Drucksache - 1369/3
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Wir fragen das Bezirksamt:
Die Große Anfrage wird wie folgt schriftlich beantwortet:
Zu 1.: Was tut das Bezirksamt, um das negative Altersbild (alte Menschen als Last für Individuen und die Gesellschaft) durch ein positives Altersbild (Alter als Chance für eine Gesellschaft der Vielfalt) im Bezirk zu realisieren?
Sehr geehrte Damen und Herren,
als ich 1996 im aus heutiger Sicht jugendlichen Alter von 39 Jahren Stadträtin wurde, kam ich erstmals außerhalb der Verwandtschaft mit älteren Menschen in engeren persönlichen Kontakt. Ich war begeistert von soviel Engagement und Energie für die Verbesserung und Wahrnehmung der Lebenssituation alter Menschen - und bin "meiner" ersten Seniorenvertretungsgeneration noch immer sehr dankbar, über die Erfahrungen die ich machen durfte, aber ich musste auch lernen, das Alter mit Kränkung einhergeht. Das war mir wirklich neu und ich bin davon überzeugt, dass viele jüngere Leute, selbst häufig genug verkämpft in den beruflichen und privaten Herausforderungen der Rushhour des Lebens, zuerst den Lebensgewinn alter Menschen wahrnehmen und nicht die zurückgehenden Möglichkeiten an körperlicher Vitalität und sozialer Teilhabe.
Tatsächlich ist die Diskriminierung unsichtbar und schwer greifbar. Der Zugewinn an persönlicher Freiheit in Gestaltung des Tagesablaufs, Unabhängigkeit von den Zwängen des Arbeitsmarktes, des Gelderwerbs wird oft genug nicht als Chance, sondern als Verlust an gesellschaftlicher Bedeutung und sozialen Beziehungen gesehen.
Das ist bedauerlich und ich halte es für die wichtigste gesellschaftliche Herausforderung, das Bild des Alters positiv zu wenden: als Chance neues zu erfahren, zu erleben, die gewonnene, auch durch Verlust gewonnene, Freiheit positiv zu nutzen. Angesichts der rapide steigenden Lebenserwartung - fast 200 Menschen unseres Bezirkes sind inzwischen 100 Jahre und älter, der Bundespräsident gratuliert inzwischen nur noch in 5-Jahres-Schritten ab dem 100 Geburtstag - können dies gut und gerne 30 Jahre sein. Viel zu lange, um sie nur als Appendix des beruflich/familiären-Pflichtlebens zu betrachten.
Für das Bezirksamt ist es abteilungsübergreifend ein Selbstverständnis, der besonderen Verletzlichkeit des hohen Alters zu begegnen, indem soziale Teilhabe wo immer möglich mitgedacht und angeboten wird, dazu gehört die Nutzung des öffentlichen Raumes, wie sie z.B. durch die Bauabteilung bereits in zwei Parks vorbildlich geschaffen wurde! Wir wissen aber auch, dass die meisten älteren Menschen gerne in altersgemischten Gruppen, auch mit Kindern und Jugendlichen zusammen sind. Daher ist eine sensible Integration in bestehende Strukturangebote zielführend, z.B. in unsere Stadtteilaktivitäten.
In Erwartung des demografischen Wandels ist die Gesellschaft verpflichtet, die Voraussetzungen für eine verantwortliche Lebensführung, für eine angemessene Vorbereitung auf das eigene Alter und für lebenslanges Lernen und Weiterbilden zu schaffen. (Die rechtliche Grundlage hierzu bietet beispielsweise die Vorschrift des § 71 SGB XII, die als Sollvorschrift die Vorgaben der Förderung des älteren Menschen aber auch als Vorbereitung auf das Alter dient, vorgibt).
Dazu gehören:
Leistungen zu einer Betätigung und zum gesellschaftlichen Engagement. Leistungen bei der Beschaffung einer altersgerechten Wohnung, bei Pflegebedarf, bei Inanspruchnahme von Diensten. Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung, der Bildung oder sonstigen kulturellen Bedürfnissen alter Menschen dienen.
All diese Forderungen werden seitens des Bezirksamtes erfüllt, durch intensive Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, des Vorhaltens eigener Seniorenfreizeitstätten, Seniorenwohnmöglichkeiten und der entsprechenden sozialen Dienste im Sozial -und Gesundheitsamt.
Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements hat in unserem Bezirk eine lange Tradition mit aktuell 440 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließlich unserer Freiwilligenagentur und dem Ehrenamtspreis.
Die intensive Unterstützung und Förderung der von den Seniorinnen und Senioren des Bezirks gewählten und durch das Seniorenmitwirkungsgesetz legitimierten Seniorenvertretung mit Personal, Büros und entsprechender Ausstattung sowie finanziellen Mitteln ist dabei ebenfalls selbstverständlich.
Im Jahr 2008 hatten wir für die Versorgung von Menschen ab dem 50.-zigsten Lebensjahr mit seniorengerechtem Wohnraum 19 Seniorenwohnhäuser zur Verfügung (im Vergleich zu den restlichen Bezirken mit Abstand eine Spitzenposition in Berlin). In 12 Häusern ist der Bezirk Generalmieter und gleichzeitig auch Vermieter.
Die Tendenz der letzten Jahre, sich für "gesteigerte Wohnformen" (Betreutes Wohnen, Servicewohnen, Generationenwohnen mit gegenseitiger Unterstützung) zu interessieren, hält unverändert an - so werden größere Teile der Interessenten von uns beraten, informiert, aufgeklärt, ihnen Mittel und Wege vorgegeben und an entsprechende Anbieter vermittelt. 2008 haben sich ca. 500 Interessenten mit Fragen zu Seniorenheimen, Residenzen, betreutem Wohnen bei uns gemeldet und zielgerichtet nach diesen Wohnformen gefragt.
Die von der Abteilung Soziales erstellte Broschüre "Seniorenwohnen und stationäre Pflegeeinrichtungen im Bezirk Charlottenburg- Wilmersdorf" erfreut sich reger Nachfrage und wird jährlich aktualisiert; ebenso der Ratgeber für Seniorinnen und Senioren in Charlottenburg-Wilmersdorf sowie das Seniorenjournal. Das Seniorenprogramm, das über die kulturelle Seniorenarbeit informiert, erscheint monatlich.
Zu 2.: Welche demografischen Daten gibt es zur Situation alter Menschen im Bezirk, insbesondere Daten der alten Menschen mit Migrationshintergrund (Bevölkerungsverteilung insgesamt, Wohnsituation, Einkommen)?
2008 lebten im Bezirk Charlottenburg-Wilmerdorf 65.700 Männer und Frauen, die den 65. Geburtstag bereits gefeiert haben, die 38.900 Frauen sind den 26.800 Männern dabei zahlenmäßig deutlich überlegen.
16.200 von Ihnen waren bereits 80 Jahre und älter, davon nur noch 4125 Männer; 183 Menschen hatten bereits ihren Hundersten oder einen noch höheren Geburtstag (bis 107) gefeiert, unter ihnen 35 Männer
Bis zum Jahr 2030, so die aktuelle Bevölkerungsprognose der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, wird sich die Zahl der über-65-jährigen um ca. 24.000 erhöhen, wobei jeweils rund 12.000 auf die 65- bis 80-jährigen und die über-80-jährigen entfallen.
Im Jahr 2007 waren innerhalb der älteren Bevölkerung 8.630 Männer und Frauen ausländischer Herkunft, das sind 13,6% der Altersgruppe über 65 Jahren.
Ältere Menschen sind nicht in allen Bezirksteilen gleichstark vertreten. Häufiger bewohnen sie die westlichen Bezirksregionen Schmargendorf, Grunewald, die Wohngebiete an der Heerstraße und Westend aber auch Charlottenburg-Nord. In diesen Planungsräumen ist ihr Bevölkerungsanteil deutlich höher als mit den durchschnittlichen 21%: einige Beispiele: Schlangenbader Straße 29%, Breite Straße 29%, Kissinger Straße 29%, Hagenplatz 31%, Hundekehle 32%, Bismarckallee 30%, Reichsstraße 29%, Branitzer Platz 30%, Angerburger Allee 45%, Paul-Hertz-Siedlung 28%, Jungfernheide 27%.
Weniger ältere Menschen leben in den zentraler gelegenen, innerstädtischen Gebieten. Die niedrigsten Anteile finden sich in den Gebieten Spreestadt mit 10%, Klausenerplatz mit 11% sowie Amtsgerichtsplatz und Karl-August-Platz mit jeweils 14%.
