Drucksache - 1275/3  

 
 
Betreff: Ein Jahr Umweltzone, ein Erfolg?
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:SPD-Fraktion 
Verfasser:Verrycken/Rufert 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
30.04.2009 
30. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin schriftlich beantwortet   

Sachverhalt

Wir fragen das Bezirksamt:

Wir fragen das Bezirksamt:

 

1.      Wie veränderten sich die Konzentrationen von Schwebstoffen, Stickoxiden (NOx) und SO2 in der Luft im Bereich der Umweltzone und wie bewertet das Bezirksamt die Veränderungen im Einzelnen?

 

2.      Welcher Anteil kann saisonbereinigt auf die Einführung der Umweltzone zurückgeführt werden und welcher ist auf meteorologische und andere Einflüsse zurückzuführen?

 

3.      Welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen können direkt auf die genannten Belastungen zurückgeführt werden und welche Erleichterung kann hier der Umweltzone angerechnet werden?

 

4.      Wo bedarf die Maßnahme der Umweltzone gegebenenfalls einer Nachbesserung?

 

5.      Welche Tendenz sieht das Bezirksamt für die Jahre 2009 und 2010 unter Berücksichtigung externer Effekte und wie sähe die Entwicklung ohne Umweltzone aus?

 

Das Bezirksamt beantwortet die Große Anfrage wie folgt schriftlich:

 

Vorbemerkung:

Die Zuständigkeit für die Einführung der Umweltzone, für die Datenerhebung und für sich daraus ergebende fachliche Schlussfolgerungen liegt ausschließlich bei der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz. Die dieser Beantwortung zugrunde liegenden Daten und Bewertungen folgen im Wesentlichen einer Stellungnahme dieser Verwaltung.

 

Zu 1. und 2.:

Die mittleren Konzentrationen dieser Stoffe (Schwebstoffe = PM10 bzw. Feinstaub) in den Jahren 2007 und 2008  werden an einer Reihe von Messstationen im Stadtgebiet erfasst. Am aufschlussreichsten sind für die Umweltzone vermutlich die Messergebnisse der Verkehrsmessstationen. Allerdings profitieren von den Emissionsminderungen durch schadstoffärmere Autos auch die Bereiche außerhalb der Innenstadt. In unserem Bezirk befindet sich eine Verkehrsmessstation auf dem Hardenbergplatz. Hier ergaben sich folgende Werte:

 

Feinstaub (PM 10) 2007: Das Jahresmittel betrug 26 μg/m³ (Grenzwert 40 μg/m³), die Anzahl der Überschreitungen des zulässigen Tagesmittels (50 μg/m³) 18 (erlaubt max. 35). Stadtweit lagen die Messwerte bei den anderen Verkehrsstationen sehr ähnlich.

 

Feinstaub (PM 10) 2008: Das Jahresmittel betrug 27 μg/m³ (Grenzwert 40 μg/m³), die Anzahl der Überschreitungen des zulässigen Tagesmittels (50 μg/m³) 13 (erlaubt max. 35). Auch hier waren die Jahresmittel bei den anderen Verkehrsstationen ähnlich, die Anzahl der Überschreitungen der zulässigen Tageswerte aber an zwei anderen Stationen (Silbersteinstraße, Frankfurter Allee) deutlich höher: 21 bzw. 24.

 

Im Vergleich zu früheren Jahren sind beide Jahre wegen der meteorologischen Austauschbedingungen als ausgesprochen günstig zu bezeichnen. Der gemessene Jahresmittelwert für Feinstaub ist in den Jahren 2007 und 2008 stadtweit vergleichbar hoch. Aufgrund der im Jahr 2008 im Vergleich zu 2007 etwas schlechteren meteorologischen Ausbreitungsbedingungen wäre allerdings für das Jahr 2008 ohne Umweltzone ein etwa 3 % höherer Jahresmittelwert zu erwarten gewesen.

