Drucksache - 0110/3  

 
 
Betreff: Scientology entschlossen entgegentreten
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Grüne/CDU/SPD/FDP/Linke (fraktionslos)/Graue (fraktionslos) 
Verfasser:Centgraf/Wendt/Schmitt/Verrycken/Prof.Dr.Dittberner/Riedel/Tillinger 
Drucksache-Art:AntragVorlage zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
24.01.2007 
5. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Antrag vom 18.01.2007
Beschluss vom 25.01.2007
Vorlage zur Kenntnisnahme vom 04.07.2007

Die BVV möge beschließen:

Die BVV hat in ihrer Sitzung am 24. Januar 2007 folgenden Beschluss gefasst:

 

Die Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin erkennt in dem verstärkten Engagement von Scientology im Bezirk eine mögliche Gefährdung für die demokratische Gesellschaft und die Ausübung individueller Freiheitsrechte.

 

Die BVV spricht sich gegen die Aktivitäten der Scientology-Sekte im Bezirk und in Berlin aus und erwartet von den dafür zuständigen Stellen in Berlin, dass die Scientology-Sekte in der kommenden Zeit aufmerksam und kritisch beobachtet, gewonnene Erkenntnisse transparent gemacht werden und ggf. gegen sie eingeschritten wird.

 

Daher wird das Bezirksamt beauftragt,

 

Ø     die gewerbe- und ordnungsrechtlichen Möglichkeiten zur Eindämmung der Scientologywerbung auf öffentlichem Straßenland konsequent zu nutzen,

Ø     entsprechend dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.02.1995, der Scientology als Wirtschaftsunternehmen einstuft, den Vertrieb von Kursen und Materialien durch Scientology im Rahmen der gewerberechtlichen Anmeldepflicht auf gefährdende Inhalte zu prüfen,

Ø     und ebenfalls zu prüfen, inwieweit Bürgerinnen und Bürger Berlins, besonders Anwohnerinnen und Anwohner sowie Kinder aus dem Bezirk durch die Existenz des Zentrums gefährdet sind und ggf. hiergegen vorzugehen,

Ø     mit der Schulleitung und der Gesamtelternvertretung der nächst gelegenen Ludwig-Cauer-Grundschule in Kontakt zu treten und ein abgestimmtes Vorgehen zu vereinbaren.

 

 

Das Bezirksamt wird aufgefordert, gegenüber Eltern und Kindern in Absprache mit den Lehrern und der Schulaufsicht für Aufklärung in den Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen über die unerwünschte Scientology-Sekte zu sorgen.

 

Der BVV ist bis zum 31.03.2007 erstmalig und anschließend in regelmäßigen Abständen zu berichten.

 

Das Bezirksamt teilt hierzu mit:

 

Das Bezirksamt begrüßt ausdrücklich den einstimmig gefassten Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung zum Thema Scientology. Alle Abteilungen des Bezirksamtes haben sich in den letzten Monaten seit der Eröffnung der Berliner Zentrale der Scientology-Organisation am 13. Januar 2007 in ihrem Handeln von einer Strategie der Prävention durch Aufklärung - verbunden mit der Prüfung der rechtlich möglichen Grenzen in ordnungsrechtlichen Fragen - leiten lassen.

Auch das Abgeordnetenhaus hat am 21. Juni 2007 einstimmig folgenden Beschluss (Drs. 16/0162) gefasst, den das Bezirksamt  ausdrücklich begrüßt, da damit deutlich wird, dass Bezirk und Land in dieser Frage gemeinsam agieren:

 

“Der Senat wird aufgefordert, seine Aktivitäten zur Aufklärung der Bevölkerung, insbesondere von Schülerinnen und Schülern, deren Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen in Kindertageseinrichtungen, Schulen und Freizeiteinrichtungen über Scientology und andere konfliktträchtige Anbieter auf dem Psycho- und Lebenshilfemarkt sowie die Vermittlung von grundlegendem Orientierungswissen über Merkmale und Strukturen solcher Anbieter zu verstärken. U. a. soll der Senat sein Aufklärungs- und Informationsmaterial (z. B. Informationsblätter über Scientology) aktualisieren, in einer insbesondere Jugendliche ansprechenden Weise aufbereiten und den Zugang zu diesen Materialen erleichtern (z. B. über das Internet). Dieses Material soll vorrangig Schulen, Kindertageseinrichtungen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Familienberatungsstellen und anderen öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, in deren Umfeld verstärkte Aktivitäten derartiger Organisationen festzustellen sind. Darüber hinaus soll geprüft werden, ob die Notwendigkeit besteht, zusätzliche Fortbildungen für Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Lehrerinnen und Lehrer zur Thematik anzubieten.

