Auszug - Besprechung zur Situation vor Ort mit den fachkundigen Gästen  

 
 
Öffentliche Sitzung des Ausschusses für Soziales, Arbeit und Gesundheit (SAG)
TOP: Ö 4.1
Gremium: Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit Beschlussart: erledigt
Datum: Mi, 11.10.2023 Status: öffentlich
Zeit: 18:00 - 21:04 Anlass: ordentliche Sitzung
Raum: EXTERN / außer Haus (exakte Ortsangabe siehe Einladung)
Ort:
 
Wortprotokoll

Im allseitigen Einvernehmen werden die Unterpunkte 4.1 und 4.2 gemeinsam beraten und die Abstimmung zur Drucksache 0797/VI sodann an das Ende der Beratung gestellt.

Der Ausschuss begrüßt die Staatssekretärin für Gesundheit und Pflege, Frau Ellen Haußrfer, sowie als Vertreter*innen des Vivantes Klinikums am Urban (KAU) die Geschäftsführende Direktorin Frau Pia Gabel, den Standortkoordinator Herrn Volker Morath, den stellvertretenden Pflegedirektor Herrn Edwin Emilio Velasquez Lecca sowie die Leitende Oberärztin des Bereichs Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Frau Dr. Karolina Leopold.

Staatssekretärin Haußrferhrt einleitend aus, dass ihr als ehemalige Bezirksverordnete die kommunale Ebene wichtig sei. Sie wolle daher ab 2024 stadtweit Bezirksbesuche machen.
Sie ist Amtschefin der Senatsverwaltung und daher auch für Personalangelegenheiten zuständig.

Als zuständige Staatssekretärin habe sie vor ca. 2 Wochen das KAU erstmalig besucht. Die dortigen Problemlagen seien eines der ersten bezirklichen Themen, das sie seit Amtsantritt erreicht habe.

Es müsse in der aktuellen Situation zwischen zwei Gesprächsebenen unterschieden werden, nämlich einerseits der Stellung von Vivantes als kommunalem Krankenhaus-Träger (und damit Instrument der Daseinsvorsorge) und andererseits der anstehenden Krankenhausreform des Bundes.
Letztere lasse keine Schließungen von Krankenhäusern in Berlin erwarten. Dies betreffe eher Einrichtungen im ländlichen Raum der Flächenländer.

In Berlin müsse aber damit gerechnet werden, dass eine weitere Spezialisierung einiger Krankenhäuser auf bestimmte Leistungsbereiche eintrete. Dies werde voraussichtlich insbesondere Auswirkungen auf den Bereich der Kinder- und Jugendmedizin haben.

Der Referentenentwurf zur Reform liege bereits vor. Dieser enthalte keinerlei Befassung mit dem Bereich Psychiatrie.  

Dringend notwendig sei eine breite Betrachtung der Spezialdisziplinen sowie der Berechnungsgrundlagen für die Finanzierung. Zudem müsse die Anschlussversorgung intensiver betrachtet und besser geregelt werden.

Die Krankenhausreform habe viele weitere Gesetzesänderungen „im Schlepptau“, unter anderemr den Bereich der allgemeinen Notfallversorgung. Hier gehe es insbesondere um die Abfrage verfügbarer Notfallkapazitäten anhand des sogenannten „IVENA“-Systems. Dieses würde in Berlin bereits erprobt; es nehme eine Differenzierung anhand der Spezialdisziplinen vor und stelle die entsprechenden Kapazitäten anhand eines Farbcodes dar.

Ein weiterer Reformbereich seien die „Versorgungsinfrastrukturgesetze“. Hier gehe es um den Ausbau und die breite Implementierung von Gesundheitszentren und „Gesundheitskiosken“. Beide Modelle würden in Berlin bereits praktiziert und würden gut angenommen.
Diese Konzeptionen ermöglichten eine intelligente Patient*innen-Steuerung und erschlössen frühzeitige Versorgungsansätze, da hierbei auch Sozialarbeiter*innen, Physiotherapeut*innen und weitere Versorgungsdisziplinen flächendeckend eingebunden würden.

In Berlin bestünden derzeit 16 Krankenhäuser mit psychiatrischen Stationen (nach § 18 Abs. 1 PsychKG) sowie zusätzlich das Krankenhaus des Maßregelvollzuges (gem. § 44 Abs. 1 PsychKG).
Es existierten hierbei 6 Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Das PsychKG als Landesgesetz sei eine Neuentwicklung gewesen, für die keine Blaupause bestanden habe. Es sei daher notwendig, das Gesetz und seine Wirkung regelmäßig zu überprüfen, um ggf. Anpassungen vorzunehmen. Aktuell zeichne sich ab, dass die Zuständigkeit der Bezirke in Bezug auf Haftungsfragen besser geregelt werden müsse.