 

Stickstoffdioxid (ist in Bezug auf die Umweltzone der wichtigere Messwert als die in der Frage enthaltenen NOx) 2007: 60 μg/m³ als Jahresmittel, Grenzwert ab 2010 40μg/m³, das 1-h-Mittel von 200 μg/m³ wurde 6x-mal überschritten (erlaubt ab 2010 18x). Dies deckt sich recht gut mit anderen Straßenmessstellen, die aber etwas günstiger lagen.

Stickstoffdioxid (2008): 59 μg/m³ als Jahresmittel, keine Überschreitungen des 1 – h-Mittels. Die anderen Verkehrs-Messstationen lagen wieder etwas günstiger. Damit war eine leichte Abnahme zu verzeichnen (2008 zu 2007).

 

Bei der Bewertung der Stoffe ist zu berücksichtigen, dass die Emission von Schwefeldioxid durch die Umweltzone nicht beeinflusst wird und auch nicht beeinflusst werden soll, da dieser Stoff in erster Linie aus Kraftwerken, Industrie und Hausbrand stammt. Schwefeldioxid ist nicht zuletzt dank der Erfolge der Luftreinhaltepolitik der 80`er-Jahre praktisch kein Thema mehr in Berlin.

 

Nur noch an zwei Messstationen  - Karlshorst, Frankfurter Allee -  wird SO² gemessen. Die Jahresmittel lagen 2007 bei 2 bzw. 3 μg/m³, 2008 an beiden Messstellen bei 3 μg/m³; es gab keine Überschreitungen der zulässigen 1-h bzw. 24 – h-Grenzwerte von 350 bzw. 125 μg/m³.

 

Die zur Wirkung der Umweltzone vorgenommenen Untersuchungen der Senatsverwaltung halten folgendes fest:

 

“Ein positiver Effekt der Umweltzone lässt sich an den Messwerten für die Luftqualität ablesen. Obwohl sich die Wetterbedingungen für die Ausbreitung von Luftschadstoffen im ersten Jahr der Umweltzone im Vergleich zum Vorjahr ungünstiger entwickelten, nahmen die Ruß- und Stickoxidwerte überproportional ab.

Infolge der Stufe 1 der Umweltzone konnte die Feinstaubbelastung an Hauptverkehrsstraßen um etwa 3% gesenkt werden. Dies entspricht im Jahr 2008 einem Rückgang von etwa 4 Tagen mit Überschreitungen des Tages – Grenzwertes für Feinstaub (PM10). Ohne die Einführung der Umweltzone wäre demnach im Jahr 2008 an 28 statt an 24 Tagen der Feinstaubgrenzwert überschritten worden, bei insgesamt 35 erlaubten Überschreitungstagen eine durchaus relevante Verbesserung. Der im Feinstaub enthaltene, besonders gesundheitsschädliche Dieselruß wurde durch die Umweltzone noch deutlicher vermindert. Anhand der routinemäßigen Luftgüte-Messdaten lässt sich ein Rückgang der verkehrsbedingten Rußpartikelbelastung um 14% bis 22% nachweisen. Auch eine Minderung der Stickstoffdioxidkonzentration um etwa 10% kann der Stufe 1 der Umweltzone zugeschrieben werden. Dies ist eine signifikante und dringend notwendige Verbesserung, denn die Einhaltung der Grenzwerte im Jahre 2010 erfordert eine Minderung von über 20%.”

 

Zu 3.:

Es ist Stand der Wissenschaft, dass insbesondere die Luftbelastung durch Dieselrußpartikel von besonderer gesundheitlicher Relevanz ist. Dieselruß schädigt die Atemwege und gilt als krebserregend, aber er erhöht auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da diese ultrafeinen Partikel (kleiner als 0,1 μm) über die Lunge in den Blutkreislauf gelangen können. Mit der Umweltzone konnte die Belastung durch den besonders gesundheitsgefährdenden Dieselruß um 14 – 22 % (Auswertung der ca. 32 RUBIS-Messstandorte) reduziert werden. (Mit  Rubis-Messstandorten sind kleine an Straßenlaternen aufgehängte Probenahmegeräte gemeint, die an verkehrsreichen Standorten das stationäre Messnetz seit 2007 ergänzen).