 

Der Sektenbericht ist zu aktualisieren und regelmäßig zur Mitte einer Legislaturperiode fortzuschreiben. Die Einrichtung einer geeigneten und niedrigschwelligen Anlauf- und Beratungsstelle auf Landesebene für alle Fragen, die Sekten und andere konfliktträchtige Anbieter auf dem Psycho- und Lebenshilfemarkt betreffen, ist zu prüfen.”

 

Besonders bezeichnend für Scientology ist, dass diese Organisation für sich Rechte der Informationsfreiheit in Anspruch nimmt, selber aber keine Transparenz zulässt: So wurde der Antrag der Scientology Organisation nach dem Informationsfreiheitsgesetz vom 8. Januar 2007, Unterlagen zum Thema “Scientology (...) sowie jeglicher weiterer Körperschaften der Scientology-”Organisation einzusehen, bezüglich der Scientology-Organisation positiv beschieden. Auf die Nachfrage des Bezirksamtes aber, welche Körperschaften denn zu Scientology gehörten, um über den Antrag abschließend zu bescheiden, gab es bisher noch keine Antwort.     

 

Das Bezirksamt hat in den vom Beschluss erfassten Bereichen folgende Maßnahmen ergriffen:

 

·        Konsequente Nutzung der ordnungsrechtlichen Möglichkeiten zur Eindämmung der Scientology-Werbung

 

Eine rechtliche Handhabe, der Scientology-Organisation Infostände oder das Verteilen von Werbematerial zu untersagen, besteht seit der Deregulierung des Straßengesetzes und des Straßenreinigungsgesetzes Ende 2005 nur noch im geringen Umfang. Das Wirtschafts- und Ordnungsamt wird aber bekannt werdende Verstöße im Zusammenhang mit der Verteilung von Werbematerial auf öffentlichem Straßenland und der sonstigen Zurschaustellung von Informationsmaterial durch Scientology verfolgen, wie z.B. den Verkauf von Büchern vom Informationsstand aus. Häufig sprechen auch verkehrliche Gründe gegen die Genehmigung von Infoständen. 

 

·        Gewerberechtliche Prüfung der Scientology-Organisation

 

Die am 22. Januar 2007 nach Aufforderung durch das Bezirksamt erfolgte Gewerbeanmeldung des “Scientology Kirche Berlin e. V.” beinhaltet als Tätigkeitsfeld den Verkauf von Literatur, Video- und Audiokassetten sowie die Durchführung einführender Kurse/Seminare gegenüber Nichtmitgliedern. Ermittlungen des Wirtschaftsamtes über den Inhalt der angebotenen Dienstleistungen und Medien sieht die Gewerbeordnung jedoch nicht vor. Das ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden sowie des Verfassungsschutzes. Im Rahmen der Ermittlungen dieser Behörden getroffene Feststellungen eröffneten unter Umständen die Möglichkeit eines gewerberechtlichen Eingriffs durch den Bezirk.  Für die Filiale in der Meinekestraße liegt auch mehrere Wochen nach der Eröffnung des Geschäftes keine Gewerbeanmeldung vor. Ein entsprechendes Verfahren zur Ahndung ist veranlasst.  

 

·        Prüfung von Maßnahmen zum Schutz vor Gefährdung

 

Zum Schutz vor einer Gefährdung wird seitens des Bezirks nach wie vor der Aufklärung Priorität eingeräumt.  

Dabei wurden alle Abteilungen des Bezirksamtes eingebunden: Die Pressestelle des Bezirkes hat umgehend Informationen über die Scientology-Organisation auf die Internetseite des Bezirksamtes eingestellt.

Es wurden für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bezirksamtes, insbesondere auch für die Auszubildenden, Informationsveranstaltungen mit dem Sektenbeauftragten der Evangelischen Kirche, Pfarrer Gandow, am 28. Februar, am 28. März und am 5. Juni 2007 durchgeführt.

In Kooperation mit dem Rechtsamt wird derzeit die Möglichkeit geprüft, in die Vertragsgestaltung eine Scientology-Klausel einzubauen, um so einen gewissen “Unterwanderungsschutz” aufzubauen.

