Drucksache - DS/0060/VI  

 
 
Betreff: Anerkennung von Zertifikaten im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderung durch das Jobcenter und der IHK
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:B'90 Die GrünenB'90 Die Grünen
Verfasser:Schmidt-Stanojevic, JuttaSchmidt-Stanojevic, Jutta
Drucksache-Art:Mündliche AnfrageMündliche Anfrage
Beratungsfolge:
BVV Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin Vorberatung
26.01.2022 
Öffentliche Sitzung der BVV Friedrichshain-Kreuzberg schriftlich beantwortet     

Beschlussvorschlag

Ich frage das Bezirksamt:

1)       Inwieweit werden die Zertifikate die Menschen mit Behinderung im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderung erworben haben von den Jobcentern und der IHK als Ausbildungsnachweis anerkannt?

 

 

Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin

Abt. Arbeit, Bürgerdienste und Soziales

Stellvertretender Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat

 

 

Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

  1. Inwieweit werden die Zertifikate die Menschen mit Behinderung im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderung erworben haben von den Jobcentern und der IHK als Ausbildungsnachweis anerkannt?

 

In der Arbeitsvermittlung des Jobcenters werden regelmäßig Kunden*innen identifiziert, bei denen wegen Art und Schwere der Behinderung die Erwerbsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Dieser Umstand wird anhand eines Ärztlichen Fachgutachtens durch den Amtsarzt festgestellt. Diese Personen sind nicht (mehr) in der Lage, mindestens drei Stunden am Tag reguläre Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.

 

Als Alternative wird diesen Menschen mit Behinderung empfohlen, eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) aufzunehmen, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen. Das Jobcenter unterstützt den Übergang in eine WfbM, in dem es die Kunden*innen diesbezüglich berät und den Kontakt zum zuständigen Rehabilitationsträger, die Agentur für Arbeit Berlin Mitte, herstellt. Nach Eingang in die WfbM endet die Zusammenarbeit des Kunden*in mit dem Jobcenter in der Arbeitsvermittlung.

 

Die Regelverweildauer in einer WfbM beträgt 27 Monate (1 x 3 Monate + 2 x 12 Monate) und läuft in folgenden Phasen ab:

 

  • Aufnahme des Menschen in die WfbM (dokumentiertes Aufnahmegespräch)
  • Dreimonatige Eingangsphase (Eingangsbereich, auf welchen WfbM Arbeitsplatz passt die Person?)
  • Erstes „Beschäftigungsjahr“ im Berufsbildungsbereich (Zwischenbericht)
  • Zweites „Beschäftigungsjahr“ im Berufsbildungsbereich (Abschlussbericht)
  • Abschlussgespräch, um die zukünftigen Einsatzmöglichkeiten mit der Person zu besprechen (Ziel ist der erfolgreiche Übergang in den Arbeitsbereich der WfbM)
  • Übergang in den Arbeitsbereich (intern oder extern)

 

Nach der dreimonatigen Phase im Eingangsbereich und nach den zwei Beschäftigungsjahren im Berufsbildungsbereich werden durch die WfbM ausführliche Berichte angefertigt. In den Berichten erfolgt eine individuelle Leistungs- und Verhaltensbeurteilung. Zusätzlich werden in diesen Berichten die Kompetenzen aufgeführt, die die Person in der Zeit erlernt hat. Die Berichte lassen Rückschlüssen zu, in welchen zukünftigen Arbeitsbereichen die Person beschäftigt werden kann. Es wird möglichst sukzessive auf einen konkreten Einsatz in der Zukunft hingearbeitet. Nach Ende der 27 Monate wird die behinderte Person innerhalb der WfbM in den Arbeitsbereich integriert.

 

Zur abschließenden Beantwortung der Ausgangsfrage ist es wichtig, zwei Konstellationen voneinander zu trennen:

 

  1. Die behinderte Person ist und bleibt in einer WfbM beschäftigt:

 

Da es sich bei Menschen, die in einer WfbM beschäftigt werden um Menschen handelt, die aufgrund ihrer vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen keine Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben können (fehlende Erwerbsfähigkeit), ist davon auszugehen, dass in der WfbM keine Tätigkeiten verrichtet werden, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwertbar wären. Ggf. durch die WfbM ausgestellte Tätigkeitsnachweise oder Teilnahmebescheinigungen (Zertifikate) haben keine unmittelbare Relevanz für das Jobcenter, weil diese Menschen gar nicht mehr im Jobcenter in der Arbeitsvermittlung betreut werden. Der zweijährige Einsatz einer behinderten Person im Berufsbildungsbereich einer WfbM wird im allgemeinen Sprachgebrauch oft als „Ausbildung“ bezeichnet. Jedoch findet keine Ausbildung im eigentlichen Sinne statt. In einer WfbM werden keine Ausbildungsinhalte laut Berufsbildungsgesetz (BBiG) gelehrt. Es werden ausschließlich einfache Anlerntätigkeiten auf Helferniveau verrichtet.

 

  1. Die behinderte Person verlässt eine WfbM und möchte wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden

 

Die Arbeit in einer WfbM führt in einigen Fällen dazu, dass die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit einer behinderten Person wiederhergestellt werden kann. Im Anschluss ist es möglich, dass diese Person die Aufnahme einer regulären Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anstrebt. Die Wiederaufnahme in die Arbeitsvermittlung des Jobcenters setzt voraus, dass ein neu erstelltes Ärztliches Gutachten bescheinigt, dass die Erwerbsfähigkeit wieder vorliegt und die Person in der Lage ist, mindestens 3 Stunden täglich einer Arbeit nachzugehen. Ist dies der Fall, erfolgt in der Arbeitsvermittlung des Jobcenters ein Erstgespräch und die Erstellung eines Profilings. Es schließt sich ein Prozess der beruflichen (Neu-) Orientierung mit dem Ziel an, einen passenden und leidensgerechten Zielberuf für die Person zu finden. Ggf. ist der Einsatz von Arbeitsmarktinstrumenten (u.a. Maßnahmen zur Orientierung oder Qualifizierungen) erforderlich. Die berufliche Orientierung basiert auf den vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen der Person. Diese können z.B. aus den durch die WfbM angefertigten Berichten entnommen werden. An dieser Stelle fänden Zertifikate und/oder Teilnehmerberichte Berücksichtigung im Integrationsprozess. Die Anrechnung der Beschäftigungszeiten auf eine spätere reguläre Berufsausbildung laut BBiG für z.B. eine Verkürzung der Ausbildungszeit kann rechtlich nicht erfolgen.

 

Fazit:

 

Menschen mit Behinderungen, die im Berufsbildungsbereich einer WfbM beschäftigt werden, erwerben keine Qualifikationen laut BBiG. Erworbene Zertifikate können daher nicht im späteren Verlauf einer Integrationsplanung (außerhalb einer WfbM) berücksichtigt werden.

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Oliver Nöll

 

 
 

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