Drucksache - 0630/3  

 
 
Betreff: Schutz für vernachlässigte Kinder -
Ist der Bezirk beim Kinderschutz gut aufgestellt?
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 
Verfasser:Centgraf/Prejawa/Wendt 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
13.12.2007 
15. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin schriftlich beantwortet   

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
1. Version vom 18.03.2008

Wir fragen das Bezirksamt:

 

Wir fragen das Bezirksamt:

 

1.      Wie viele Anrufe sind bei den beiden bezirklichen Hotlines für den Kinderschutz eingegangen und wie wurden die jeweiligen Gefahrensituationen ausgewertet?

 

2.      Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um die jeweilige Gefahrensituation abzuwenden?  Wie viele Kinder wurden bisher aus Familien herausgenommen?

 

3.      Wie bindet das Bezirksamt freie Träger der Jugendhilfe und Hebammen in die bezirkliche Präventionspolitik ein?

 

4.      Welche Maßnahmen hat das Bezirksamt gegenüber dem Senat ergriffen, um eine ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung der Jugend- und Gesundheitsämter für die Wahrung des Kinderschutzes sicher zu stellen und wie wird das Bezirksamt sicher stellen, dass die Aufgabe des Kinderschutzes auch zukünftig angemessen in der Personal- und Finanzplanung des Landes berücksichtigt wird?

 

 

Sehr geehrte Frau Vorsteherin,

das Bezirksamt beantwortet die Anfrage wie folgt:

 

Zu 1. :

Im Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es seit dem 16.04.2007 ein Krisentelefon, das seit dem 01.10.2007 in Anlehnung an die für Berlin einheitliche Apparatnummer unter der Apparatnummer 15555 erreichbar ist (zuvor 15015). Dadurch ist die Erreichbarkeit des Jugendamtes von 8.00 bis 18.00 gesichert.

 

Nach einer ersten Auswertung erfolgten in der Zeit vom 16.4. bis 08.10.2007 insgesamt 148 Anrufe. In 20 Fällen handelte es sich um Krisen- und Kinderschutzmeldungen, in 128 Fällen ging es um allgemeine Auskünfte. Außer diesen 20 Meldungen über das Krisentelefon gab es weitere 241 Meldungen über Kindeswohlgefährdung durch Post oder Fax, durch Direktanrufe in den Regionen von Nachbarn, Polizei, Schulen etc. und aus laufender Betreuung durch den Regionalen sozialpädagogischen Dienst. Hier handelte es sich in 134 Fällen um Kindeswohlgefährdungen, die durch Hausbesuche und persönliche Gespräche festgestellt wurden. Insgesamt waren somit in diesen knapp 6 Monaten 154 Kinderschutzmeldungen zu verzeichnen.

 

Im Gesundheitssamt besteht seit 4 Monaten ein Krisentelefon von 8.00 bis 18.00, über das bis jetzt noch keine Meldungen über Kindeswohlgefährdungen eingegangen sind. Beim Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (KJGD) sind Meldungen direkt im Haus des Säuglings eingegangen durch Kliniken, Nachbarn und durch den Regionalen Sozialpädagogischen Dienst des Jugendamtes (RSD) in allen Fällen, in denen Kinder von 0 bis 2 Jahre betroffen waren.

 

Zu 2.

Die Gefahrenabwehr erfolgte insbesondere durch

-          Hausbesuche

-          stationäre Hilfen zur Erziehung

-          stationäre Unterbringung zum Clearing weiterer Hilfen

-          stationäre Unterbringungen in Mutter (Vater) – Kind – Einrichtungen

-          ambulante Hilfen zur Erziehung

-          einmalige und längerfristige Beratungen.

 

43 Kinder wurden durch Inobhutnahme als Sofortmaßnahme aus der Familie genommen. In 6 Fällen dieser Inobhutnahmen wurde das Familiengericht angerufen

 

Zu 3.

Die Jugendhilfeträger, die ambulante und/oder stationäre Hilfen vorhalten, sind in den aktuellen Fällen in die Hilfeplanung einbezogen. Darüber hinaus nehmen sie an den Fallteams der Regionen zur Klärung geeigneter und notwendiger Hilfen teil.

 

Die freien Träger nehmen regelmäßig an den Regionalkonferenzen in den fünf Sozialraumregionen des Bezirks teil und werden dadurch über besondere Krisenherde und/oder Besonderheiten oder Auffälligkeiten in der Region informiert, wie sie umgekehrt ihre Erfahrungen einbringen. Gemeinsam wird nach praktikablen und finanzierbaren Lösungen gesucht. Die Träger legen im Bedarfsfall gezielt Konzepte vor. Räumliche Präsenz der Träger in den Regionen ist gegeben. Neue Projekte werden dem Bedarf in der Region angepasst und in der jeweiligen Region angeboten.

 

Überregional findet regelmäßig der Austausch zwischen den freien Trägern und der öffentlichen Jugendhilfe in der AG gemäß § 78 SGB VIII statt.

