Der Präventionsrat zur Kinder- und Jugenddelinquenz befasste
sich im April 2008 mit dem Thema Kinderdelinquenz. Der Zwischenbericht des
Jugendamtes aus Januar 2008 zur DS und der nachfolgende Erfahrungsaustausch
ließen den Rückschluss zu, dass die anwesenden Vertreter aus verschiedenen
fachlichen Bereichen mit dem Thema bereits vertraut sind und in ihren Bezügen
die Entwicklungen verfolgen. Eine Verschlechterung der Situation im Abgleich
mit den Vorjahren wurde nicht beobachtet. Insbesondere die bereits angelaufenen
Kooperationsbeziehungen der Fachbereiche untereinander sind darauf
ausgerichtet, schnell auf Veränderungen reagieren zu können. Abschließend sollen Auszüge aus einer Fachtagung im Dezember
2004 zum Thema: „Die Straftat als Hinweis auf erzieherischen Bedarf?
Pädagogik und Konsequenz im Umgang mit Kinderdelinquenz“ Erwähnung
finden: „Zunächst: Für die Altersgruppe der 10- bis
13-Jährigen ist die zentrale Bedeutung der Eltern als Sozialisationsinstanz
noch unbestritten. Und sie sind auch von Rechts wegen diejenigen, die an erster
Stelle gefordert sind, wenn es darum geht, Delinquenzverhalten oder gar
Delinquenzkarrieren ihrer Kinder zu verhindern.“ „Das Thema Kinderdelinquenz ist - ganz unabhängig von
den Debatten hierüber - weder für Polizei, soziale Arbeit, noch für
Kriminologie und Sozialwissenschaften ein unbekanntes Thema … Delikte im
Kindesalter sind vor allem der einfache Diebstahl in seinen verschiedenen
Formen (vor allem Ladendiebstahl), Sachbeschädigung sowie Körperverletzung
(tätliche Auseinandersetzung unter Kindern). Es nimmt vor diesem Hintergrund
nicht wunder, dass ein zentrales Ergebnis unserer Berliner Untersuchung war,
dass Kinderdelinquenz weder für die Polizei noch für die Jugendämter einen
hervorgehobenen Stellenwert ihrer Tätigkeit bildet. ... Nach unserer Auswertung
von über 1.000 polizeilichen Meldungen an Jugendämter in Berlin … bezogen
sich über drei Viertel der Ladendiebstahlsdelikte auf einen Warenwert von bis
zu 20 DM, … so dass hier wohl vor
allem der Kitzel der verbotenen Tat, Mutprobe und die Wahrnehmung von
Gelegenheit ausschlaggebende Momente waren.“ „Kinderdelinquenz stellt nach allen vorliegenden
Untersuchungen keine „Einstiegs-kriminalität“ dar. In der
überwiegenden Mehrzahl aller Fälle werden tatverdächtige Kinder nur einmal von
der Polizei registriert, ihre Delinquenz bleibt Episode und wiederholt sich
auch im Jugendalter nicht.“ Berlin, den
Emmrich Räßler-Wolff Bezirksbürgermeisterin Bezirksstadtrat |
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Legende
Ausschuss | Tagesordnung | Drucksache | |||
Bezirksparlament | Aktenmappe | Drucksachenlebenslauf | |||
Fraktion | Niederschrift | Beschlüsse | |||
Kommunalpolitiker | Auszug | Realisierung | |||
Anwesenheit | Kleine Anfragen |