Auszug - Schwerpunktthema & Antrag: Periodenarmut  

 
 
45. Sitzung in der VIII. Wahlperiode des Ausschusses Gleichstellung und Inklusion
TOP: Ö 6
Gremium: Gleichstellung und Inklusion Beschlussart: erledigt
Datum: Mi, 02.06.2021 Status: öffentlich
Zeit: 19:00 - 21:55 Anlass: ordentliche Sitzung
Raum: - Videokonferenz -
Ort:
 
Wortprotokoll

Den Input gibt Frau Haas-Krahé, die Leiterin des Bürgertreffs Gemeinsam im Kiez leben. Zum Schwerpunktthema sowie zum vorliegenden Antrag Periodenarmut in Lichtenberg bekämpfen (vgl. Anhang) führt sie insbesondere Folgendes aus:

  • Sensibilisierung durch Berichte über kostenfreie Hygieneartikel.
  • Lichtenberg hat einen hohen Anteil von Armut betroffener Frauen, für die auch das Thema Periodenarmut relevant ist.
  • Es handelt sich um ein schambehaftetes Thema.
  • Rd. 30 % der Menstruierenden haben schon einmal die Schule / Arbeit verpasst, weil sie sich die Hygieneartikel nicht leisten konnten.
  • Nach Schätzungen geben Frauen im ganzen Leben 20.000 € für Hygieneartikel aus. Menstruationsartikel kosten im Durchschnitt 15 € monatlich.
  • Der Satz für Hygieneartikel beträgt für Bezieher*innen von ALG II 17,02 € / Monat für Hygieneartikel – unabhängig vom Geschlecht. Hier liegt eine Geschlechterungerechtigkeit vor.
  • Alternativ werden oft unhygienische Maßnahmen ergriffen, es kommt zu psychischen Problemen und sozialen Einschränkungen.
  • Rd. 65 % der Menstruierenden haben schon einmal eine Verabredung abgesagt, weil sie während ihrer Periode keine Hygieneartikel zur Verfügung hatten.
  • Angesichts der Datenlage ist es schwer, Bedarfe zu eruieren.
  • Forderung: Der Bezirk setzt sich dafür ein, Ungleichheit auf kommunaler Ebene zu kompensieren und in öffentlichen Einrichtungen kostenlose Hygieneartikel zur Verfügung zu stellen.
  • Das wäre ein Aushängeschild für den Bezirk.
  • Verweis auf nationale und internationale Beispiele.

 

In der anschließenden Diskussion spricht sich Frau Dr. Ingenbleek (Fraktion SPD) für den Antrag aus und verweist auf eine zurückliegende Drucksache hierzu, die als ein Ergebnis der Jugend-BVV auf gemeinsame Initiative dieses Ausschusses mit den Ausschüssen Schule und Sport sowie Gesundheit in die BVV eingebracht wurde. Sie bedauert, dass sich diese Beschlussempfehlung nicht durchsetzen konnte und betont, dass es daher wichtig sei, hier noch einmal nachzuhaken. Sie bedankt sich ausdrücklich für den Vorstoß. 

 

Herr Teichert (Fraktion CDU) findet das Anliegen grundsätzlich wichtig, plädiert aber dafür, die Umsetzung ordentlich zu steuern und den Antrag zu präzisieren: Welche Artikel sollen für wen ausgegeben werden? Es handelt sich um ein sensibles Thema, zu dem die Bedarfe noch einmal erhoben werden sollten.

 

Frau Köpke (Frauenbeirat) äußert sich positiv zum vorliegenden Antrag. Das galt auch schon damals für den Antrag im Nachgang der Jugend-BVV. Für alle Frauen, die darauf angewiesen sind, ist das ein wichtiges, schambehaftetes Thema. Sie plädiert hinsichtlich der Umsetzung für eine nachhaltige und umsichtige Vorgehensweise und für die Vermeidung weiterer Barrieren.

 

Herr Eisenhardt (Fraktion AfD) lehnt den Antrag ab. Er bezweifelt, dass 15 €/mtl. für den Menstruationsbedarf zu veranschlagen sind.

 

Aufgrund technischer Probleme ist die Sitzung von 20:25 Uhr bis 20:34 Uhr unterbrochen.

 

Frau Ehlers (BVO Bündnis 90/Die Grünen) findet den Antrag trotz unterschiedlicher Herangehensweisen sinnvoll, da alles, was man anbietet, einen Fortschritt darstellt. Das Angebot sollte barrierefrei auf Toiletten erfolgen. Sie plädiert dafür, dass der Ausschuss den Antrag jetzt beschließt, damit er noch in dieser Wahlperiode im Ausschuss Haushalt und Personal beraten werden kann.

 

Herr Mohr (BD DIE LINKE.) unterstützt das Ersuchen im Interesse der Geschlechtergerechtigkeit. Er fragt sich jedoch, warum das Thema Müllproduktion im Antrag nicht thematisiert wird.