 

Zu 4.:

Die Stufe 1 der Umweltzone wurde bereits im Luftreinhalteplan nicht als ausreichend angesehen. Ziel ist vielmehr die Modernisierung der Fahrzeugflotte auf den Stand der grünen Plakette, d.h. für Dieselfahrzeuge Einhaltung des Partikelgrenzwertes des Abgasstandards Euro 4. Die volle Wirkung der Umweltzone kann erst dann eintreten, wenn die Stufe 2 umgesetzt ist. Diese tritt am 1.1.2010 in Kraft, so dass dann nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette in die Umweltzone dürfen. Aufgrund der Ausnahmepraxis für Fahrzeuge der Schadstoffgruppe 1 (keine Plakette) wurde bisher das Emissionsminderungspotenzial der Umweltzone Stufe 1 zu etwa 80 % realisiert. Damit hat sich diese Praxis als geeignetes Instrument zur Wahrung der Interessen des Gesundheits- und Umweltschutzes einerseits und der Interessen der Wirtschaft andererseits bewährt. Weitere Emissionsminderungen sind mit Auslaufen eines großen Teils der Ausnahmegenehmigungen im Sommer 2009 zur erwarten.

 

Zu 5.:

Die Entwicklung der Luftbelastung mit und ohne Umweltzone ist für das Jahr 2010 im Luftreinhalte- und Aktionsplan Berlin 2005-2010 dargestellt. Untersuchungen für das Jahr 2009 liegen nicht vor. Für das Jahr 2010 wurde berechnet, dass durch die Umweltzone die Emissionen im Vergleich zum Trendfall, d.h. unter Berücksichtigung des Rückgangs der Emissionen aufgrund der gesetzlichen Regelungen in Europa und Deutschland, für Dieselruß um 46%, für PM10 (Auspuff + Abrieb und Aufwirbelung) um 9 % und für Stickoxide um 10 % sinken.

 

Eine Einhaltung der Grenzwerte für PM10 und Stickstoffdioxid konnte auch mit Umweltzone nicht prognostiziert werden. Allerdings soll die Zahl der von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern um 20 bis 25 % sinken.

 

Auch vor dem Hintergrund der zur Luftreinhaltung und zur Umweltzone ergangenen Rechtsprechung sieht das Bezirksamt in der Umweltzone einen richtigen Weg und beachtlichen Erfolg. Mit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. März 2007 ist klargestellt worden, dass Bürger/innen bei Überschreiten der Immissionsgrenzwerte einen Anspruch auf Einschreiten der zuständigen Behörden haben. Das Verwaltungsgericht Hannover hat unlängst Klagen von zwei Bürgern abgewiesen, die die Umweltzone als schweren Eingriff in die Eigentumsrechte werteten. Die Umweltzone in Hannover ist damit rechtmäßig.

Allerdings hat der Klägervertreter angekündigt, Rechtsmittel gegen diese Entscheidung einzulegen. Das Ergebnis bleibt abzuwarten.

 

Mit dieser wichtigen Erkenntnis, dass eine rechtssichere Umweltzone nachweislich zu umweltpolitischen Erfolgen führt, steht Berlin übrigens nicht allein. Zum Jahreswechsel haben in der Zeitschrift “Der Städtetag” Stadtoberhäupter und Dezernent/innen – übrigens über alle Parteigrenzen hinweg – eine positive Bilanz gezogen (neben Berlin: Stuttgart, Hannover,  Köln, München, mehrere Städte im Ruhrgebiet). Auch Hamburg beabsichtigt, eine Umweltzone einzurichten.

 

 
 

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