Die Einkommenssituation ist im statistischen Durchschnitt deutlich besser als bei den unter 65jährigen Menschen: als Bezirkszahlen liegen nur die Daten zur Grundsicherung im Alter und aufgrund von Arbeitslosigkeit vor (SGB II):
5,3% der Seniorinnen und Senioren bezogen im Frühjahr 2008 Leistungen nach dem SGB XII, hingegen 15% aller 15- bis 65-jährigen und, erschreckend, 26,3% aller Kinder unter 15 Jahren (das bestätigt nochmals: das aktuelle gesellschaftliche Problem ist nicht Altersarmut, sondern Kinderarmut!) Die Berlinweiten Daten des Mikrozensus bestätigen diesen Trend insgesamt: danach hatten knapp 16% aller Berliner Einwohnerinnnen und Einwohner im Jahr 2005 weniger als 60% des mittleren Einkommens (1154 Euro, 60% = 692 Euro), hingegen nur 7,6% der 65- bis 70-jährigen, bei den über 70-jährigen noch weniger. Es ist davon auszugehen, dass die Bezirkszahlen noch besser sind.
Zu 3.: Wie orientieren sich Seniorenclubs an dem neuen aktiven Altersbild insbesondere hinsichtlich von Aktivitäten, um Menschen mit Migrationshintergrund zu integrieren (generationsübergreifende Angebote und Aktivitäten, Weiterbildung, Gesundheitsprävention)?
Die bezirklichen Angebote für ältere Menschen in den Seniorenfreizeitstätten verändern sich genauso wie sonst auch die Interessen von Menschen: Weg vom "Bingo", hin zur sprachlichen, sportlichen, ernährungswissenschaftlichen, gesundheitlichen Förderung älterer Menschen, zu Informationen und Schulungen über neue Medien. Die Spannbreite der Angebote in unseren Seniorenclubs reicht von generationsübergreifend bis seniorenspezifisch, von quartiersbezogen bis bezirksweit, unter Einbindung der Menschen mit Migrationshintergrund in die kulturelle Seniorenarbeit.
2008 besuchten monatlich ca. 8.000 (insgesamt 94.657) Bürgerinnen und Bürger die 4 bezirklichen Seniorenfreizeitstätten als Besucherinnen und Besucher oder als Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den 230 (!) installierten regelmäßigen Gruppen der Clubs.
Beispielhaft seien hier genannt:
Gesundheitsbezogene Gruppen (Gymnastik, Walking, Yoga, Rückenschule, Aerobic, Bauchtanz, Stepptanz, Beckenbodengymnastik, Tanzen); spielebezogene Gruppen (Doppelkopf, Schach; Skat); diverse Sprachgruppen (Englisch, Italienisch, Spanisch, Chinesisch, Deutsch für polnische Frauen); Theatergruppen, Seniorinnenchor, Acrylmalen, Seidenmalerei, Chinesische Kalligraphie mit Malerei, Fotogruppe, Computergruppe, Töpfergruppe und vieles mehr.
In den Seniorenfreizeitstätten in Charlottenburg-Wilmersdorf sind bereits seit Jahren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Besucherinnen und Besucher mit Migrationshintergrund angesprochen und in die Clubarbeit eingebunden. Ein Schwerpunkt der Clubarbeit in unserem Bezirk ist die interkulturelle Öffnung, was sich in den Angeboten widerspiegelt. Angestrebt ist hier der fachliche Anspruch, allen Charlottenburg-Wilmersdorfern, gleich ob Angehörige der deutschen Mehrheitsbevölkerung oder Angehörige der ethnisch-kulturellen Minderheiten die Teilhabe an den jeweiligen Angeboten zu ermöglichen und sie kultursensibel zu behandeln. Kultursensibel behandeln bedeutet, Respekt vor individuellen Prägungen und Bedürfnissen zu haben, spezifische kulturelle, religiöse und soziale Werte, Orientierungen und Wünsche zu berücksichtigen.
Eine regelmäßig stattfindende, intensive Zusammenarbeit mit dem "Kompetenz Zentrum interkulturelle Öffnung der Altenhilfe" hilft dabei, dem hohen Anspruch der Integration von Migrantinnen und Migranten in diesem Bereich näher zu kommen.
Auf dem Fachtag zur Zukunft der kulturellen Altenhilfe, der am 4. März dieses Jahres stattfand, haben Akteure verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, darunter viele Nutzende der kulturellen Alteneinrichtungen, Ansprüche für die Zukunft artikuliert. Hauptthema war "Mit-Bestimmung und Integration der unterschiedlichen Generationen und verstärkte Beziehung nicht deutschstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern".