 

Herr Füllgraff (Fraktion DIE LINKE.) findet den Antrag eigentlich gut, befürchtet aber, dass wir als Bezirk nur eine Symbolhandlung vollziehen, die verpufft. Unter Bezugnahme auf den früheren Antrag stellt er den Bedarf infrage. Er plädiert dafür, das Thema breiter aufzustellen und zur Sensibilisierung beizutragen.

 

Herr Andre (Fraktion SPD) regt an, das Angebot bekannt zu machen und zu bewerben.

 

Herr Drobisch (Fraktion CDU) befürwortet die Intention, stellt aber die Frage, ob das Angebot für alle Menstruierenden gelten soll oder nur für Bedürftige. Aus seiner Sicht sind noch Details zu klären und man sollte die Überschrift ggf. ändern.

 

Frau Haas-Krahé bedankt sich für die positiven Rückmeldungen und reagiert u.a. folgendermaßen auf Fragen und Anmerkungen:

  • Kosten 15 €/Monat sind als Durchschnittswert mit individuellen Unterschieden zu sehen.
  • Sie kennt die frühere Drucksache und hat weiterhin den Eindruck, dass Bedarf da ist.
  • Das Thema ist schambesetzt, so dass oftmals nicht darüber geredet wird.
  • Die Steuerung der Umsetzung ist wichtig.
  • Enttabuisierung und Aufklärungsarbeit könnte z.B. durch einen entsprechenden Aufruf an die Stadtteilzentren und Jugendfreizeiteinrichtungen erfolgen.
  • Öffentliche Gebäude sollten mit Hygieneartikeln ausgestattet werden. Dabei sind Binden und Tampons am effektivsten.
  • Man sollte sich von dem Gedanken verabschieden, dass nur arme Menschen von der Thematik betroffen sind.
  • Anregung: Pilotprojekt, das dann evaluiert wird.

 

Der Ausschussvorsitzende, Herr Hoffert (Fraktion DIE LINKE.), fragt nach, ob bezüglich des vorliegenden Antrags noch Modifikationsbedarf besteht.

 

Herr André (Fraktion SPD) regt die Einbeziehung einer Formulierung bzgl. der Bekanntmachung an.

 

Herr Hoffert (Ausschussvorsitzender, Fraktion DIE LINKE.) unterstützt den Antrag voll und ganz und regt eine wissenschaftliche Begleitung zur Erhebung valider Daten an. Er sieht die Initiative als Chance für das Bezirksamt.

 

Frau Haas-Krahé sieht eine durch Pressearbeit begleitete Umsetzung als großes Aushängeschild für den Bezirk. Hinsichtlich der Überschrift hängt sie nicht am Begriff der Periodenarmut, der aber weltweit analog verwendet wird.

 

Herr Eisenhardt (Fraktion AfD) kann mit dem Begriff „Periodenarmut“ nichts anfangen und findet das Anliegen nicht sinnvoll, da Männer und Frauen nun mal unterschiedlich seien. Frauen müssen seiner Ansicht nach in der Lage sein, sich selber darum zu kümmern, sonst haben sie ihm zufolge auch andere Probleme.

Der Ausschussvorsitzende, Herr Hoffert (Fraktion DIE LINKE.), weist die Äußerungen von Herrn Eisenhardt als menschenverachtend zurück und betont, dass er so etwas im Ausschuss als Vorsitzender nicht hören möchte.

 

Herr Heilmann, stellv. Vorsitzender des Bezirksbeirats von und für Menschen mit Behinderungen, regt im Sinne der Transparenz an, die Orte, in denen kostenfreie Hygieneprodukte zur Verfügung gestellt werden, z.B. digital verzeichnen.

 

Herr Füllgraff (Fraktion DIE LINKE.) weist die Äußerung von Herrn Eisenhardt ebenfalls zurück. Zur Umsetzung der Initiative schlägt er die Aufstellung von Automaten vor. Diese wären für die Zielgruppe leicht erreichbar, aber weniger leicht Ziel von Vandalismus. Er verweist auf die mögliche Rolle von Stadtmüttern.

 

Frau Ehlers (BVO Bündnis 90/Die Grünen) betont noch einmal, dass es wichtig sei, dass der Ausschuss heute über den Antrag abstimmt, damit er noch in dieser Wahlperiode zur Umsetzung gelangen kann.

 

Frau Köpke (Frauenbeirat Lichtenberg) weist darauf hin, dass das Thema am folgenden Tag auch in der Sitzung des Frauenbeirats thematisiert wird.

 

Frau Dr. Ingenbleek (Fraktion SPD) spricht sich ebenfalls dafür aus, heute über den Antrag abzustimmen, da hierzu mit Ausnahme einer Fraktion Konsens bestehe. Bezüglich des Titels plädiert sie dafür, dem Votum von Frau Haas-Krahé zu folgen.