 

Zwischen dem Gesundheitsamt – Haus des Säuglings – und den frei praktizierenden Hebammen besteht eine enge und gute Kooperation sowohl hinsichtlich der Zusammenarbeit in Einzelfällen als bei der bedarfsorientierten Planung und Durchführung von Angeboten für werdende Eltern, für Mütter oder Eltern (Mütter)-Kind-Gruppen, (Geburtsvorbereitungskurs, Rückbildungsgymnastik etc.). Die Hebammen gehören zum Hilfesystem; das Haus des Säuglings vermittelt auf Anfrage werdender Eltern frei praktizierende Hebammen.

 

Zu 4.

Die bezirklichen Jugendämter weisen bereits seit Jahren darauf hin, dass die Altersstruktur des Personals es insbesondere für den Sozialdienst dringend erforderlich macht, einen Einstellungskorridor für diese Berufsgruppe einzurichten, da in den nächsten 4-5 Jahren landesweit mindestens 400 Mitarbeiter/innen altersbedingt ihre Berufstätigkeit beenden werden. Überhangkräfte gibt es für diese Berufsgruppe nur noch vereinzelt.

 

Mit dem Netzwerk Kinderschutz sind für den Kernaufgabenbereich des Jugendamtes darüber hinaus weitere Aufgaben und Verfahrensstandards hinzugekommen, parallel dazu führt die erhöhte Achtsamkeit in der Bevölkerung zu einem Mehr an Hinweisen, so dass im Ergebnis von einem erhöhten Arbeitsaufkommen im RSD auszugehen ist.

 

Deshalb hat die Senatsfachverwaltung gemeinsam mit den Bezirken inzwischen ein Reformagenda-Projekt zur Personalmindestausstattung der Jugendämter gestartet, das zu einer verlässlichen Basis für die Stellenausstattung führen soll. Charlottenburg-Wilmersdorf ist sowohl in der Lenkungsgruppe (Bezirksstadrat) als auch der Projektgruppe (Jugendamtsdirektorin) aktiv an diesem wichtigen Vorhaben beteiligt.

 

Kritisch festzustellen ist ferner, dass die Verfahren und Wege zur Besetzung von Stellen unverhältnismäßig aufwändig und langwierig sind - eine Beschleunigung und der Abbau von Hemmnissen ist dringend erforderlich. Dies fordert der Bezirk sowohl auf Verwaltungs- wie auf Politikebene kontinuierlich, aber leider bislang weitgehend erfolglos ein.

 

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass

 

1.      für den noch bestehenden Überhang aus dem ehemaligen Jugendaufbauwerk von ca. 80 Personen, die weitgehend keine Sozialarbeiterausbildung verfügen, ein – wenn auch sehr übersichtliches - Qualifizierungsprogramm aufgelegt worden ist, damit diese in den Jugendämtern eingesetzt werden können. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es hier zumindest vorübergehend zu Qualitätsverlusten in der Arbeit der Jugendämter kommt.

2.      das Abgeordnetenhaus mit Verabschiedung des Haushalts 2008/2009 anerkannt hat, dass jedes Jugendamt zur Koordination von Kinderschutzaufgaben zusätzlich zwei neue Stellen bekommt.

 

3.      es vereinzelt gelungen ist, zeitlich befristet Teilzeitstellen mit Berufsanfänger/innen besetzen zu können.

 

Dies reicht jedoch nicht aus, um die absehbar entstehenden Lücken schließen und eine qualifizierte und nachhaltige Kinderschutzarbeit gewährleisten zu können. Dazu bedarf es eines Einstellungskorridors für zunächst 50 Sozialarbeiterstellen pro Jahr über die nächsten 5 Jahre, wie es die Bezirke anlässlich der Bezirkskonferenz am 8. November 2007 gefordert haben.

 

Die Jugendstadträt/innen streben zur Vermeidung weiterer Ausgabensteigerungen im Bereich der Hilfen zur Erziehung in Zusammenarbeit mit der Senatsfach- und der Senatsfinanzverwaltung ein eigenständiges Finanzierungsmodell für die Prävention an, insbesondere im Bereich der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie. Dieses wird für dringend erforderlich gehalten vor dem Hintergrund, dass hinlänglich bekannt und immer wieder wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass gerade frühe Hilfen, die ggf. bereits vor der Geburt, also während der Schwangerschaft einsetzen, besonders wirksam für eine gute Mutter-Kind-Bindung, eine stabile Entwicklung des Säuglings und eine geordnete soziale Situation der jungen Familie ist.

 

Dessen ungeachtet ist eine auskömmliche finanzielle Ausstattung für den Bereich Hilfen zur Erziehung erforderlich. Gerade angesichts der derzeit an unterschiedlichen Stellen vermehrt wahrzunehmenden Überforderung von vielen Eltern wird es weiterhin Krisen in Familien oder gar Vernachlässigung oder Gewalt geben, die eine Intervention im Rahmen des Kinderschutzes und ggf. langfristige und kostenintensive Hilfen erforderlich machen.

 

Neben allen geschilderten Bemühungen um eine Verbesserung, die der Bezirk auf Landesebene einfordert, ist es unumgänglich, dass Bezirksamt und Bezirksverordnetenversammlung die Finanzierung des Kinderschutzes bereits jetzt sicherstellen.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

Reinhard Naumann

Bezirksstadtrat

 

 

 

 

 


 

 
 

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