Die Corona-Pandemie habe diverse Prozesse zurückgeworfen. Die Gesundheitsverwaltung sei nach zwei Jahren ständiger Krisenbewältigung völlig erschöpft und es bestehe eine hohe Personalfluktuation.

Aktuell sei überdies eine Klage der nicht-landeseigenen Krankenhausträger anhängig. Diese fuße auf dem Vorwurf, dass Vivantes als landeseigener Träger gegenüber allen anderen Trägern finanziell übervorteilt würde.
Insgesamt sei trotz allem die Überführung der landeseigenen Krankenhäuser in eine GmbH aus wirtschaftlicher und fachlicher Sicht weiterhin als sinnvoll zu bewerten.
Die SenWGP übe die fachliche Aufsicht aus, während die strukturelle Aufsicht Aufgabe der SenFin sei.

Hinsichtlich der vorliegenden Resolution (Drucksache 0797/VI) sei aus Sicht des Senates festzuhalten, dass die Senatsverwaltung keine Anweisung für einen Neubau aussprechen könne.
Es sei dennoch aus Sicht des Senates „ein Segen, dass die baurechtlichen Unterlagen nun vorlägen.

Das Thema psychiatrische Versorgung scheine offenbar keine hohe politische Relevanz zu haben.
Bei der heutigen Anhörung des Hauptausschusses des Abgeordnetenhauses zu den Mitteln des Psychiatrieentwicklungsprogramms („PEP-Mittel“) habe es aus dem Ausschuss keinerlei Nachfragen seitens der Abgeordneten gegeben.

Der Bedarf an stationärer psychiatrischer Versorgung sei zuletzt deutlich größer geworden und die Betten reichten längst nicht mehr aus. Aktuell bestünde jedoch die Gefahr, dass sogar Betten vom Netz genommen werden müssten. Auch eine Überlastung der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste (KJPD) der bezirklichen Gesundheitsämter stehe kurz bevor.
Es sei daher dringend erforderlich, das Thema psychische Gesundheit allgemein stärker in den Mittelpunkt zu stellen und dauerhaft im Blick zu behalten.

r die Charité und alle Klinken von Vivantes ergäben sich aus der Corona-Pandemie wirtschaftliche Nachteile. Während diese Häuser für längere Zeit angewiesen wurden, ausschließlich Corona-Patient*innen zu behandeln, hätten die Kliniken in privater Trägerschaft weiterhin alle anderen Disziplinen bedient. Dies habe nicht nur zu geringeren Einnahmen geführt, sondern könne auch Reputationsverluste bei der Spezialisierung bedeuten und zu geringerer Auslastung führen.

Im Rahmen der Investitionsplanung des Landes seien viele baulichen Fragen aller Vivantes-Standorte bereits angegangen worden. Hierbei bestehe jedoch einheitlich ein Kostenrisiko insofern, als angesichts der allgemeinen Preissteigerungen die tatsächlichen Baukosten nicht endgültig abgeschätzt werden könnten.

Im Krankenhaus des Maßregelvollzuges gäbe es seit einer Reform der Strafprozessordnung (StPO), insbesondere der §§ 63 und 64, einen deutlichen Zulauf im psychiatrischen Bereich. Dieser könne derzeit kaum bedient werden.  

Hinsichtlich aller Kliniken im Landesbetriebssten temporäre Bauten intensiver diskutiert werden, um kurzfristig die Kapazitäten zu verbessern.

Insgesamt sei es jedoch wichtig zu beachten, dass sich eine schnelle Änderung nicht realisieren ließe und es konstanter, zusätzlicher Anstrengungen bedürfe.

Frau Gabel (Geschäftsführende Direktorin KAU) dankt Staatssekretärin Haußrfer für ihre Ausführungen; sie habe hierbei „den Nagel auf den Kopf getroffen“.

Die nun folgende Powerpoint-Präsentation präsentiere einige Varianten und Lösungen für die baulichen Problemlagen am Standort des KAU, beinhalte aber auch mögliche Kompromisslösungen.

Die Präsentation wird als Anlage zu Protokoll genommen; eine inhaltliche Widergabe der vorgestellten Inhalte entfällt daher.


Auf Nachfragen:

Der im laufenden Doppelhaushalt 2022/23 an Vivantes zur Verfügung gestellte Betrag von zusätzlichen 130 Millionen sei nicht ausreichend zur Realisierung der hiesigen Planungen und Bedarfe, da diese Summe auf alle Vivantes-Standorte zu verteilen und daher insgesamt sowohl nicht auskömmlich, als auch defizitär sei. Dies folge beispielsweise aus den weiterhin nötigen Anstrengungen, welche durch die fachlich-organisatorische Fusion der Vivantes-Standorte Wenckebach-Krankenhaus und Auguste-Viktoria-Klinikum notwendig würden.