Die Volkshochschule führte am 17. April 2007 eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Strategien im Umgang mit der Scientology-Organisation durch, zu der mit Flyern in der Anwohnerschaft geworben wurde und zu der über 150 Personen kamen, u.a. auch der Leiter der Ludwig-Cauer-Grundschule. Auch im aktuellen Programm der Volkshochschule wird ein entsprechendes Seminar angeboten.

Die Heinrich-Schulz-Bibliothek hat mehrere Titel zum Themenbereich nachgekauft und zusammen mit einer Auswahl der vorhandenen Titel unter der Rubrik “Informationen über Sekten / Scientology” ausgestellt.

Erfreulich ist, dass auch Gewerkschaften und Parteien entsprechende Veranstaltungen durchgeführt haben. Auch die Medien in Berlin haben entscheidend zu einer umfassenden Aufklärung beigetragen.

Die Arbeit der für Drogen- und Suchthilfekoordination im Bezirk zuständigen Kollegin verfolgt das Ziel, die mit Kindern und Jugendlichen im Bezirk arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schulen, Freien Träger und anderen Institutionen für das Thema zu sensibilisieren und zu einem regelmäßigen Informationsaustausch zu gelangen.

Hingegen lassen die Bestimmungen des Jugendschutzes es nicht zu, das Scientology-Zentrum pauschal als jugendgefährdenden Ort zu klassifizieren. Die eigentliche Gefährdung, die das Jugendschutzgesetz als Voraussetzung für behördliche Eingriffe klar definiert, liegt nicht im vordergründigen Zweck des Zentrums. Dieser Zweck, nämlich die Mitgliederwerbung und die folgende wirtschaftliche Ausnutzung, ist nicht auf Minderjährige ausgerichtet. Vielmehr muss in Einzelfällen geprüft werden, ob das offensive Ansprechen von Minderjährigen und der Inhalt verteilter Materialien jugendgefährdenden Inhaltes sein könnten, indem sie eine Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl der Kinder und Jugendlichen darstellen.

Die Ausführungen des Bezirksamtes zum Jugendschutz wurden mit der  zuständigen Senatsverwaltung abgestimmt.

Mit diesen und weiteren Maßnahmen, die sich auch an den jeweiligen Aktivitäten der Scientology-Organisation im Bezirk orientieren werden, möchte das Bezirksamt die Bürgerinnen und Bürger umfassend informieren. Sie sollen damit in die Lage versetzt werden, selbst zu beurteilen und einzuschätzen, welche Wirkung die Arbeit der Scientology-Organisation entfaltet und welche Risiken und Gefahrenpotentiale damit verbunden sind. Die knallharte Geschäftstätigkeit muss von dem Hauch der Wohltaten entzaubert werden.

 

·        Zusammenarbeit mit den Schulen

 

Der Arbeitskreis der in der schulischen Suchtprophylaxe tätigen Lehrerinnen und Lehrer der Oberschulen im Bezirk wurde in einem Arbeitstreffen mit Unterstützung des Koordinators für schulische Suchtprophylaxe sowie mit Thomas Gandow, Sektenbeauftragter der Evangelischen Kirche, am 20. Februar 2007 ausführlich informiert. An diesem Treffen nahmen auch Vertreterinnen der im Bezirk tätigen Projekte “LogIn” und “D.I.P” teil. Dieses Treffen und die mittlerweile vorliegende Stellungnahme der Fachstelle für Suchtprävention zu den Aktivitäten von Scientology an Berliner Schulen bilden die Basis für eine kontinuierliche und umfassende Aufklärung der Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern im Bezirk, die auch in allen Einrichtungen für Jugendliche hineingetragen wurde.

Von Anfang an stand der Schulträger im engen Kontakt mit der Ludwig-Cauer-Grundschule und hat die Schule über die geplanten Maßnahmen informiert. In Zusammenarbeit mit der Gesamtelternvertretung wurde durch Veranstaltungen und Thematisierung im Unterricht eine vorbildliche Aufklärungsarbeit an der Schule geleistet. 

 

Das Bezirksamt wird in dem dargestellten Sinne weitere Maßnahmen treffen und ist zuversichtlich, damit die Ziele des Antrages mit erreichen zu können und bittet den Beschluss dadurch als erledigt zu betrachten. 

 

 

 

 

Monika Thiemen                                                                   Marc Schulte

Bezirksbürgermeisterin                                                        Bezirksstadtrat

 

 


 

 
 

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