Zeitgleich hat das Bezirksamt einen Kundenmonitor in den bezirklichen Seniorenclubs und -freizeitstätten im Rahmen öffentlich geförderter Beschäftigung durchführen lassen, dessen Ergebnisse in Kürze in einer Dokumentation veröffentlicht werden. Danach zeigen sich die Besucherinnen und Besucher in hohem Maße sehr zufrieden bzw. zufrieden mit den bezirklichen Angeboten. Die Befragten machten auch ein großes Interesse an kulturellem Austausch und Informationen zu anderen Ländern deutlich. Das Bezirksamt ist zur Zeit noch in der Prüfung, wie die gewonnenen Erkenntnisse in die Arbeit vor Ort einfließen können.
Zu 4.: Welche ressortübergreifenden Vernetzungen zur Aktivierung alter Menschen gibt es im Bezirk (Vernetzung von Jugendfreizeitstätten, Schulen, Kitas, Bibliotheken, Heimen)?
Der Ausbau ressortübergreifender Vernetzungen wird unverändert angestrebt.
In der Gartenarbeitsschule Ilse Demme (Abteilung Jugend und Sport), ein schulübergreifender, ökologischer Lernort für alle Schulen in unserem Bezirk, unterstützen über 40 ehrenamtlich tätige Seniorinnen und Senioren, die Schulklassen und deren Lehrerinnen und Lehrern bei ökologischen Schulprojekten wie Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien, ein Schilfklärwerk, eine automatische Wetterstation usw. Ein jährlich stattfindender "Tag der offenen Tür" dokumentiert die Vielfalt der ehrenamtlichen Unterstützung in der Gartenarbeitsschule.
Die Heimausleihe der Bibliotheken (Abt. Wirtschaft, Ordnungsangelegenheiten und Weiterbildung), die durch ehrenamtliches Engagement, u.a. durch die Vermittlung der FreiwilligenAgentur gewährleistet wird, versorgt nicht mehr mobile Seniorinnen und Senioren in Einrichtungen mit Literatur und sonstigen Medien. Senioren als Vorlesepaten für Jugendliche agieren erfolgreich.
In der Abteilung Bauwesen koordiniert der Fachbereich Grün die ehrenamtliche Grünpflege, d.h. Kampagnen werden gemeinsam ausgearbeitet, Bürgerinitiativen können ihre Wünsche mit der Abteilungsleitung besprechen. Laubsammelaktionen und Baumpatenschaften koordiniert die Abt. Bauwesen mit der FreiwilligenAgentur als zentralen Ansprechpartner für ehrenamtlich Interessierte.
In der Abteilung Bürgerdienste, Ausbildungsförderung und Personal treffen sich sowohl die Schiedsleute als auch die bürgerberatenden Seniorenvertreter regelmäßig mit ihren hauptamtlichen Kontaktpersonen zum Erfahrungsaustausch und Planung von Fortbildungsveranstaltungen.
Auch die Kommunale Galerie beansprucht zum Teil Mitarbeit. Sie wird von der FreiwilligenAgentur unterstützt.
Zu 5.: Welche Möglichkeiten sieht das Bezirksamt, im Bezirk eine "Woche der Würdigung alter Menschen" zu etablieren.
Ältere Menschen gestalten und prägen bereits die Gesellschaft mit ihrer Erfahrung, ihren Fähigkeiten und ihrem Engagement. Sie wollen aktiv, mobil sein und äußern jetzt immer mehr ihre Wünsche und Bedürfnisse nach einer selbständigen und individuellen Lebensführung gleichberechtigt innerhalb eines Gemeinwesens. Eine "Woche der Würdigung alter Menschen" würde diesen Personenkreis wieder in eine Position des "doch-nicht-so-gleichberechtigt-sein", führen und diente nicht seinem langsam aber stetig wachsenden Selbstbewusstsein.
Unterstützt werden dagegen regelmäßige Veranstaltungen, die die Lebenssituation des älteren Bürgers verbessern helfen. Beispielhaft seien hier genannt die aus meiner Sicht etwas tradiert anmutende: Berliner Seniorenwoche, der Tag des Ehrenamtes, die Seniorenpräventionswoche der Polizei, usw.
M. Schmiedhofer Bezirksstadträtin |
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