Die denkmalschutzrechtlichen Hürden im Bauantragsverfahren am KAU seien sehr wahrscheinlich überwiegend auf der Ebene des Bezirks zu klären gewesen; dort müsse in allen Fällen „zuerst gefragt“ werden. Genauere Erkenntnisse hierzu müssten nachgereicht werden.

Staatssekretärin Haußrfer ergänzt, dass landesseitig derzeit ein Gesetz für schnelleres Bauen in der Erarbeitung befindlich und wahrscheinlich bis 2024 beschlussreif sei. Dies müsse dann sowohl von den Landesbehörden als auch den unteren Denkmalschutzbehörden in Anwendung zu bringen.

Eine Finanzierung eines Erweiterungsbaus über SIWANA-Mittel dürfte ausscheiden; dieses Programm sei ziemlich vorbei“.
Es bestünden insgesamt nur zwei Wege für eine zusätzliche, legale Zuwendung an ein kommunales Unternehmen wie Vivantes zur Realisierung eines größeren Vorhabens.
Erstensnnten Mittel über die Krankenhausinvestitionspauschalen abgerufen werden. Hierfür stünden jährlich ca. 175 Millionen Euro zur Verfügung und die Festlegung erfolge nach einem komplizierten Berechnungssystem am Jahresanfang. Hinzu kämen aktuell noch weitere ca. 50 Millionen Euro zur Abfederung von Baukostensteigerungen. Abzüglich der Mittel, die bereits für die Charité verplant wären, verblieben aus diesem Topf 42 Millionen; hiervon erhalte Vivantes ca. 11 Millionen Euro. Dies sei auch der roten Nummer 1175 des Abgeordnetenhauses zu entnehmen. Das Beihilferecht verbiete im Übrigen direkte Sonderzuweisungen über den Landeshaushalt.

Das zweite denkbare Instrument sei das vom Senat beschlossene Sondervermögen Klima. Dieses ziele insbesondere auch auf energetische Sanierung ab; hierrübernne es möglicherweise einen Weg geben, Sanierungsmaßnahmen kofinanziert zu erhalten, welche auch energetische Aspekte umfassten. Hier müsse aber stets die konkrete CO2-Ersparnis konkret nachgewiesen werden.

Eine bloße Erhöhung der Mittel der Krankenhausinvestitionspauschalen sei nicht ohne weiteres im Sinne des hiesigen Ziels zu verwirklichen. Aufgrund der erforderlichen, trägerunabhängigen Gleichverteilung zwischen allen Berliner Krankenhäusern müsse dieser Topf grob geschätzt auf eine Milliarde Euro erhöht werden, um allein dem Standort KAU die avisierten 150 Millionen Euro zukommen lassen zu können.

Auf weitere Nachfragen:

Der Neubau r die Psychiatrie habe bei der Leitung des KAU intern die allerhöchste Priorität; an welcher Rangfolge der konzernweiten Prioritäten er stehe, sei der Hausleitung nicht bekannt.
Angesichts der komplexen Finanzierungssystematik müssten Gelderr einen Neubau, egal woher sie kommen, zweckgebunden sein.

Der Neubau sei die beste Alternative; kurzfristiger zu realisieren und insgesamt pragmatisch sei jedoch der erwogene Modulneubau.

Ein Neubau könne nicht an einem anderen Standort realisiert werden. Es bestehe ein dezidierter kommunaler Versorgungsauftrag, der am Standort des KAU erfüllt werden müsse. Zudem habe beispielsweise das Klinikum am Friedrichshain eine deutlich andere Klientel in seinem Einzugsgebiet zu bedienen und verfüge überdies auch über keinerlei bebaubare Flächen auf dem Gelände.

 

Der Ausschuss dankt den fachkundigen Gästen für ihr nicht selbstverständliches Erscheinen und ihre umfassende Expertise in der heutigen Sitzung. Ebenso dankt der Ausschuss ihnen für ihre intensive, unablässige Arbeit zum Wohle der Patient*innen auf dem Gebiet der psychiatrischen Versorgung, welche leider in der Wahrnehmung der Gesamtbevölkerung ein gefährliches und unangemessenes Schattendasein führt.

 

BezV Heise (Grüne) erklärt, dass seine Fraktion angesichts des heute Gehörten und Gesehenen nicht ohne weiteres in vollem Umfang am Wortlaut der Resolution (DS 0797/VI) festhalten könne und der Text einer Veränderung bedürfe.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt eine Unterbrechung der Sitzung von ca. 5-10 Minuten (§ 52 Abs. 1 vorl. GO-BVV).

 

+++ Sitzungsunterbrechung von 20:30 bis 20:45 Uhr +++

 

 
 

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