 

Frau Haas-Krahé merkt an, dass die Überschrift aus ihrer Sicht dem Vorschlag von Herrn Drobisch folgend verändert werden könne: „Freier Zugang zu Menstruationsartikeln in Lichtenberg“. Sie verliest daraufhin auf Bitte des Ausschussvorsitzenden den Antrag, der als Beschlussempfehlung des Ausschusses in die BVV eingebracht werden soll, wie besprochen in folgendem Wortlaut:

 

Freier Zugang zu Menstruationsartikeln in Lichtenberg

 

Das Bezirksamt wird ersucht, kostenlose Menstruationsartikel in WCs von öffentlichen Gebäuden (Behörden, Ämter, Museen), Schulen, Volkshochschulen, Jugend- und Stadtteilzentren etc. bereit zu stellen und das Angebot bekannt zu machen.

 

Begründung:

Noch immer ist das Thema Periode / Menstruation ein sehr schambehaftetes Thema und es fehlen die genauen Zahlen und Untersuchungen zu dem Thema in Deutschland gänzlich. Dennoch gibt es Schätzungen, dass 30 % der Menstruierenden in Deutschland schon mal die Schule oder die Arbeit wegen der Periode verpasst haben (vgl. Essentials Survey 2020 Market Specific Results: Germany) und 65 % deswegen schon einmal ihre Verabredung storniert haben (vgl. www.merita.care).

Etwa 500 Mal im Leben menstruieren Frauen. Die Periode lässt sich nicht beeinflussen. Sehr oft kommt sie überraschend und sehr oft benötigen Frauen und Mädchen Hygieneartikel in den unpassendsten Situationen: In der Schule vor einem wichtigen Referat oder vor einem konfliktreichen Arbeitsgespräch. Leider gehören Hygieneartikel nicht zur Standardausstattung in WCs von öffentlichen Gebäuden, Schulen oder anderen Einrichtungen, auf die man verlässlich zurückgreifen könnte, wenn man überrascht wird oder das Geld nicht reicht für den Kauf von Hygieneartikeln. Denn Fakt ist, dass der ALG-II-Regelsatz (ab Januar 2021) einer alleinstehenden oder alleinerziehenden Person für den Einkauf von Gesundheits- und Pflegeartikeln pro Monat 17,02 € bei einem Gesamtsatz von 446 € beträgt. Menstruationsartikel kosten im Durchschnitt 15 € monatlich, bleiben also 2,02 € für Zahnpasta, Duschgel etc.

Diese Problematik nennt man Periodenarmut. Etwa 12 % der Frauen und Mädchen, die wegen der Periode die Schule oder Arbeit verpassen mussten, konnten sich diese Produkte finanziell nicht leisten (Quelle: Essity Hygiene and Health Report 2020).

Oftmals behelfen sich diese Frauen dann mit Socken, Stoffresten, Toilettenpapier. Also unhygienischen Maßnahmen, die zu toxischen Schockreaktionen führen können oder anderweitig gesundheitsgefährdend sind, aber auch soziale Einschränkungen und psychische Probleme zur Folge haben.

Es gibt schon gute Beispiele: In Schottland, Neuseeland, aber auch in Hamm (NRW) werden nun Automaten in öffentlichen Gebäuden, Schulen und Jugendzentren angeboten, so dass sich menstruierende diese Produkte gratis und ohne Scham abholen können. Seit dem 28.05.2021 werden alle weiterführenden Schulen in Bochum mit kostenfreien Periodenartikeln ausgestattet.

Wir möchten, dass Lichtenberg diesen Beispielen folgt und als Vorreiter Menstruationsartikel in öffentlichen Gebäuden und sozialen Einrichtungen kosten- und schamfrei zur Verfügung stellt. Dadurch kann er auf kommunaler Ebene einen großen Schritt in Richtung Geschlechtergleichheit gehen und Frauen und Mädchen im Alltag mit konkreter Unterstützung stärken.

Denkbar ist es auch, das Vorhaben nach einem Jahr zu evaluieren. Dafür könnte der Bezirk Lichtenberg eine Kooperation mit einer Hochschule anstreben, die dann sowohl Daten eruiert als auch Kosten und reelle Bedarfe vergleicht.

Abstimmungsergebnis: 9 - 2 – 0 (Ja – Nein – Enthaltung)

 

Zusätzlicher Hinweis: Im Nachgang der Sitzung stimmt der Ausschuss im Umlaufverfahren über die Dringlichkeit der Drucksache ab.

Begründung der Dringlichkeit: Im September finden die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen statt. Als Lichtenberger Ausschuss für Gleichstellung & Inklusion möchten wir noch in dieser Legislaturperiode ein deutliches Zeichen gegen Armut und für die Gesundheit von Frauen und für Gleichstellung setzen.

Abstimmungsergebnis (Dringlichkeit): 5 - 1 - 0 (Ja – Nein – Enthaltung)

 

Ausdruck vom: 07/12/2021

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Anlagen:  
  Nr. Name    
Anlage 1 1 Periodenarmut_Antrag (15 KB) PDF-Dokument (48 KB)    
 
 

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